Donnerstag, 4. November 2010

Requiem-Vertonungen: Johannes Ockeghem

Als Requiem-Fan habe ich mich vor ein paar Jahren mal schlau gemacht, von welchem Komponisten eigentlich die früheste Vertonung der Missa pro defunctis stammt.
Klar: Die gregorianischen Gesänge zu den Worten der Totenmesse sind am ältesten, es geht aber um die erste eigenständige und vor allem mehrstimmige (also polyphone) Requiem-Komposition.

Die Suche führt zurück in die Früh-Renaissance, genauer gesagt in die Mitte des 15. Jahrhunderts. Hier lebte und wirkte Guillaume Dufay (ca. 1400-1474), von dem belegt ist, dass er ein Requiem komponiert hat, welches er sich testamentarisch wohl auch zu seinem eigenen Begräbnis gesungen wünschte. (Von Dufay kann ich seine Missa L'homme armé sehr empfehlen!)

Leider ist diese Missa pro defunctis verschollen, so dass damit das älteste noch erhaltene polyphone Requiem von Dufays Zeitgenossen Johannes Ockeghem (geb. ca. zwischen 1410 und 1425 - 1497) stammt und wahrscheinlich nur wenige Jahre nach der Vertonung Dufays entstanden sein dürfte.

Man sieht schon: Lebensdaten von Komponisten, bzw. Entstehungsdaten einzelner Werke aus dieser Epoche sind oft nicht eindeutig festzulegen. Von Ockeghem weiß man, dass er - wie Dufay - aus Flandern stammte und später Karriere als Sänger und Kapellmeister am französischen Königshof in Paris machte.

Auffällig ist, dass viele der seinerzeit berühmtesten und gefragtesten Komponisten des 15. und 16. Jahrhunderts aus der Region des heutigen Belgien (also aus Flandern oder der Wallonie) stammen und einen großen Einfluss auf die Entwicklung der damaligen Kompositionstechniken hatten, weshalb man in der Musikwissenschaft auch von der franko-flämischen Schule spricht, wenn man sich auf diesen Zeitraum bezieht.
Damals gehörten große Gebiete des heutigen Belgiens (und der Niederlande) noch zum Herzogtum Burgund und vor allem die burgundischen Herzöge waren es auch, die sich gerne mit dem Ruhm dieser berühmten Musiker schmückten und diese an ihren Hof zu binden suchten.

Paul Hillier, der Mitbegründer des berühmten englischen Vokalensembles The Hilliard Ensemble schreibt über die Komponisten dieser Zeit sehr treffend:
Die meisten Komponisten des 15. Jahrhunderts waren als Sänger ausgebildet, wie die meisten Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts Pianisten waren. Das heißt, dass ihre Musik vom Idiom her zutiefst sanglich und von Anklängen und Abläufen des Choralgesangs durchdrungen war, der den akustischen Hintergrund ihres Arbeitslebens bildete.

Das trifft auch auf Ockeghem zu (er war Bassist), der aus diesem Grund (wie die meisten seiner Kollegen) ausschließlich a-cappella-Vokalwerke komponierte.

Die Instrumentalmusik hatte sich in der damaligen Zeit noch nicht dahingehend emanzipiert, dass sie als "ernsthafte", der Vokalmusik ebenbürtige Gattung angesehen wurde. Sie diente in der Hauptsache als Tanz- und Vergnügungsmusik oder zur Zerstreuung der gehobenen Bevölkerungsschichten und wurde deshalb gar nicht oder nur in Teilen schriftlich festgehalten.

Ockeghem wurde von seinen Zeitgenossen außerordentlich geschätzt und bewundert und war ein wohlhabender Mann.

Von ihm existiert auch eines der ersten Portraits, das es von einem Komponisten gibt. Auch wenn es wohl an die 20 Jahre nach seinem Tod gemalt wurde, ist es gut möglich, dass die Darstellung Ähnlichkeit mit ihm hat und nicht ein reines Phantasiegemälde des Malers geworden ist.

Das Bild zeigt Ockeghem im Kreise seines Gesangsensembles als eindeutig dominierende Figur mit dunklem Kapuzenmantel und - man sehe und staune - einer Brille auf der Nase! Damit dürfte dieses Portrait auch eines der frühesten Bilder sein, das einen Brillenträger zeigt.
Ich kann mir gut vorstellen, dass nicht nur Ockeghem im Laufe seines doch recht langen Lebens irgendwann eine Brille brauchte (die sich natürlich nur wohlhabende Leute leisten konnten), denn die dargestellte Szene scheint die damalige Aufführungspraxis darzustellen: Der ganze (meist nicht allzu große) Chor steht im Halbkreis um ein überdimensional großes Gesangbuch herum, aus dem alle ihre jeweiligen Stimmen entnehmen können. Wer nicht mehr richtig sehen konnte (und eben keine Augengläser besaß), der musste entweder auswendig singen oder konnte diese Tätigkeit nicht mehr ausüben!

Ockeghems Missa pro defunctis ist für zwei bis vier Stimmen komponiert (die Stimmenzahl wechselt mehrfach während des Stücks zwischen Zwei-, Drei- und Vierstimmigkeit) und dauert ca. 30 Minuten.
Der Komponist präsentiert eine breite Vielfalt von Techniken und Verfahren der Stimmführung, quasi ein Querschnitt der Kompositionskunst seiner Epoche, die deutlich hörbar noch wesentlich einfacher und näher am gregorianischen Choral orientiert ist, als die Musik der späten Renaissance, weswegen das Werk für unsere heutigen Ohren über größere Abschnitte hinweg ungewohnt und faszinierend "archaisch" klingt.
In Ockeghems Requiem steht der damals als kompositorische Grundlage noch unverzichtbare gregorianische Choral als Cantus firmus in der Oberstimme (ist aber nicht ohne Weiteres als solcher aus dem Stimmengeflecht herauszuhören).

Die einzelnen Sätze sind
-Introitus
-Kyrie
-Graduale
(Si ambulem in medio)
-Tractus (Sicut cervus desiderat ad fontes aquarum)
-Offertorium

Die übrigen Sätze (also z. B. die Sequenz oder Sanctus und Agnus Dei) hat Ockeghem nicht vertont.

Da diese Missa pro defunctis vor dem Konzil von Trient entstand, wo die Textform eines Requiem verbindlich festgelegt wurde, trifft man hier noch auf ältere Textformen im Graduale (aus Psalm 23) und im Tractus (Beginn des Psalms 42), die später ersetzt wurden.

Es gibt erfreulicherweise einige Einspielungen dieses ältesten erhaltenen Requiems (vielleicht deswegen?) - ich habe zum einen die Aufnahme des schon erwähnten Hilliard Ensembles aus dem Jahr 1984 und dann noch eine des dänischen Ensembles Musica Ficta aus dem Jahr 1997.

Das Schöne und Interessante an solch alten Musikstücken ist, dass keine Aufnahme wie die andere klingt, weil (zwangsläufig) viel Raum für Interpretation und Besetzungsfragen bleibt.
So unterscheiden sich beide erwähnten Aufnahmen denn auch erheblich voneinander, ich mag wegen ihrer Gegensätzlichkeit aber beide und finde Vergleiche zwischen ihnen sehr aufschlussreich.

Das Hilliard Ensemble singt diese Missa pro defunctis mit 6 Sängern, wobei Countertenöre die hohen Stimmen übernehmen. Die fehlenden, von Ockeghem nicht vertonten Sätze, die das Ganze strenggenommen aber erst zu einer liturgisch vollständigen Missa pro defunctis machen (Sanctus/ Benedictus, Agnus Dei, Communio und Postcommunio), hat das Hilliard Ensemble mit eingesungen - hier werden die entsprechenden gregorianischen Choräle vorgetragen (was zu Ockeghems Zeit wohl auch gemacht wurde, um die Messfeier zu komplettieren).
Hier fällt dann sehr schön auf, welche Fortschritte die Kompositionstechnik seit Ende des Mittelalters und dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit bereits gemacht hat - eine gelungene Idee der Interpreten! Ansonsten ist die große Durchhörbarkeit des Ganzen hier ein großer Pluspunkt, der klassische, berühmt gewordene "Sound" des Hilliard Ensembles wirkt ausgesprochen rund und dezent.

Wer den Klang eines "klassischen" gemischten Chors im Vergleich dazu hören möchte, dem kann ich die erwähnte NAXOS-Aufnahme mit dem aus 14 Sängern und Sängerinnen bestehenden Chor Musica Ficta empfehlen!
Hier wurden allerdings "nur" die Sätze der Missa pro defunctis aufgenommen, die Ockeghem tatsächlich komponiert hat.
Historisch ist diese Aufnahme natürlich nicht ganz korrekt, da es Frauen damals ja nicht gestattet war, in der Messe zu singen, aber mir persönlich (der ich als Teil eines gemischten Chors groß geworden bin) gefällt der vertrautere Chorklang dieses dänischen Ensembles sehr gut - ich finde, man kann auch diese alten Chorwerke aus der Renaissance durchaus mit einem "modernen" Kammerchor aufführen und sie verlieren nichts von ihrer Wirkung. Außerdem ist der spezielle Klang von Countertenören ja auch nicht jedermanns Sache…

Wie gesagt: Gerade der Vergleich der verschiedenen Aufnahmen und Interpretationen macht die Sache hier besonders spannend!

1 Kommentar:

  1. danke für deinen kommentar.:D jaa es ist wirklich toll zweisprachig aufzuwachsen.im muss zu geben ich fühl mich aber mehr als schwede, als als deutscher.iwie bin ich dem land mehr verbunden.mein schwedisch ist gut.da ich viele freunde & verwante ich falköping hab.& meistens bin ich in den ferien zuhause.hier rede ich nur wenig schwedisch aber es ist fast wie fahrrad fahren man verlernt es so schnell nicht.;D ich les schwedische bücher.:D & hör viel musik aus schweden.

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