Freitag, 28. Mai 2010

Frühlings-Klassik (3. Teil)

Langsam neigt sich der Frühling seinem Ende entgegen und geht fließend in den Frühsommer über. Eine gute Gelegenheit also, vorher noch ein paar weitere "Frühlings-Klassiker" vorzustellen!

Hatte ich beim letzten Mal eine Reihe wirklich sehr bekannter Stücke präsentiert, möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, auch ein paar Frühlingsbeiträge (hierzulande) eher unbekannter Komponisten ins Rampenlicht zu stellen:

Beginnen wir mit dem aus dem damaligen Österreich-Ungarn stammenden Karl (oder Károly) Goldmark (1830-1915), der sich in vielen musikalischen Sparten betätigte (Opern, Sinfonien, Chorwerke, Kammermusik) und vor allem in seiner Heimat sehr erfolgreich war.
So finden sich in seinem Oeuvre unter anderem die zwei Chorstücke

Frühlingsnetz op. 15 (für Männerchor, 4 Hörner und Klavier)
Frühlingshymne op. 23 (für Alt, Chor und Orchester)

und außerdem die Konzertouvertüre

Im Frühling op. 36 (1887)

ein knapp zehnminütiges Orchesterwerk, in dem die für viele Frühlingsstücke übliche fröhlich-überschwängliche Stimmung vorherrscht und der Freude über die zu neuem Leben erwachte Natur breiter Raum eingeräumt wird.

Fragt man jemanden nach bekannten skandinavischen Komponisten, dürften mit Sicherheit Edvard Grieg (Norwegen) und wohl auch Jean Sibelius (Finnland) genannt werden. Fragt man aber gezielt nach einem dänischen Komponisten, erntet man meist nur ratloses Schulterzucken.

Carl Nielsen (1865-1931) dürfte neben Niels Wilhelm Gade (1817-90) wohl der bekannteste dänische Komponist sein.
Auch Nielsen betätigte sich äußerst erfolgreich auf vielen musikalischen Gebieten - so wird zum Beispiel seine Oper "Maskarade" (UA 1906), so habe ich es mal gelesen, auch als "dänische Nationaloper" bezeichnet.

Fynsk Foraar (Frühling auf Fünen) op. 42 (1921) (Kantate für Sopran, Tenor, Bariton, gemischten Chor, Kinderchor u. Orchester)

Das knapp zwanzigminütige Chorwerk entstand gleichzeitig mit Nielsens 5. Symphonie (seiner wohl ambitioniertesten), in der er die musikalischen Strömungen der anbrechenden Moderne aufgreift und Tonalität und Harmonik bis an ihre Grenzen ausreizt (bzw. auch darüber hinausgeht). Es spricht für Nielsen, dass er ohne weiteres "zweigleisig" fahren konnte und parallel dazu mit dem Auftragswerk "Frühling auf Fünen" ein überaus folkloristisches, bewusst melodienhaft-einfach gestaltetes Werk komponieren konnte - und dies auch nicht als Widerspruch empfand.
Die Dänische Chorvereinigung hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben, in dem sie eine Dichtung über dänische Traditionen, Folklore und Natur suchte. Der Dichter (und Arzt) Aage Berntsen (1885-1952) gewann diesen Wettbewerb und kein Geringerer als Nielsen bekam daraufhin den Auftrag, diesen "Frühling auf Fünen" zu vertonen, was für diesen sicherlich besonders inspirierend gewesen sein dürfte, war er doch auf der Insel Fünen geboren und aufgewachsen.

Ins Deutsche übersetzt beginnt die Kantate mit folgenden, poetischen Worten:
Wie ein grasgrüner Fleck, wenn der Schnee geschmolzen ist, wie das Blatt einer Wasserrose auf dem tiefen See liegt die Insel Fünen im Frühling da.


Im Juli 1922 erfolgte dann die festliche (und erfolgreiche) Uraufführung des Chorwerks in Odense, allein der Chor bestand aus ca. 900 Sängerinnen und Sängern aus allen Teilen Dänemarks und im Publikum (darunter auch König und Königin) saßen an die 8.000 Zuhörer.
Auch für Nicht-Dänen ein echter Geheimtipp!

Bleiben wir in Skandinavien - beim bereits erwähnten, auch bei uns deutlich bekannteren Norweger Edvard Grieg (1843-1907):

Letzter Frühling (Elegische Melodie op. 34 Nr.2)

Beide "elegische Melodien" waren ursprünglich Klavierstücke, die Grieg später für Streichorchester bearbeitete. Der "Letzte Frühling" ist eines der wenigen Stücke, in denen einmal nicht die sonst übliche Frühjahrs-Fröhlichkeit vorherrscht, sondern - der Bezug auf die "Elegie" (= Klagegedicht) legt es nahe - eine tiefe Melancholie ausgedrückt wird. Allerdings geht es bei der zum Ausdruck gebrachten Trauer weniger um den Frühling an sich, sondern ganz offensichtlich um die Tatsache, dass der Frühling vom Vortragenden als sein letzter angesehen wird. Sehr berührend und mal eine gelungene Abwechslung zur ansonsten allgegenwärtigen Frühjahrsjubelstimmung!

Leider ist Griegs 2. Symphonie ein Fragment geblieben, denn sie sollte offenbar den Titel "Im Frühjahr" tragen - das wäre sicher ein interessantes Stück Musik geworden…

Von dem von mir sehr geschätzten Briten Sir Arnold Bax (1883-1953), von dem ich auch in anderen "Jahreszeiten-Klassik"-Beiträgen schon Werke vorgestellt habe, gibt es auch ein großes Frühlingswerk:

Spring Fire (sinfonische Dichtung, komponiert 1913)

Das fünfteilige Werk ist zu Bax' Lebzeiten nie aufgeführt worden, eine Reihe unglücklicher Umstände verhinderte immer wieder eine Uraufführung - so musste zum Beispiel im Jahr 1914 die geplante Erstaufführung wegen des Ausbruchs der Ersten Weltkriegs abgesagt werden.

Bax bezeichnete sein "Frühlingsfeuer" als "eine Art frei gearbeitete Symphonie" und verfasste zu den einzelnen Abschnitten dieses gut halbstündigen Werks sehr stimmungs- und fantasievolle Erläuterungen, die teilweise auch Zitate des Dichters Algernon Swinburne (1837-1909) enthalten.
Das Werk beginnt mit geheimnisvollem Tagesanbruch und strahlendem Sonnenaufgang im Wald, schwelgt in romantischen Stimmungen einer von Elfen und Nymphen bevölkerten Waldszenerie, um dann in einem wilden Kehraus zu enden: "Es ist, als nähme die ganze Natur an der sorglosen und rastlosen Orgie von Jugend und Sonnenlicht teil", kommentiert Bax diesen letzten Abschnitt sehr treffend!
Ein üppig und farbig instrumentiertes Werk, das für mich eine echte Entdeckung war!

Zum Abschluss für heute noch ein weiterer Engländer:

Benjamin Britten (1913-1976)
Spring Symphony op. 44 (für Sopran, Alt, Tenor, gemischten Chor, Knabenchor u. Orchester) (1949)

Brittens "Frühlings-Symphonie" gehört - anders als das gleichnamige Werk von Robert Schumann - nicht zu den populärsten Werken ihres Komponisten.
Diese Chor-Symphonie ist kompositorisch sehr ambitioniert und stellt hohe Ansprüche an Ausführende und auch an die Zuhörer. Britten vertont hierin Texte von englischen Dichtern aus verschiedenen Epochen - thematisch dreht sich alles um das Erwachen des Frühlings nach dem langen Winter und schließlich der Übergang dieser Jahreszeit in den Frühsommer. Formal ist die Symphonie - ganz klassisch - in vier Sätze aufgeteilt. Innerhalb dieser Sätze werden dann aber jeweils mehrere Gedichte vertont.
Ein - wie ich finde - zu Unrecht (gerade hierzulande) vernachlässigtes Werk und selbst die englischen Gesangstexte dürften heutzutage eigentlich niemanden mehr abschrecken...

Mittwoch, 26. Mai 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Italien bringt man ja eigentlich nicht unbedingt zuallererst mit Orgelmusik in Verbindung - klassische Musik findet dort, so möchte man meinen, vor allem im Bereich der Oper statt.
Umso interessanter war das heutige Mittagskonzert, in dem uns Wolfgang Abendroth ausschließlich Orgelwerke (allesamt mehr oder weniger unbekannter) italienischer Komponisten vorstellte.

Los ging's mit Thème et Variations cis-moll, op. 115 von Marco Enrico Bossi (1861-1925). Die sieben Variationen plus einer abschließenden klangprächtigen Fuge als Finale sind deutlich spätromantisch gefärbt und waren für mich mal wieder eine echte Entdeckung.

Etwas "harmloser" ging es dann mit einer einsätzigen Sonate in g-moll von Baldassare Galuppi (1706-85) weiter: Virtuos aber ansonsten nicht weiter erwähnenswert.

Dass die Italiener dann doch nicht so ganz von der allgegenwärtigen Oper lassen können, bewies das im Anschluss gespielte Stück Elevazione des Geistlichen Padre Davide da Bergamo (1791-1863): Was bei diesem aus der Messliturgie stammenden Titel (und dem der Geistlichkeit entstammenden Komponisten) zunächst auf ein asketisch-strenges Orgelstück für den Gottesdienst schließen lässt, kam überraschenderweise wie eine leibhaftige Opernszene daher, die sich irgendwie in die Orgel verirrt hatte: Beginnend mit einem ausdrucksvollen Rezitativ, gefolgt von einem ausdrucksvoll-langsamen Cantabile und einer schnellen Cabaletta am Schluss hätte dieses Stück (versehen mit Gesangsstimme und Orchester) in jeder italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts eine gute Figur gemacht! Kaum zu glauben, dass solche Musik dann tatsächlich (der Titel des Stückes legt dies nahe) während des Gottesdienstes erklungen ist?!? Das wäre wie "Dancing Queen" oder "La Isla Bonita" als Untermalung zur Eucharistie in heutiger Zeit - eine Vorstellung, die mir zugegebenermaßen schwer fällt (aber irgendwie auch ganz amüsant ist).

Als "Schmankerl" zum Schluss gab es dann doch noch "echte" Opernmusik: Giuseppe Verdis (1813-1901) Triumphmarsch aus der Oper "Aida", eingerichtet für die Orgel von H. R. Shelley. Klang gut - hätte aber im Programm konsequenterweise nicht als bloßer "Triumphmarsch" angekündigt werden sollen, da Mr. Shelley auch noch Musik des vorangehenden Chores "Gloria all' Egitto" in seine Bearbeitung einfließen hat lassen, um das Ganze etwas zu strecken :-)

Es war somit heute wieder eine sehr schöne Mittagsunterhaltung!

Dienstag, 25. Mai 2010

Neuerwerbung

So - nach ein paar Urlaubstagen (und damit verbundener PC-Abstinenz) melde ich mich heute wieder zurück.
Im Urlaub habe ich zwei schöne CDs erstanden, die ich hier unbedingt vorstellen möchte:

Im Rahmen der beim Label HYPERION seit nunmehr fast zwanzig Jahren erscheinenden Serie "The Romantic Piano Concerto" ist man mittlerweile bei Folge Nr. 50 (!!) angekommen (eine Doppel-CD mit den Klavierkonzerten Tschaikowskys). Um dieses beachtliche Jubiläum gebührend zu feiern, hat man die Preise der sonst nicht gerade günstigen CDs der bereits erschienenen Folgen (meines Wissens bis Ende Juni diesen Jahres) drastisch reduziert, quasi als kleines "Dankeschön" an die Fans und Sammler der Reihe - schließlich konnte die Serie ja nur wegen des anhaltenden Erfolges beim (kaufenden) Publikum überhaupt so weit gedeihen! Und da konnte ich dann auch nicht mehr länger widerstehen :-)

Bislang hatte ich schon die CDs mit den Konzerten von Ignaz Moscheles (1794-1870) und Camille Saint-Saëns (1835-1921) - Aufnahmen selten zu hörender Werke, die mir sehr gut gefallen haben.

Im Rahmen der oben erwähnten "Günstig-Aktion" habe ich nun noch die CDs mit Klavierkonzerten von Friedrich Kalkbrenner (1785-1849) (Aufnahme von 2005) und Henri Herz (1803-1888) (Aufnahme 2004) erstanden - beides Zeitgenossen Chopins, die wie er auch in Paris wirkten. Besonders Kalkbrenner beeinflusste Chopin sehr - sein Klavierkonzert in e-moll hat der junge Chopin konsequenterweise dann auch Kalkbrenner gewidmet. Und wer wie ich Chopins elegant-virtuose Klavierkonzerte mag, der wird beim Anhören der Konzerte von Kalkbrenner und Herz gewiss auf seine Kosten kommen!
Wie viele Aufnahmen dieser verdienstvollen Reihe, die neben einigen wenigen bekannten Namen (z. B. Felix Mendelssohn oder Carl Maria von Weber) meist die Konzerte heute völlig unbekannter und leider oft längst vergessener Komponisten der Romantik in exzellenten Interpretationen den staubigen Archiven entreißt und sie ins verdiente Licht der Öffentlichkeit zurückholt, werden auch die beiden erwähnten Einspielungen vom Pianisten Howard Shelley bestritten, der gleichzeitig auch das ihn begleitende australische Tasmanian Symphony Orchestra leitet.
Die ganze Reihe von HYPERION ist (natürlich auch die Aufnahmen mit anderen Solisten und Orchestern) wirklich sehr zu empfehlen - hier kann man noch echte Entdeckungen abseits ausgetretener Repertoirepfade machen!

Dienstag, 11. Mai 2010

Das Bonmot für Zwischendurch...

Bevor ich mich für ein paar Tage verabschiede, möchte ich heute noch zwei sehr geistreiche Bemerkungen von Gustav Mahler (1860-1911) präsentieren - es muss ja nicht immer von Oscar Wilde sein *zwinker*

Was ihr Theaterleute eure Tradition nennt, das ist nichts anderes als eure Bequemlichkeit und Schlamperei.


Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.

Donnerstag, 6. Mai 2010

Neulich im Theater...

Fast hätte ich vergessen, von meinem letzten Opernbesuch zu berichten:

Vergangenen Freitag (30.04.10) war ich endlich wieder mal (seit März!) in der Kölner Oper - es gab Verdis "La Traviata" (eine meiner absoluten Lieblingsopern!), die ich seit Jahren nicht mehr live gesehen (und natürlich gehört) habe.

Die Neuinszenierung von Dietrich Hilsdorf (die Premiere war am 28.11.2009) hatte ganz gute Kritiken bekommen und vor allem die Tatsache, dass man diesmal - ganz untypisch für Kölner Verhältnisse der letzte Jahre - weder besonders abstrakte oder schräge Bühnenbilder und Kostüme, sondern im Gegenteil konkret vorstellbare Räumlichkeiten und ganz hübsch anzusehende Kostüme präsentiert bekam, hat mich dazu bewogen, mir nun endlich mal wieder (im anscheinend komplett ausverkauften Haus) eine Traviata live und in Farbe zu gönnen!

Vor ungefähr 10 Jahren hatte es in Köln die letzte Traviata-Inszenierung gegeben, die - so der brillante Einfall des Regisseurs - auf einem Tennisplatz (!) spielte… Auf diese in meinen Augen etwas alberne Idee hatte ich dann aber keine Lust (stirbt Violetta schon im Tie-Break oder schafft sie es doch bis zum Matchball im dritten Satz…?!?!) und so blieb ich der letzten Kölner Traviata eben fern.

Nun, diesmal gab es absolut keinen Grund, sich über die Inszenierung zu ärgern: Das Ganze spielte schätzungsweise in den 1930er Jahren im "Restaurant Coquet" (nomen est omen!) "westlich von Paris", wie es zu Beginn in den über der Bühne eingeblendeten Übertiteln zu Lesen stand. Violetta Valéry ist ganz offensichtlich die Hausherrin dieses Etablissements, in dem man neben gepflegter Küche auch dem Billardspiel und ausgiebigen Tanzvergnügungen frönt. Neben dem wirklich aufwendig und sehr realistisch gestalteten Bühnenbild (eigentlich ist so etwas nicht besonders erwähnenswert, aber hier in Köln ist man so eine Tatsache schon fast gar nicht mehr gewöhnt!) trugen die zahlreichen Darsteller (Solisten, Chor und Statisten) denn auch entsprechende Ballgarderobe aus jener Zeit. Das war wirklich schön anzusehen und passte für mein Gefühl tausend Mal besser zu der Musik und der eigentlichen Handlung als alle schiefen Ebenen und kahlen Bühnenräume (also das, was man von Regisseuren leider heutzutage meist "serviert" bekommt) zusammen…

Die Drehbühne zeigte vier verschiedene Räume des Etablissements: Eingangsbereich mit bröckelnder Außenfassade, Speisesaal, Ball- bzw. Billardsaal und der mit (schönen alten) Waschbecken ausgestattete Vorraum zu den Toiletten. Alle Räume waren durch mehrere Türen miteinander verbunden, so dass man mitunter den Gang einzelner Figuren von einem zum anderen Raum bei sich gleichzeitig lautlos drehender Bühne mitverfolgen konnte - solche Effekte finde ich immer faszinierend!
Raffiniert war, dass im Hintergrund der beiden großen Säle eine Leinwand stand, auf der teils aufgezeichnete, teils live aufgenommene Bilder der Bühnenräumlichkeiten (und der sich dort tummelnden Personen) zu sehen waren, was dem Ganzen zum einen den Effekt gab, dass die stets amüsierwillige, stets präsente Festgesellschaft in Violettas Restaurant im Bühnenhintergrund gleich noch mal zu sehen war und somit noch größer (und austauschbarer) wirkte, zum anderen zeitweise (vor allem während der Soloszenen Violettas) dazu genutzt wurde, quasi ihr imaginäres Spiegelbild als sinnfällige Illustration ihres Seelenzustandes ruhe- und pausenlos im Hintergrund durch die leeren Säle und Türen hasten zu lassen oder auch den bekannten "Spiegelbild-im-Spiegelbild-Endlos-Effekt" zu nutzen, um unendlich viele einsame Violettas gleichzeitig vorführen zu können.
Diese technische Spielerei fügte sich nahtlos in die ansonsten - wie bereits erwähnt - sehr realistisch gestaltete Szenerie ein und wirkte weder wie ein Bruch noch wie ein Störelement.
Ziemlich störend hingegen war der Gazevorhang, der zu Beginn des dritten Aktes eine ganze Zeit die ja bereits bekannte Szenerie verhüllte und kaum Durchblicke auf das Bühnengeschehen zuließ, zumal er mit einer etwas amateurhaft-naiv wirkenden Restaurantaußenansicht bepinselt war. Was mit diesem Vorhangeffekt bezweckt werden sollte, erschloss sich wohl niemandem so recht - das Ding störte einfach nur!

Ganz am Schluss der wohl stärkste Effekt der ganzen Inszenierung: Noch während Violetta im Waschraum tot zusammenbricht, dreht sich die Bühne ein letztes Mal in Richtung des angrenzenden Festsaals, wo sich bereits wieder die zahlreichen Paare amüsieren, tanzen und Billard spielen, also ihren üblichen, sinnentleerten und nicht enden wollenden Vergnügungen nachgehen - und von dem tragischen Geschehen nebenan überhaupt nichts mitbekommen (wollen?). Beim Schlussakkord friert diese ganze plötzlich so gespenstisch wirkende Festgemeinschaft mitten in der Bewegung ein - Licht aus, Vorhang, Schluss! Klasse gemacht - dieses Bild bleibt hängen!

Wie anscheinend mittlerweile überall üblich und selbstverständlich wurden auch in der Kölner Aufführung in beiden großen Soloarien Violettas die von Verdi eigentlich vorgesehenen, "baugleichen" zweiten Strophen weggelassen (warum eigentlich???), was diesmal allein schon deshalb schade war, weil die Darstellerin der Violetta, die junge Russin Evelina Dobraceva eine wirklich angenehme, lyrische und klare Stimme besitzt und es wirklich Vergnügen bereitete, ihr zuzuhören! Entsprechend groß war am Schluss auch der Beifall für diese auch schön anzusehende Hauptdarstellerin. Wenn man berücksichtigt, dass die Kölner Violetta gleichzeitig ihr Rollendebüt bedeutete, muss man sagen: Alle Achtung! Ok - ein paar kleinere "Stolperer" gab es, aber das ist nun wirklich nicht schlimm, wenn man noch nicht so viel Praxis mit dieser Rolle hat (ausgerechnet an der Stelle, wo Violetta das einzige Mal von sich selbst als der "Traviata", also der "vom rechten Wege Abgekommenen" singt, schien die Sängerin den Kontakt zum Orchester für einen Moment völlig verloren zu haben - man fand aber zum Glück schnell wieder zueinander!)

Der Darsteller des Alfredo, der junge Russe Daniil Shtoda, verfügt zwar über eine schöne, leicht metallisch glänzende Tenorstimme, hatte jedoch (zumindest an dem Abend?) leider Probleme, sich an lauteren Stellen gegen das Orchester durchzusetzen: Kaum wurde es etwas lauter, war vom guten Alfredo fast nichts mehr zu vernehmen - schade! An den lyrisch-zarten Stellen jedoch vermochte dieser Tenor jedoch durchaus für sich einzunehmen: Angenehme Stimmfärbung, kein Geknödel oder störendes Tremolo - nur die Lautstärke fehlt halt zuweilen. Aber vielleicht wird das ja noch - auch Herr Shtoda steht noch am Beginn seiner Laufbahn.

Den Vater Germont gab der Armenier Mikael Babajanyan - streckenweise war mir sein Bariton etwas zu röhrig, jedenfalls hatte er keine Schwierigkeiten, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Insgesamt fand ich seine Gesangsdarbietung aber ganz in Ordnung.

Alle übrigen (gut besetzten) Nebenrollen sind in La Traviata ja so klein, dass sie eigentlich keiner besonderen Erwähnung bedürfen, der Kölner Opernchor war wirklich gut drauf und auch das Gürzenich-Orchester unter der Leitung des jungen Dirigenten Markus Poschner ließ keine Wünsche offen: Die Tempi waren gut gewählt, da schleppte nichts und die Einsätze kamen auch recht präzise.

Also alles in allem ein gelungener Opernabend mit einer Inszenierung, wie ich sie für eine Kölner Traviata nicht (mehr) für möglich gehalten hätte!! Weiter so!

Mittwoch, 5. Mai 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute spielte Wolfgang Abendroth uns versammelten "Orgel-Freaks" zunächst die Bearbeitung eines Vivaldi-Konzerts, das sein Zeitgenosse Johann Gottfried Walther (1684-1748), der hauptsächlich in Weimar tätig war, für die Orgel bearbeitet hat. Eine gelungene Orgel-Adaption, wie ich finde - der für Vivaldi-Konzerte so typische Schwung und die sprichwörtliche "italienische Leichtigkeit" kamen auch in dieser Fassung gut rüber.

Danach kam dann mit Sigfrid Karg-Ehlert (1877-1933) ein Spätromantiker an die Reihe - es gab seine zweisätzige Sonatine a-moll; vor allem der zweite Satz, eine "Ciacona", hat mir besonders gefallen.

Montag, 3. Mai 2010

Alessandro Scarlatti - 350. Geburtstag

Als Freund der Barockoper möchte ich keinesfalls den runden Geburtstag eines ihrer berühmtesten Protagonisten aus der Zeit um 1700 unerwähnt lassen:
Am 2. Mai 1660 wurde der aus einer Musikerfamilie stammende Alessandro Scarlatti auf Sizilien geboren (er starb im Jahr 1725 in Neapel) - er gehört also auf jeden Fall zu den prominenten Komponisten-Jubilaren des Jahres 2010, auch wenn er heutzutage vielleicht nicht ganz so populär ist wie ein Chopin oder Schumann...

Ausgebildet wurde er in Rom, wo er auch seine ersten kompositorischen Erfolge verbuchen konnte und zwar in den beiden Bereichen, in denen er später seine größte Bekanntheit erlangen sollte: Die Oper und die (weltliche) Solokantate. Scarlatti konnte in dieser römischen Zeit bereits viele mächtige und wohlhabende Gönner und Förderer bei Kirchenfürsten und weltlichen Aristokraten gewinnen, was ihm zeitlebens einträgliche Stellungen bzw. Kompositionsaufträge einbrachte.
Zwischen 1683 und 1703 war Scarlatti (mit einigen kürzeren Unterbrechungen) in Neapel vor allem als Opernkomponist tätig und wirkte dort äußerst erfolgreich und damit stilprägend für die gesamte Gattung der italienischen Oper im beginnenden 18. Jahrhundert (weswegen man auch von der "neapolitanischen Oper" spricht, wenn man italienische Opern aus dieser Zeit meint, denn dieser Stil wurde bald - außer in Frankreich - in ganz Europa begierig aufgenommen und nachgeahmt).
1685 wurde Scarlattis Sohn Domenico (1685-1757) geboren, der vor allem durch seine zahlreichen Sonaten für das Cembalo berühmt geworden ist.

Der Zeit in Neapel folgte von 1703 bis 1708 nochmals ein Intermezzo in Rom, wo Alessandro Scarlatti aufgrund des in der Heiligen Stadt zu der Zeit vom Papst verhängten "Opernverbots" (diese galten in dessen Augen als äußerst unsittlicher Theaterspuk!) zwangsläufig geistliche Musik und hier vor allem Oratorien komponierte - wie viele seiner im Musikbusiness tätigen Zeitgenossen - die aber letztlich nichts weiter waren als "Opern im geistlichen Tarnlook": Die Musik klang wie Opernmusik, es traten dieselben Sänger auf wie im Opernhaus, lediglich die szenischen Theateraufführungen entfielen (das Publikum wollte schließlich nicht auf aktuelle Musik verzichten und war dementsprechend zu solchen Zugeständnissen bereit!). Außerdem komponierte Scarlatti hier erneut eine große Anzahl der nach wie vor bei seinen Gönnern äußerst beliebten Solokantaten, deren Texte er auch oft selber verfasste.

Seine letzte berufliche Station fand Scarlatti dann wieder ab Ende 1708 in Neapel, wo er weiter Opern komponierte aber auch junge Musiker und Komponisten unterrichtete.
Seine späten Opern sind musikalisch sehr ambitionierte, anspruchsvolle Werke und waren beim Publikum, das stets nach neuer leichter und eingängiger musikalischer Unterhaltung gierte, längst nicht mehr so beliebt und erfolgreich wie seine früheren Opern.
Für heutige Musikfreunde sind gerade diese späten Opern daher besonders interessant, z. B. seine (vor)letzte Oper Griselda aus dem Jahr 1721, die in einer Aufnahme unter der Leitung von René Jacobs im Jahr 2003 erschien.

In Kopplung mit dem Stabat Mater von Pergolesi gibt es auch eine schöne Aufnahme seines Stabat Mater (mit Teresa Berganza und Mirella Freni als Solistinnen) und sechs seiner Concerti grossi - hier sind einmal Werke von Scarlatti aus Gattungen vertreten, die er nicht ganz so intensiv "beackert" hat, wie die Oper und die Solokantate.

Von den -zig Kantaten findet man immer wieder einzelne Werke, zum Beispiel in verschiedenen Recitals von Sängerinnen und Sängern - die Kantate für Solosopran und -trompete "Su le sponde del Tebro" ist beispielsweise in einer sehr schönen Einspielung mit Wynton Marsalis und Kathleen Battle enthalten.
Die Weihnachtskantate "O di Betlemme altera" findet man z. B. in einer Aufnahme mit dem Kölner Kammerorchester unter der Leitung von Helmut Müller-Brühl.
Dies nur zwei Empfehlungen - es gibt hunderte dieser Kantaten von Scarlatti und entsprechend viele Aufnahmen entweder ganzer Kantaten oder einzelner Arien daraus.

Aus der oben erwähnten Zeitspanne des ersten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts, während der Scarlatti in Rom weilte, wo der Papst die Oper verboten hatte, gibt es eine sehr interessante Zusammenstellung verschiedener zu der Zeit dort entstandener Werke, für die Cecilia Bartoli verantwortlich zeichnet. Scarlatti darf hier natürlich nicht fehlen - sehr zu empfehlen...

Alessandro Scarlatti hat für die spätere Entwicklung des Streichquartetts wichtige Vorarbeit geleistet, in dem er für diese Besetzung einige Kompositionen anfertigte und außerdem durch die konsequente Verwendung der "Sinfonia" genannten dreiteiligen Opernouvertüre (Satzfolge schnell - langsam - schnell) quasi auch der späteren Symphonie den Weg bereitet.
Außerdem machte er die dreiteilige Da-Capo-Arie in seinen Opern, Kantaten und Oratorien für Jahrzehnte und Generationen von komponierenden Nachfolgern quasi zum Standard für Solo-Gesangsstücke. Sein Einfluss auf Zeitgenossen und spätere Komponisten ist also nicht zu unterschätzen!
Es lohnt sich, die Musik von Signore Scarlatti (neu) zu entdecken!