Freitag, 22. Oktober 2010

Neulich im Theater...

Wie schon erwähnt finden ab der laufenden Spielzeit nicht mehr alle Aufführungen der Kölner Oper im dringend sanierungsbedürftigen Stammhaus am Offenbachplatz statt, sondern man geht unter dem Motto "Tapetenwechsel" für mehrere Produktionen an verschiedene andere, teilweise ungewohnte Spielorte im Stadtgebiet. Typisch für Köln ist übrigens, dass sich die geplante Sanierung von Opern- und benachbartem Schauspielhaus nach Monaten (besser: Jahren!) des Planens, Beratens und ständigen Abänderns der Planungen nach wie vor noch immer nicht endgültig in "trockenen Tüchern" befindet…

Einer der sicher ungewöhnlichsten "alternativen Aufführungsorte" dieser Spielzeit ist das ehemalige, seit einiger Zeit leerstehende Hauptverwaltungsgebäude des Kölner Gerling-Versicherungskonzerns im Friesenviertel:
Ein in den 1930er Jahren begonnener, in den 1950er Jahren dann zu seiner endgültigen Gestalt gelangter, nach damaligem Geschmack entsprechend repräsentativ ausgestatteter Gebäudekomplex, in dessen ehemaligem Kantinensaal man nun Claudio Monteverdis (1567-1643) spätes Meisterwerk "L'incoronazione di Poppea" ("Die Krönung der Poppäa") aufführt (Premiere war am 16. Oktober 2010) - ich habe die gestrige (immerhin dreieinhalbstündige) Aufführung besucht (siehe auch hier).

Für den mit Mozart, Rossini und Verdi domestizierten Opernfreund ist Monteverdis Oper ein eher ungewohntes Erlebnis:
Immerhin ist die Poppea bereits in der Karnevalsspielzeit 1642/43 in der Republik Venedig mit großem Erfolg uraufgeführt worden - zu der Zeit war hier bei uns noch nicht einmal der Dreißigjährige Krieg beendet. In Venedig hingegen war gut fünf Jahre vor dieser Uraufführung bereits das erste öffentliche Operntheater eröffnet worden und aufgrund des sensationellen Publikumserfolges der noch jungen Gattung folgten allein in Venedig in den nächsten Jahren eine Reihe weiterer Opernhäuser, die in Form von Privatunternehmungen natürlich um die Publikumsgunst buhlten und der "venezianischen Oper" einen ungeheuren Popularitätsschub verliehen, der bald auf ganz Italien und dann auch auf den Rest Europas abstrahlte, wo die Oper nach venezianischer Machart (mit Ausnahme Frankreichs) bis zum Ende des 17. Jahrhunderts unangefochten "Marktführer" blieb.
Ich finde es nebenbei bemerkt ganz beachtlich, dass es Monteverdi mit immerhin 75 Jahren noch gelungen ist, mit seiner letzten Oper hier noch einmal einen maßstabsetzenden Meilenstein zu kreieren, der noch für Jahrzehnte nachwirken sollte (heutzutage gehört seine Poppea neben Purcells "Dido and Aeneas" zu den meistgespielten Opern des 17. Jahrhunderts!) - wenige Monate nach der Premiere starb der Komponist im Alter von 76 Jahren in Venedig.

"L'incoronazione di Poppea" ist eine der Opern, die für diese so überaus erfolgreiche venezianische Spielart stilbildend wirkte - charakteristisches Element ist hierbei vor allem das Nebeneinander von ernster und komischer Handlung, adlige und einfache (meist Diener-) Figuren agieren mit- und nebeneinander, was für eine sehr abwechslungsreiche Mischung sorgt.
Die ab dem 18. Jahrhundert vorherrschende strikte Trennung von ernster und komischer Oper (Opera seria und Opera buffa) ist übrigens die Konsequenz einer ersten Gattungsreform um 1700, da die venezianische Oper immer mehr zu einer ausufernden "Revue" aus ernster Handlung, Komödie, Burleske und Ballett geworden war und man glaubte, hier wieder eine klare Linie hineinbringen zu müssen.

Die Poppea ist zwar eine Barockoper, klingt aber noch überhaupt nicht wie die heute eher geläufigeren Opern von Vivaldi oder Händel mit ihrem stetigen Wechsel zwischen Rezitativen und virtuosen Arien (was zeigt, dass der Gattungsbegriff "Barockoper" nicht besonders präzise ist).
In Monteverdis Oper, die ja immerhin gut 80 (!) Jahre älter ist als die meisten Händel-Opern, dominiert ein fast durchgängiger rezitativartiger Parlandostil, der hin und wieder von kleineren liedartigen Solostellen (aus denen sich später die dann immer umfangreicher werdenden Arien entwickelten) und duettartigen Zwiegesängen vor allem Poppeas und Neros unterbrochen wird.
Dieser ausdrucksvolle Sprechgesang erlaubt eine sehr flexible Gestaltung der Handlung, da hier nahtlos zum Beispiel komische, temporeiche Dialogszenen auf ausdrucksvolle und dramatische Monologe folgen können und sich die Musik ganz an die Vorgaben des Textes anpassen kann, ohne irgendwelchen starren Zwängen folgen zu müssen. An diese Art der Musik muss man sich erst ein wenig gewöhnen, findet sich dann - in Kombination mit der szenischen Darbietung - aber recht schnell in dieser uns heute doch klanglich eher fremden Welt zurecht.
Ohne die szenische Dimension wirkt das Ganze aber dann doch schnell etwas ermüdend - jedenfalls geht es mir häufiger beim Anhören entsprechender CD-Aufnahmen so, während ich mir die mit eindeutig musikalischem Schwerpunkt konzipierten Opern der Händel-Zeit auch ohne Bühnenhandlung gerne "lediglich" auf Tonträgern zu Gemüte führe.
Anders ausgedrückt: Die Poppea ist weniger ein verkapptes Konzert im Bühnenkostüm sondern ein veritables Theaterstück, bei dem die Musik genauso wie die Bühnenhandlung gleichberechtigt nebeneinander stehen - dessen sollte man sich vor dem Besuch einer solchen Oper aus dem 17. Jahrhundert bewusst sein, um nicht enttäuscht zu werden. Man hatte bei der Kölner Auführung dann auch entsprechend großen Wert darauf gelegt, dass die deutschen Übertitel zum Bühnengeschehen (hin und wieder sogar noch angereichert mit historischen Fakten zu Nero [der immerhin der Sohn der Kölner Stadtgründerin Agrippina war] und seiner Sippschaft!) auch wirklich überall im Zuschauerraum zu sehen waren - Text-Projektionen fanden aufgrund der besonderen Anordnung der Zuschauerplätze an 4 Stellen gleichzeitig statt!

Die Wahl des Kölner Aufführungsortes im ehemaligen Versicherungskonzern ausgerechnet für diese fast 370 Jahre alte Oper mag zunächst überraschen, wenn man sich aber vor Augen führt, dass sich die Handlung der Oper um ausschließlich eigennütziges Machtstreben zur Befriedigung eines hedonistischen Lebensstils dreht (für dessen rücksichtslose Durchsetzung buchstäblich über Leichen gegangen wird), dann passt das Ganze plötzlich erschreckenderweise doch irgendwie ganz gut in die (ehemalige) Schaltzentrale eines typischen Wirtschaftsimperiums des 20. Jahrhunderts…

Diese Zeitlosigkeit der eigentlich römischen Intrigenstory (zu Monteverdis Zeiten war dies übrigens ein echtes Novum, dass statt mythischer Göttergeschichten ein historisches - aber immerhin noch in der Antike spielendes - Sujet auf die Bühne gebracht wurde!) schlägt sich natürlich auf die Inszenierung von Dietrich Hilsdorf nieder, der das Ganze dann auch eher als eine Art Machtpoker hinter den Kulissen eines modernen Wirtschaftskonzerns aufzieht, was durch die Aufführung in den erwähnten Räumlichkeiten ja auch auf der Hand liegt (die Bühnenfiguren tragen daher auch elegante, aber eben moderne Kleidung). An den wenigen Stellen, an denen Monteverdi wohl doch nicht ganz auf die vertrauten allegorischen Figuren und Göttergestalten verzichten wollte (z. B. im damals obligatorischen Prolog), bediente sich Hilsdorf des Kunstgriffs, dass er diese mythischen Gestalten einfach durch die zahlreichen Bediensteten Neros darstellen ließ, die so quasi im Sinne ihres Brötchengebers die Geschicke der Figuren der Oper lenken durften. Wie im Rahmen der kurzen Einführungsveranstaltung zu Beginn des Abends betont wurde, hat die Zeitgenossen Monteverdis der eigentlich ja sehr ungewöhnliche (weil zutiefst unmoralische) Verlauf der Opernhandlung wohl nicht gestört oder empört, denn das weitere, nicht sehr erfreuliche Schicksal Neros und Poppeas, wie es z. B. der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet, war den damaligen Zuschauern bestens bekannt und außerdem war die Oper ja auch eine Karnevalsproduktion - eine Jahreszeit, in der eh die gewohnten gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf gestellt wurden (und bis heute werden!) und somit das auf der Bühne Gezeigte auch im Sinne der Verkehrung der eigentlichen Ordnung interpretiert werden konnte.Nero und Poppea (Quelle: Oper Köln, Foto: Paul Leclaire)

Aus der vermeintlichen Beschränkung eines Ausweichquartiers wurde so eine echte Inspiration für die gesamte Aufführung - Presse und Rundfunk überschlagen sich seit der Premiere (und auch schon in deren Vorfeld) bereits einhellig mit Lob und Anerkennung, was für Kölner Opernaufführungen in den letzten Jahren ja weiß Gott nicht mehr selbstverständlich ist!
Die Lobeshymnen beziehen sich hierbei übrigens nicht nur auf die Inszenierung sondern (völlig zu Recht!) auch auf den musikalischen Aspekt der Aufführung.

Umso neugieriger war ich, diese Oper in ungewohntem Umfeld nun selber erleben zu können, zumal sämtliche Aufführungen (11 an der Zahl) bereits vor der Premiere schon komplett ausverkauft waren (der Ausweichspielort bietet allerdings auch nur etwa 650 Personen Platz, ins Opernhaus passen etwa doppelt so viele Zuschauer)!

Schon der Eingangsbereich (Foyer und Garderoben) des Aufführungsortes war sehr beeindruckend in seiner Mischung aus der betont nüchternen Sachlichkeit der Nachkriegszeit in Verbindung mit der Weitläufigkeit dieses Raumes, den nostalgisch wirkenden (und seinerzeit ganz sicher nicht billigen) Leuchtern an Decken und Wänden, etc.

Der langgezogene, eher niedrige Saal, in dem die eigentliche Aufführung stattfand, hatte dagegen schon fast etwas intimes, was der Tatsache, dass diese Barockoper ja auch eher eine fast schon kammermusikalische Besetzung aufweist, natürlich sehr entgegenkommt - hier muss nicht gegen einen großen Saal angespielt werden und auch leise Töne kommen gut rüber.

Die Bühne ist kreisrund und liegt direkt unter der zwei Stockwerke hohen Kuppel in der Mitte dieses Saales, zu ihr führen zwei einander gegenüberliegende Laufstege, an deren Seiten das in zwei Gruppen aufgeteilte Orchester platziert wurde. Das Publikum sitzt sich somit entlang dieser Laufstege und des Bühnenkreises in zwei Halbrunden quasi gegenüber, von der gegenüberliegenden Publikumsseite bekommt man aber fast nichts mit, da dieser gesamte Bühnen- und Orchesterraum auf der ganzen Länge von feinem Gazestoff eingespannt ist, der diesen Bereich somit nicht nur räumlich sondern auch optisch klar vom Zuschauerbereich abtrennt.
Die Masche, den Zuschauerblick auf die Bühne mit diesen (fast) durchsichtigen Gazestoffen zu beeinträchtigen, hat sich in den letzten Jahren als beliebtes Stilmittel von Regisseuren herausgestellt - mich nervt das meistens, weil man vom Bühnengeschehen nicht mehr alles ohne Weiteres mitbekommt, im konkreten Fall erwiesen sich meine Befürchtungen allerdings als unbegründet:
Dank der Beleuchtung der Szenerie erwies sich diese Stoffbespannung als nahezu komplett durchsichtig und behinderte den Blick auf Bühne und Orchester zum Glück gar nicht!

Auf der Bühne befand sich lediglich ein langer, schmaler Konferenztisch (der, das habe ich irgendwo gelesen, wohl dem ehemaligen Schreibtisch des Gerling-Chefs nachgebildet worden sein soll), der sich dank einer Drehscheibe im Bühnenboden auch lautlos im Kreis drehen konnte. Auf dem Tisch standen verschiedene Weingläser und Glaskaraffen, davor drei moderne Designerstühle aus blinkendem Stahl - das war alles (und das reichte auch völlig aus, um einem spannenden Opernabend den szenischen Rahmen zu verleihen)!

A propos Orchester: Laut Ankündigung spielte zwar - wie üblich - das Kölner Gürzenich-Orchester, ein Blick in das Programmheft zeigte dann aber schnell, dass vom eigentlichen Gürzenich-Orchester gerade einmal knapp zehn StreicherInnen aufspielten, der Rest des Ensembles (um genau zu sein: die komplette zweite Hälfte) bestand aus "Gastmusikern", alles instrumentale Spezialisten, die dem Ganzen erst den erforderlichen Barockklang verliehen - man konnte herrlich exotische, selten zu erlebende alte Instrumente bestaunen (und natürlich hören), wie die Chitarrone (eine Basslaute mit bis zu zwei Meter langem Hals), zwei Cornetti (zu deutsch "Zinken" - Vorläufer heutiger Trompeten), eine Lirone (am ehesten noch mit einem Cello zu vergleichen), dazu zwei Cembali, eine Truhenorgel, eine Harfe, zwei Blockflöten - allein schon dieses ganz besonderen, so typisch hochbarocken Orchesterklangs wegen hatte sich der Besuch der Aufführung schon gelohnt!
Dieses Ensemble wurde geleitet vom Fans der Barockmusik sicher nicht unbekannten Konrad Junghänel (der bereits im Herbst 2009 die Kölner Produktion der Gluck-Oper Orfeo ed Euridice geleitet hatte), der Monteverdis Partitur eigens für die aktuelle Inszenierung eingerichtet hatte.
Die originalen Notentexte aus dieser Zeit sind allesamt eher sparsam (meines Wissens gibt es jeweils nur eine Gesangs- und eine Instrumentalstimme) und für heutige Aufführungen sind daher regelmäßig vorbereitende Arbeiten an der Partitur erforderlich, je nachdem, welche Instrumente man einsetzen möchte.
Dies scheint auch in der Barockzeit die übliche Praxis gewesen zu sein: Man entschied pragmatisch, welche Instrumente für eine Aufführung verfügbar waren und besetzte ein Orchester von Fall zu Fall entsprechend. Die Instrumentalisten scheinen damals auch weniger Notentext gebraucht zu haben, als heute üblich ist - eine notierte Bass-Stimme reichte oft aus und man improvisierte einfach dazu passende Stimmen, was ein interessantes Urteil über die offensichtlich recht beachtlichen Fähigkeiten damaliger Musiker zulässt.
Noch zu Bachs und Händels Zeiten war es ja üblich, dass sowohl Sänger in ihren Arien Improvisationen einbrachten wie auch Generalbass-Spieler am Cembalo eine vollstimmige Begleitung anhand einer notierten Bass-Stimme während des Spielens umsetzten. Dieses faszinierende improvisatorische Element ist in der Folgezeit leider völlig verloren gegangen und angesichts manch detailversessener Partitur des 20. Jahrhunderts fragt man sich, ob hier in der Moderne Musiker nicht zu bloßen, quasi seelenlosen Wiedergabemaschinen verkommen sind?!

Konrad Junghänels Partitureinrichtung jedenfalls brachte ein dank der verwendeten Instrumente überaus farbiges und abwechslungsreiches Element in die Begleitung der Sängerinnen und Sänger, was allein schon durch die Tatsache begründet wurde, dass das Orchester ja an zwei verschiedenen Orten im Raum platziert war, so dass der Dirigent mit seinen betont ausladenden Gesten per Bildschirm zur zweiten Hälfte seines Ensembles übertragen werden musste, trotz dieser Erschwernis das ganze Geschehen aber souverän im Griff hatte. Hierdurch entstand ein interessanter Raumklangeffekt, der oft genutzt wurde, um während der gesungenen Dialogszenen jeder Person ihre eigene, sie begleitende Instrumentengruppe zuzuweisen (was übrigens einer in der Barockzeit absolut üblichen Praxis entspricht), so dass dann eben auch die Begleitung der Bühnenfiguren wie in einem Dialog hin- und hersprang.

Getragen von diesem faszinierenden und schwungvollen Orchester boten auch die Solisten exzellente Gesangskunst, allen voran natürlich die französische Barockspezialistin Sandrine Piau als Poppea mit ihrem wunderbar flexiblen und leichten Sopran, die auch als Darstellerin eine überzeugende Vorstellung ablieferte, wie überhaupt bei diesem musikalischen Konversationsstück die schauspielerische Leistung mindestens genauso wichtig ist, wie der sängerische Aspekt. Sich lediglich starr an die Rampe zu stellen und dafür aber ein virtuoses Arien-Feuerwerk abzubrennen (wie es zumindest theoretisch bei Opern aus der Händel-Zeit ja durchaus funktionieren würde) - das geht bei Monteverdi nicht.

Und gerade schauspielerisch hatte der auch stimmlich beeindruckende Countertenor Franco Fagioli als Nero einiges zu bieten: Er verlieh der Figur des eigentlich völlig wahnsinnigen römischen Kaisers die bizarre Note einer eigentlich bemitleidenswerten, zwischen prahlerischem Geltungsbedürfnis, cholerischen Wutausbrüchen und anderen Stimmungsextremen schwankenden Figur, die gerne einer mitunter ins Lächerliche abgleitenden Triebhaftigkeit ausgeliefert ist und die man aufgrund des ausdrucksvollen Mienenspiels und fast manisch ständig in Bewegung befindlicher Hände gerne beobachtete. Dazu passend Fagiolis exzellenter Gesang, der dank der hohen Stimmlage passend schon mal ins Hysterische umkippen konnte und der ganzen komplexen Figur eine glaubwürdige, faszinierend-bedrohliche Note verlieh. So muss ein Kaiser Nero rüberkommen!
Ottavia und Nero (Quelle: Oper Köln, Foto: Paul Leclaire)

Mit zu meinen Favoriten des Abends gehörte aber auch Romina Boscolo (Mezzosopran), die der verschmähten und später verstoßenen Kaiserin Ottavia mit einer unglaublich intensiven und kraftvollen Stimme eine Größe und Würde verlieh, die wirklich beeindruckte. Ihr abschließendes berühmtes Lamento "Addio Roma" war da nur der eindrucksvolle Schlusspunkt einer tollen Leistung!

Der kanadische Countertenor David DQ Lee schlug sich zwar auch wacker in seiner Rolle als Ottone, überzeugte mich im Vergleich zu den vorgenannten Protagonisten allerdings etwas weniger.

Neben diesen Gästen war mit der Sopranistin Claudia Rohrbach als Drusilla auch ein bekanntes Mitglied des Kölner Opernensembles am Start - auch ihre sängerische Leistung gefiel mir ausgesprochen gut, hatte sie in ihrer Rolle als junge, verliebte Ottone-Verehrerin doch auch eine der wenigen "Arien" zu singen, in der ansatzweise sogar einmal Koloraturen zu hören waren (also das, was man heute ja eigentlich mit typischem Barockgesang verbindet!) und dies gelang ihr mit klarer, flexibler Stimme sehr überzeugend!

Wolf Matthias Friedrich überzeugte als stoischer Philosoph Seneca mit tiefer Bass-Stimme, die er an manchen besonders markanten Stellen ruhig noch etwas intensiver hätte auskosten können.

Typisch für das in der Barockzeit so lustvoll betriebene Spiel mit den Geschlechterrollen ist, neben den ursprünglich von Kastraten dargestellten Männerrollen in Alt- und Sopranlage, gerade in der venezianischen Oper das Auftreten von Männern in Frauenrollen, die den damals beliebten Typus der alten Amme verkörpern. So gab es mit dem Countertenor Daniel Lager in der Rolle von Poppeas Amme Arnalta gestern dann auch eine klassische Travestie-Rolle zu erleben - von Kostümbildnerin Renate Schmitzer in bezaubernde, erwartungsgemäß etwas gouvernantenhafte Kleider gewandet! Dass Herr Lager Spaß an dieser Rolle hatte (die einen wesentlichen Beitrag zum schon erwähnten komödiantischen Element in dieser Oper darstellt) merkte man seinem ausdrucksvollen Spiel à la "Manche mögen's heiß" an, wobei es schon komisch genug war, diesen mindestens 1,90 m großen Schrank im Kleid und in gigantischen Pumps auf die Bühne stöckeln zu sehen! Das i-Tüpfelchen zu dieser Erscheinung war dann noch die hohe Countertenor-Stimmlage.

Im Gegenzug hatte man die Mezzosopranistin Andrea Andonian in ihrer Rolle als Ottavias Amme Nutrice so täuschend echt in einen weißhaarigen alten Diener verwandelt, dass man unwillkürlich zusammenzuckte, als er/ sie die ersten Töne von sich gab und man merkte, dass es sich bei dieser Figur eigentlich um eine Frau handelt!

Am Ende dann tosender Beifall (mit Händen und Füßen!) für alle Beteiligten!

Schön, dass eine fast 400 Jahre alte Oper nach all der Zeit das Publikum nach wie vor so zu begeistern vermag - obwohl: Kein Wunder bei einer derart schwungvollen und lebendigen Interpretation wie der gestrigen!

In der Pause nach dem ersten Akt gab es übrigens im sogenannten "Venezianischen Saal", der so heißt, weil sich dort unglaublich überladene, endlos kitschige Wandleuchten aus echtem Murano-Glas befinden (und zu dem man gelangte, in dem man einen Innenhof passieren musste, in dem stimmungsvoll Fackeln leuchteten), ein kleines Intermezzo zu erleben:
Begleitet von einem kleinen Ensemble (das extra aus dem Theatersaal hierhin umgezogen war) gab es die den zweiten Akt eröffnende Szene zwischen Nero und seinem Lieblingsdichter Lucano, die nach Senecas verordnetem Selbstmord in Schwelgerei über Poppeas Schönheit geraten, zu der der Weg jetzt frei scheint, nachdem Seneca keinen Einspruch mehr hiergegen einlegen kann.
Hierzu hatte man extra eine venezianische Gondel in dem gleichnamigen Saal aufgebaut - die Tatsache, dass die Oper in Venedig uraufgeführt worden war und das ja auch nicht unbedingt zu erwartende Vorhandensein eines "Venezianischen Saals" im Gerling-Gebäudekomplex ergaben somit eine weitere verblüffende Parallele, die man so nicht erwartet hätte und die sich die Theatermacher direkt zu Nutzen machten. Schade nur, dass der "Venezianische Saal" (ursprünglich wohl als Konferenz- oder Festsaal genutzt) lediglich Platz für "nur" ca. 350 Personen (im Stehen) bot, so dass nicht das gesamte Publikum in den Genuss dieser Szene kommen konnte.
Man versuchte, das Ganze humorvoll derart zu lenken, dass lediglich die Damen per mehrsprachiger Durchsage (auf deutsch, englisch, französisch -- und kölsch!) in den "Venezianischen Saal" gebeten wurden (offenbar traute man ihnen das größere Interesse an einer solchen Darbietung zu), während die Herren "in der Küche" warten sollten, was sich auf die Ecke im ehemaligen Speisesaal bezog, an der früher wohl die Essensausgabe stattgefunden hatte, wovon noch eine weißgekachelte Wand zeugte. Hier gab es immerhin ebenfalls eine kurze Gesangsdarbietung zweier junger Damen (Mitglieder des Kölner Opernstudios), die ein Liebesduett Monteverdis zum Besten gaben.

Vielleicht merkt man es:
Die ganze Veranstaltung steckte so voller liebevoller Details (z. B. die beiden Leibwächter Neros, oder die immer wieder auftretenden, rheumatisch-senilen, irgendwie an Loriot-Sketche erinnernden Dienerfiguren; die Videoprojektionen auf Leinwänden an den beiden Stirnseiten des Bühnenraums hinter den beiden Orchestergruppen, auf denen während der Aufführung verschiedene, die Handlung kommentierende Szenen zu sehen waren, die ganz offensichtlich im restlichen, dem Publikum leider nicht zugänglichen Gerling-Gebäude aufgenommen wurden - leider kam hierbei die Kamera in der Kuppel über der Bühne, die das Bühnengeschehen aus einer ganz besonderen Perspektive zeigen konnte, nicht häufiger zum Einsatz...), dass man gar nicht alles aufzählen kann, was zum Gelingen des gestrigen Abends beigetragen hat - ich kann mich der Begeisterung der Rezensenten jedenfalls nur anschließen:
Nach den schon mehrheitlich erfreulich erfolgreichen Produktionen der vergangenen Spielzeit ist der Kölner Oper mit dieser Poppea erneut ein ganz großer Wurf gelungen (von der parallel im Opernhaus an den Start gegangenen Elektra von Strauss hört man ebenfalls Gutes!), so dass man sich jetzt schon ehrlich auf die nächsten Inszenierungen freut und gespannt ist, ob das jetzt erreichte Niveau gehalten werden kann! Dass ich ein solches Fazit mal über die Kölner Oper ziehen kann, freut mich ungemein - noch vor zwei Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, einen solchen Satz einmal schreiben zu können!

3 Kommentare:

  1. Danke für den ausführlichen Bericht. Beneide dich, dass du Franco Fagioli als Nero schon gehört hast. Er ist faszinierend. Verstehe, warum die Damen ohnmächtig wurden, als Farinelli sang. Hatte vor, nach Köln zu fahren, aber hab momentan genug vom Fahrerei. Im Mai 2011 werde ich nach Dresden, um Fagioli in Nero zu erleben.

    LG
    l-e

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  2. "Immerhin ist die Poppea bereits in der Karnevalsspielzeit 1642/43 in der Republik Venedig mit großem Erfolg uraufgeführt worden - zu der Zeit war hier bei uns noch nicht einmal der Dreißigjährige Krieg beendet".

    Deine Art zu schreiben gefällt mir!

    Viele Klassikmusik-Blogger schreiben zu trocken und sachlich.

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  3. Danke - freut mich, wenn es gefällt ;-)

    Wie gesagt: Franco Fagioli beeindruckte mich neben den zweifellos vorhandenen Stimmqualitäten vor allem in Verbindung mit seinen exzellenten schauspielerischen Qualitäten - für ein Stück wie dieses ganz besonders wichtig!
    Ein wirklich toller Sänger und Schauspieler (diese Kombination ist ja weiß Gott nicht so selbstverständlich)

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