Mittwoch, 30. Juni 2010

Zuletzt gehört...

Da hab ich ja was angefangen letzte Woche mit den Beethoven-Klavierkonzerten...!

Vor allem das prägnante Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 37 (Beethovens einziges Klavierkonzert in einer Moll-Tonart) hat mich über das gesamte Wochenende "verfolgt" und gestern Nachmittag habe ich dann den äußerst einprägsamen Beginn des ersten Satzes als persönlichen Ohrwurm mit mir herumgetragen (wobei ich froh war, dass es zur Abwechslung mal dieses geschmackvolle Beethoven-Thema war, das sich in meinem Kopf festgesetzt hatte, denn meist ist es mit Ohrwürmern gemeinerweise ja so, dass man ausgerechnet die Melodien nicht mehr loswird, die man eigentlich überhaupt nicht ausstehen kann und am liebsten ganz schnell wieder vergessen würde...!) und ich konnte es dann am Ende kaum noch erwarten, mir zu Hause das dritte Klavierkonzert erneut in voller Schönheit und Länge zu Gemüte führen zu können - in dieser Intensität ist mir sowas auch schon lange nicht mehr passiert, weder mit einem klassischen Musikstück noch mit einem Ohrwurm übehaupt!

Beethoven hat sich mit dem Beginn des ersten Satzes aber auch einen echten Hammer einfallen lassen - einmal gehört und schon kann ihn jeder sofort mitsummen! Dabei fällt mir auf, dass so simple und unglaublich einprägsame Themen wie dieses gerade von den Komponisten der Wiener Klassik (also Haydn, Mozart und eben Beethoven) sehr gerne verwendet wurden. Ich denke dabei zum Beispiel gerade an den Beginn der Kleinen Nachtmusik, der 5. Beethoven-Symphonie oder den 2. Satz der Symphonie mit dem Paukenschlag von Haydn.
Ich glaube es entsprach zum Teil der damaligen "Komponisten-Philosophie", sowohl für Laien als auch für Liebhaber geeignete Musik zu komponieren (es gibt z. B. Zitate aus Mozart-Briefen zu diesem Thema) und eben beide Erwartungshaltungen in ein und demselben Stück miteinander zu verbinden!
Und es gehört ja nun weiß Gott eine große Meisterschaft dazu, ein derart simples Thema wie z. B. das "Ta-ta-ta taaa" zu Beginn der 5. Symphonie so raffiniert zu verarbeiten, dass das Stück eben nicht so klingt wie die Krönungsmesse des zwölfjährigen Heinz Klemke, sondern den Hörer herausfordert, weil Spannung erzeugt wird und musikalischer Anspruch im vermeintlich Einfachen verborgen liegt.

Mit dem dritten Klavierkonzert Beethovens verhält es sich genauso - aus einem solch plakativen Satzbeginn muss man erstmal einen effekt- und spannungsvollen Satz kreieren können ohne in formelhafte Plattitüden zu verfallen! Beethoven gelingt dies erwartungsgemäß grandios - aber auch der zweite und dritte Satz dieses Konzerts (das ist ein Rondo mit einem ebenfalls sehr einprägsamen Thema) stehen dem ersten in nichts nach!

Ich habe mir gestern eine Aufnahme aus dem Jahr 2005 angehört - Solist ist Michael Rische, Marcus Bosch dirigiert das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin.
Das Besondere an dieser CD ist die Tatsache, dass Rische nicht nur Beethovens eigenhändige Kadenz zum ersten Satz, sondern gleich noch sechs (!) weitere Alternativen aus dem 19. und 20. Jahhundert eingespielt hat (inklusive einer eigenen)! Dank CD-Programmierung kann man sich nun gezielt für eine der sieben Kadenzen am Ende des ersten Satzes entscheiden (oder man hört sich gleich alle hintereinander an *grins*)
Eine tolle Idee, die ich mir auch für andere Konzerte wünschen würde!

Der Übergang von Kadenz zum Abschluss des Satzes, wo Orchester und Klavier wieder zusammenspielen (der dauert hier knapp eine Minute) wurde für dieses Projekt übrigens von Solist und Orchester auf jedem dieser 7 Tracks erneut eingespielt, damit die Musik ohne störende Übergänge und Brüche weitergehen und der erste Satz so zu einem "runden" Abschluss gebracht werden kann.

Und es ist wirklich sehr spannend zu sehen, wie spätere Komponisten/ Solisten versucht haben, ihre eigenen Sichtweisen zum musikalischen Material dieses ersten Satzes in eine Solo-Kadenz (= der Pianist spielt allein, das Orchester schweigt währenddessen) zu gießen.
Das Ganze gipfelt in einer gut siebenminütigen Kadenz (die damit schon halb so lang ist wie der gesamte erste Satz!) von Charles Valentin Alkan (1813-88), der es in diesem rahmensprengenden Koloss sogar noch schafft, ein Thema aus dem vierten Satz der 5. Symphonie von Beethoven einzubauen, das erstaunlicherweise dann auch noch große Ähnlichkeit mit dem Beginn des ersten Satzes dieses Klavierkonzerts hat!
Interessant auch Versuche von Komponisten aus dem frühen 20. Jahrhundert, zeitgenössische Klänge in ihre Kadenzen mit einfließen zu lassen (Erwin Schulhoff [1894-1942]) - stilistisch hat das dann zwar nicht mehr viel mit Beethoven zu tun, aber das macht die ganze Sache ja so spannend! Und wenn ich da an die schon ans Groteske grenzende Kadenz denke, die Alfred Schnittke (1934-98) für Beethovens Violinkonzert "kreiert" hat, ist die erwähnte Kadenz von Herrn Schulhoff wirklich harmlos dagegen...

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Auch heute war unser mittägliches Orgelkonzert (in der herrlich kühlen Johanneskirche!) stilistisch in zwei sehr unterschiedliche Hälften aufgespalten:
Zunächst spielte uns Wolfgang Abendroth - quasi ergänzend zu den Stücken der letzten Woche - vier kürzere Stücke eines eher unbekannten Vertreters der Klassik-Epoche: Justinus Heinrich Knecht (1752-1817). Die kurzen Sätze kamen fröhlich, elegant und leichtfüßig daher wie viele vergleichbare Orgelwerke aus der Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

Dann gab es das Kontrastprogramm mit der fünfsätzigen Suite médiévale (also der "mittelalterlichen Suite") des Franzosen Jean Langlais (1907-91), einer der großen Orgelmeister des 20. Jahrhunderts.
Langlais zieht für diese ca. 15-minütige Suite wirklich im wahrsten Sinne des Wortes alle Register der Orgel und präsentiert hierin sehr abwechslungsreich gestaltete freie Verarbeitungen gregorianischer Choräle und anderer mittelalterlicher Kirchenlieder, wobei er zum einen auch disharmonische Passagen nicht scheut, auf der anderen Seite (z. B. im fünften und vor allem im ersten Satz) aber auch versucht, einen "typisch mittelalterlichen" Klang zu erzeugen und damit bei seinen Zuhörern die majestätische Atmosphäre einer gotischen Kathedrale heraufzubeschwören. Ein echtes Erlebnis!

Freitag, 25. Juni 2010

Zuletzt gehört...

Nach dem Anhören von Beethovens Neunter am Mittwochabend habe ich wieder mal richtig Lust bekommen auf ein paar weitere Klassiker von "uns' Luttwisch"!

Und so habe ich mir gestern dann die Klavierkonzerte Nr. 3 c-moll op. 37 und Nr. 4 G-Dur op. 58 gegönnt - und mich gefragt, warum ich mir diese wundervollen Sücke sooo lange schon nicht mehr angehört habe?!

Ich hatte die legendäre Aufnahme der Dt. Grammopohon mit Wilhelm Kempff als Solist, den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Ferdinand Leitner aus dem Jahr 1962 im CD-Player (sie ist Teil der unten abgebildeten 3 CD-Box mit allen 5 Klavierkonzerten plus der Klaviersonate op. 111).
Erwähnenswert an dieser grandiosen Einspielung ist vielleicht noch die Tatsache, dass alle (für mein Empfinden sehr gelungenen) Kadenzen von Wilhelm Kempff selber stammen, obwohl es vom Komponisten selber jeweils mehrere Alternativen aus eigener Feder zur Auswahl gibt (die man in anderen Aufnahmen und im Konzert dann auch entsprechend häufig zu hören bekommt!). Hier einmal vom Solisten selber stammende Kadenzen präsentiert zu bekommen, ist für mich somit quasi das i-Tüpfelchen dieser anonsten eh schon maßstabsetzenden Aufnahme!

Donnerstag, 24. Juni 2010

Zuletzt gehört...

... sicher kein Stück für jeden Tag, aber manchmal packt es mich einfach und dann ist es immer wieder grandios anzuhören - gestern Abend war es dann mal wieder soweit:

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Symphonie Nr. 9 d-moll op.125


Ich habe mir gestern die Karajan-Aufnahme aus dem Jahr 1962 angehört (die ist im Rahmen des ersten von insgeamt drei Beethoven-Symphonien-Zyklen entstanden, die Karajan im Lauf der Jahrzehnte für die Dt. Grammophon eingespielt hat)- eine, wie ich finde, sehr gelungene und mitreißende Einspielung, der man ihre knapp 50 Jahre nicht anmerkt!

Besetzungsliste:
Gundula Janowitz, Sopran
Hilde Rössel-Majdan, Alt
Waldemar Kmentt, Tenor
Walter Berry, Bass
Wiener Singverein
Berliner Philharmoniker


Mittwoch, 23. Juni 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Der erste Teil unserer dieswöchigen halbstündigen Orgelei beinhaltete drei kürzere Stücke von eher unbekannten Komponisten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts (die Zeit der sogenannten "Vor- oder Frühklassik"): Die Fantasie in F-Dur von Johann Gottfried Müthel (1728-88) und zwei Voluntaries (d- und a-moll) von John Stanley (1712-86).
Im zweiten Teil präsentierte uns Wolfgang Abendroth dann einen echten Klassiker aus der Epoche der von mir so geliebten "französischen Orgelromantik": Den geradezu symphonisch angelegten Choral Nr. 2 von César Franck (1822-90).

Montag, 21. Juni 2010

Das Bonmot für Zwischendurch...

... heute mal wieder was garstig-geistvolles vom größten Bonmot-Verbreiter aller Zeiten: Oscar Wilde (sagte ich schon, das ich ein großer Fan von ihm bin...?) - diesmal zum Dauerbrenner-Thema "Männer und Frauen":

Man sollte nie einer Frau trauen, die einem ihr wirkliches Alter verrät. Eine Frau, die einem das erzählt, würde einem auch alles andere erzählen.


Frauen werden nie durch Komplimente entwaffnet. Männer stets. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern!


Männer machen immer ein so dummes Gesicht, wenn sie ertappt werden. Und sie werden stets ertappt!


Ich liebe Männer, die eine Zukunft und Frauen, die eine Vergangenheit haben! Ich ziehe Frauen mit einer Vergangenheit vor. Man kann sich mit ihnen so verdammt gut unterhalten!

Donnerstag, 17. Juni 2010

Ein Jahr Musica Classica!

Unglaublich - jetzt ist es tatsächlich schon ein ganzes Jahr her, seit ich hier den ersten Beitrag reingeschrieben habe!

Und es macht immer noch Spaß, für diesen meinen Blog etwas zu schreiben!

Ich stehe auch nach wie vor dazu, dass ich mich letztes Jahr für das Nischenthema "klassische Musik" entschieden habe - zwar war mir da schon klar, dass das mit Sicherheit hier im Netz nicht unbedingt eine große Resonanz haben würde, aber ich hatte zum einen keine Lust, hier den x-ten Mode- oder Lifestyle-Blog zu eröffnen (da gibt es viele andere Blogs, die diese Themen viel besser behandeln können als ich!) und zum anderen schreibt es sich doch am allerbesten und leidenschaftlichsten über die Themen, die einem besonders am Herzen liegen, oder?
Und ich finde, dass auch mein gewähltes Thema in der Bloggerszene seine Daseinsberechtigung hat!
Mittlerweile habe ich zu meiner Freude zwar schon ein paar weitere Blogs entdeckt, die sich ebenfalls mit klassischer Musik und Opern befassen (stehen rechts in der Liste "Blogs, die ich verfolge") - allerdings muss ich sagen, dass es mich doch überrascht hat, wie wenig andere Klassik-Blogs es im Endeffekt tatsächlich gibt...!
Die Bezeichnung "Nischenthema" trifft da wohl voll ins Schwarze!
Umso mehr bin ich entschlossen, an diesem Klassik-Blog hier festzuhalten!
Ich habe mit Sicherheit aber auch noch nicht alle anderen Blogs zum Thema gefunden (und bin für Tipps hierzu immer dankbar!) - die Suche geht also weiter.

Am wichtigsten bleibt für mich nach wie vor die Tatsache, dass ich hier vor allem für mich selber schreiben kann (und wenn diese Sachen dann auch andere lesen können und daran eventuell auch noch Freude haben - umso besser!).
Durch die Beschäftigung in den letzten Monaten mit runden Geburts- oder Todestagen von Komponisten, die mich persönlich interessieren oder dem gezielten Suchen nach Kompositionen mit Bezügen zu den vier Jahreszeiten habe ich schon eine Menge neuer Dinge erfahren und auch die ein oder andere interessante musikalische Neuentdeckung machen können. Allein das war die ganze Sache schon wert!

In diesem Sinne: Ich bin gespannt, was das nun beginnende zweite Jahr für diesen Blog hier so alles bringen wird, danke allen interessierten LeserInnen und KommentatorInnen und verspreche, weiterhin am musikalischen Ball zu bleiben!

Viele klangvolle Grüße aus Köln vom KLASSIKer

Mittwoch, 16. Juni 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Vergangenen Mittwoch musste die Lunch-Tme-Orgel leider ausfallen, weil ausgerechnet an dem Tag zur Mittagszeit in der Johanneskirche der ökumenische Gottesdienst für die neugewählten NRW-Landtagsabgeordneten stattfand (der Landtag traf sich dann am Nachmittag des selben Tages zur konstituierenden Sitzung).

Dafür wurden wir heute wieder mit einem besonders abwechslungsreichen halbstündigen Programm entschädigt:
Wolfgang Abendroth spielte uns zunächst 4 kürzere Sätze aus Léon Boëllmanns (1862-1897) Orgelmusik-Sammlung "Heures Mystiques" (ein Entrée, zwei Offertoires und eine Sortie).
Als Kontrast dazu folgten zwei Sätze (der fünfte und sechste) aus Olivier Messiaens (1908-92) Zyklus "Les corps glorieux", bevor es dann als Finale zwei Opernouvertüren von Giuseppe Verdi (1813-1901) gab, die Wolfgang Abendroth selber für die Orgel arrangiert hatte: "La Traviata" und "Nabucco" - besonders die letztgenannte klang auf der Orgel ganz großartig!

Mittwoch, 9. Juni 2010

Otto Nicolai - 200. Geburtstag

… und schon wieder ein "runder Zweihunderter" *grins*

Heute vor 200 Jahren wurde Otto Nicolai in Königsberg geboren. Seine Lebensdaten sind fast identisch mit denen Chopins: Im selben Jahr wie der große polnische Pianist geboren, verstarb auch Nicolai viel zu früh im Mai 1849 (einen knappen Monat vor seinem 39. Geburtstag) - Chopin starb im Oktober des selben Jahres.
Im Vergleich zu den bereits hier im Blog gewürdigten Jubilaren Chopin und Schumann ist Otto Nicolai zumindest heutzutage weitaus weniger prominent, dennoch kann auch er einige musikhistorische Verdienste für sich verbuchen, für die er eigentlich ein bisschen mehr Bekanntheit in der Musikwelt verdient hätte.

Aufgewachsen im ostpreußischen Königsberg in einer Familie von Kirchenmusikern (sein Vater brachte ihm die musikalischen Grundlagen bei) und dann zu Studienzwecken nach Berlin gegangen, wurde Nicolai Mitglied der dortigen Sing-Akademie und studierte schwerpunktmäßig Kirchenmusik bei Carl Friedrich Zelter (1758-1832), dem heute vor allem als Goethe-Freund bekannten Komponisten und der damals überaus berühmten und geschätzten Musikautorität Preußens schlechthin.

Im Alter von 23 Jahren ging Nicolai als Organist nach Rom, wo er an der Kapelle der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan tätig war und den Italienaufenthalt natürlich auch dazu nutzte, italienische Kompositionen (hier vor allem der Renaissance) vor Ort kennenzulernen und intensiv zu studieren. Neben den Studien dieser altehrwürdigen "Klassiker" erwachte im jungen Kirchenmusiker Nicolai aber auch die Leidenschaft für die zeitgenössische italienische Oper (vor allem von Donizetti, Bellini und Mercadante), die zu der Zeit in Deutschland als eher trivial angesehen wurde.
Eine für einen protestantischen Kirchenmusiker also erstaunliche "Wandlung" - wahrscheinlich spielte aber neben der Musik auch das ganze Umfeld in den Operntheatern vor Ort - die Leidenschaft und Hingabe von Sängern und Publikum für das Kunstwerk Oper - eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eine gewisse, für seine Zeit eigentlich völlig untypisch "multikulturelle" Veranlagung war in dem jungen Musiker erwacht, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Er schrieb zu der Zeit sogar leidenschaftliche Aufsätze, in denen er die italienische Oper deutscher Skepsis gegenüber zu verteidigen suchte und in denen bereits die Idee der Verwirklichung eines Kompositionsstils anklingt, in dem die deutsche Kompositionstradition wirkungsvoll mit der so bewunderten italienischen Leichtigkeit verschmolzen werden sollte. Eine Idee, die er zu seiner persönlichen Aufgabe machen sollte. Eine Idee, die - gerade zur damaligen Zeit - als geradezu undurchführbar oder zumindest äußerst ehrgeizig erscheinen musste!
Nicolai schickte seine schriftlichen Ausführungen nach Deutschland an Robert Schumann, der diese in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für Neue Musik dann auch tatsächlich abdruckte - allerdings nicht ohne ihnen kritisch-polemische Kommentare beizufügen, wahrscheinlich konnte (und wollte) er die Ideen Nicolais einfach nicht ernst nehmen. Das konnte diesen jedoch von seinen einmal gefassten Vorstellungen nicht abbringen.

Als im Jahr 1835 der italienische Opern-Superstar Vincenzo Bellini im Alter von nicht einmal 34 Jahren überraschend verstarb, komponierte der sichtlich betroffene Nicolai für eine Gedenkfeier einen Großen Trauermarsch in echt italienischem Stil, in dem auch Motive aus Bellinis Erfolgsoper Norma anklingen.

Nach vier Jahren in Italien ging Nicolai zunächst nach Wien (als Kapellmeister am Kärntnertortheater), ihn hielt es aber nur für ein Jahr dort, dann zog es ihn 1838 wieder zurück nach Rom, wo er mit der Komposition italienischer Opern begann, die - in verschiedenen Städten Norditaliens uraufgeführt - auch recht erfolgreich waren (und das, obwohl sie von einem "Nordländer" komponiert worden waren!) Nicolai hatte wohl - talentiert wie er war - seine musikalischen Studien vor Ort dazu genutzt, sich das typisch italienische Idiom vollkommen zu Eigen zu machen.
Er konnte es sich sogar leisten, Textbücher, die ihm zur Vertonung vorgelegt wurden, abzulehnen: So will es die Legende, dass Nicolai vom Librettisten Temistocle Solera (1815-1878), der für ihn das Textbuch zu seiner Oper Gildippe ed Odoardo verfasst hatte (UA war im Dezember 1840 in Mailand), sein neu verfasstes Libretto mit dem Titel Nabucodonosor (dt. "Nebukadnezar") zur Vertonung angeboten wurde, dieser jedoch dankend ablehnte. Es schien ihm wohl nicht zu gefallen oder zu inspirieren. Jedenfalls bot Solera seinen Nabucodonosor daraufhin einem bis dato auf dem Opernsektor nicht sehr erfolgreichen jungen Landsmann zur Vertonung an: Unter dem Titel Nabucco wurde diese Oper dann im Jahr 1842 der erste durchschlagende Erfolg des jungen Giuseppe Verdi (1813-1901)! Der in dieser Oper enthaltene Gefangenenchor ist bis heute so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne Italiens… Was wohl geschehen wäre, wenn Otto Nicolai dieses ihm angebotene Libretto doch vertont hätte und Verdi gar nicht zum Zuge gekommen wäre?

Interessant ist, dass mit Nicolai ein weiterer deutscher Komponist in Italien sein Glück mit der Oper versuchte und damit auch recht erfolgreich war. Auf diesem Gebiet war es für einige prominente Kollegen aus deutschen Landen bereits ähnlich gut gelaufen "im Land, wo die Zitronen blüh'n": Georg Friedrich Händel (1685-1759), Johann Adolf Hasse (1699-1783), Christoph Willibald Gluck (1714-87), W. A. Mozart (1756-91) und einige Jahre vor Nicolai machte zuletzt Giacomo Meyerbeer (eigentlich Jakob Meyer Beer, 1791-1864) in den 1820er Jahren in Italien auf sich aufmerksam, bevor er schließlich in Paris der berühmteste Opernkomponist seiner Zeit wurde.

Nachdem Nicolai sich in Italien einen Namen gemacht hatte, kehrte er (nach dem Misserfolg seiner Oper Il proscritto, der wohl auf Querelen mit der Primadonna zurückzuführen war) 1841 nach Wien zurück und wurde dort Kapellmeister an der Wiener Hofoper. Dort gründete er 1842 die Philharmonischen Konzerte (hier wurden unter anderem unter seiner Leitung erstmals alle neun Sinfonien Beethovens in einem Zyklus aufgeführt, ein absolutes Novum für die damalige Zeit!) und damit gleichzeitig die Wiener Philharmoniker, also das Orchester, das diese Konzertreihen bestritt (es war ein aus Mitgliedern des Hofopernorchesters gegründeter "Orchesterverein", der dann später den heute noch gebräuchlichen Namen "Wiener Philharmoniker" erhielt). Die Wiener Philharmoniker zählen heute zu den weltweit besten und berühmtesten Orchestern und Otto Nicolai als ihr Gründer und erster Leiter ist bei "seinen" Wienern natürlich bis heute eine Legende!
Hier der Live-Mitschnitt des Neujahrskonzerts vom 01. Januar 1992 unter der Leitung des legendären Carlos Kleiber, in dem die Wiener Philharmoniker im Jahr ihres 150. Bestehens an ihren Gründer Otto Nicolai erinnerten und die schmissige Ouvertüre zu den "Lustigen Weibern" in ihr sonst ausschließlich von den "Wiener Walzerkönigen" der Strauß-Familie beherrschtes Programm mit aufnahmen!

Seine preußischen Wurzeln hatte Nicolai allerdings auch nie vergessen und nachdem er sowohl dem preußischen König eine Messe als auch der Universität seiner Heimatstadt Königsberg eine Festouvertüre gewidmet hatte (und es in Wien mit der Theaterleitung zunehmend Streitigkeiten über Opernprojekte gegeben hatte), erhielt er ab 1848 eine Stellung als Kapellmeister der Königlichen Oper und des Domchores in Berlin, die er, der sich in Italien und Wien bereits einen Namen gemacht hatte, sicher gerne annahm.

Hier brachte Nicolai dann auch seine bis heute wohl bekannteste Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" (nach Shakespeares gleichnamiger Komödie) heraus, die im März 1849 in Berlin mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. In dieser Oper konnte Nicolai erstmalig in vollem Umfang sein seit langen Jahren proklamiertes kompositorisches Ziel umsetzen.

Ich halte "Die lustigen Weiber von Windsor" ohne Übertreibung für eine der besten und originellsten deutschsprachigen Opern des gesamten 19. Jahrhunderts! Das kommt vielleicht auch daher, dass ich nicht unbedingt ein großer Wagner-Fan bin ;-)

Aber im Ernst: In den "Lustigen Weibern" vereinen sich in selten gelungener Weise die Elemente der deutschen Spieloper, wie sie von Komponisten wie Conradin Kreutzer (1780-1849) oder Albert Lortzing (1801-51) zur damaligen Zeit erfolgreich verfasst wurden und Einflüsse der italienischen Oper zu etwas ganz Neuem, was es so im Bereich deutschsprachiger Opern seit Mozart so nicht mehr gegeben hatte.
Hätte Nicolai Zeit und Gelegenheit gehabt, sich auf diesem erfolgreich eingeschlagenen Weg noch etwas weiter zu betätigen, wäre die Wirkung und der Einfluss seiner deutsch-italienischen Opernmusik auf seine komponierenden Zeitgenossen sicher größer gewesen - so blieb es leider bei diesem einen Werk, das sich immerhin seit anderthalb Jahrhunderten einer großen Beliebtheit erfreut.
"Die lustigen Weiber von Windsor" sind somit Gipfel- und zugleich Endpunkt eines viel zu früh beendeten Komponistenlebens.

Nur zwei Monate nach dieser vielversprechenden Premiere (der sicher weitere Opern nach gleichem oder ähnlichem Strickmuster gefolgt wären) verstarb Otto Nicolai an einer Hirnblutung.

Was für eine Tragödie! Auf dem Gipfel angekommen und dann in so jungen Jahren verstorben, bevor das eigentliche Wirken richtig beginnen konnte!

Nicolais kompositorisches Werk ist leider nicht sehr umfangreich und bis auf die "Lustigen Weiber" leider auch kaum auf CDs vertreten - erst in den letzten Jahren hat hier erfreulicherweise ein spürbares Interesse an den lange vernachlässigten Werken Otto Nicolais eingesetzt.
Vielleicht trägt sein runder Geburtstag in diesem Jahr dazu bei, dass wieder mehr Musik von ihm aufgeführt wird und größere Beachtung findet.

Ein musikalischer Schwerpunkt Nicolais liegt naturgemäß im Bereich geistlicher Musik - schließlich hatte er als Leiter des Berliner Domchors ein fähiges Ensemble zu Verfügung, für das er entsprechende Kompositionen anfertigen konnte. Eine Reihe von Psalmvertonungen stammen aus dieser Zeit.
Da Nicolai ja bereits seine Ausbildung im Bereich der Kirchenmusik absolviert hatte, existieren auch einige Kompositionen aus jenen Studienjahren (z. B. ein Te Deum aus dem Jahr 1832) in Berlin und Rom, wo er sich wie erwähnt sehr für die Werke und den Stil von Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca. 1514-1594) und dessen Zeitgenossen interessiert hatte.

Dann gibt es neben einigen Liedern (mit Klavierbegleitung) noch einige Orchesterwerke, wie z. B. eine Symphonie in D-Dur oder die "Kirchliche Festouvertüre" op. 31 über den Choral "Ein feste Burg ist unser Gott", die er - wie oben erwähnt - für die Königsberger Universität geschrieben hatte.
In Weihnachtsprogrammen taucht gelegentlich die wirkungsvolle Weihnachtsouvertüre auf, in die Nicolai den bekannten Choral "Vom Himmel hoch, da komm ich her" eingearbeitet hatte.

Von den italienischen Opern Nicolais gibt es erst seit kurzem immerhin eine Einspielung seiner wohl bekanntesten Oper aus dieser Zeit Il Templario (Der Templer), die im Februar 1840 in Turin mit triumphalem Erfolg uraufgeführt und bald darauf in vielen Städten in- und außerhalb Italiens nachgespielt wurde.
Nach mehrmaligem Anhören dieser Oper, die auf dem Roman Ivanhoe aus dem Jahr 1820 von Sir Walter Scott (1771-1832) basiert, bin ich immer wieder überrascht, wie geschickt Nicolai hier den typisch italienischen Operntonfall getroffen hat - eigentlich nicht so selbstverständlich für einen jungen Komponisten, der eine Ausbildung zum protestantischen Kirchenmusiker in Berlin hinter sich hat…!
Die Partituren dieser und andere italienischer Opern Nicolais waren (bzw. sind nach wie vor) verschollen und konnten nur durch geradezu detektivische Recherche in Archiven von Theatern und Verlagen wieder aufgefunden und rekonstruiert werden. Man darf gespannt sein, was da in den kommenden Jahren (hoffentlich!) noch alles an interessantem, seit Ewigkeiten nicht mehr gespielten Material ans Tageslicht kommen wird - das Interesse scheint zumindest erwacht, hier weiter zu forschen!

Und dann gibt es natürlich einige Aufnahmen der unvermeidlichen Lustigen Weiber von Windsor - die meisten stammen aus den 1950er bis 1970er Jahren und können immerhin mit legendären und renommierten Sängern wie Gottlob Frick, Karl Ridderbusch Fritz Wunderlich oder Edith Mathis, Kurt Moll und Peter Schreier aufwarten.
Es gibt auch ein paar wenige Aufnahmen neueren Datums (unter anderem mit Juliane Banse), insgesamt zeigt sich aber auch an dieser Diskographie das nach wie vor erstaunlich geringe Interesse an den deutschsprachigen Opern des 19. Jahrhunderts (von Wagner einmal abgesehen), das seit gut 30 Jahren dazu führt, dass immer seltener Opern von Lortzing, Flotow, Marschner, Nicolai und Co. aufgeführt (und damit auch neu auf CD eingespielt) werden - keine Ahnung, warum das so ist?!?
Naja - wie immer gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass von einem runden Geburtstag wie diesem (auch wenn er ein bisschen im Schatten des gestrigen von Robert Schumann steht) auch ein neuer kräftiger Impuls für die künftige Rezeption der Musik dieses interessanten und ambitionierten Komponisten ausgeht!

Dienstag, 8. Juni 2010

Robert Schumann - 200. Geburtstag

Es ist ein schöner Zufall, dass nach Frédéric Chopin nun auch Robert Schumann (als weiterer großer Klavierkomponist der Romantik) im selben Jahr seinen 200. Geburtstag feiern kann - heute vor genau 200 Jahren wurde Schumann im sächsischen Zwickau geboren.

Schumanns ereignisreiches Leben würde ohne Übertreibung die Grundlage für gleich mehrere hochdramatische und emotionsgeladene Romane und Filme liefern können - was zum Teil (und mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen) auch schon geschehen ist! Wer sich für biographische Details zu diesem Künstlerleben interessiert, dem empfehle ich die Lektüre einer Schumann-Biographie, langweilig dürfte diese bestimmt nicht sein…

Sein jahrelanger (und letztlich erfolgreicher) Kampf um die Verbindung zur innig geliebten Klaviervirtuosin Clara Wieck (1819-96), die unter der Fuchtel ihres kontrollwütigen Vaters Friedrich Wieck stand; der gesundheitsbedingte Abbruch seiner eigenen Pianistenkarriere und der dadurch entstehende Konflikt zu den pianistischen Ambitionen von Clara; die bei ihm immer wieder auftretenden Depressionen, die letztendlich wohl die Einweisung in die Nervenheilanstalt in Bonn-Endenich bewirkten; die hochspannende, sowohl künstlerisch als auch zwischenmenschlich äußerst komplizierte Dreiecksbeziehung zwischen Robert, Clara und dem jungen Johannes Brahms; die nie ganz geklärten Umstände um den zweijährigen (und damit eigentlich länger als wirklich notwendigen?) Aufenthalt im erwähnten "Irrenhaus" in Endenich, in dem Robert im Juli 1856 dann auch stirbt (Clara besucht ihn in dieser Zeit nur ganz zum Schluss ein einziges Mal) - zu all diesen biographischen Stationen dieses viel zu kurzen Komponistenlebens kommt dann noch das Wichtigste: Ein vielgestaltiges kompositorisches Werk, das auch heute noch in großen Teilen nur selten (bis fast gar nicht) gespielt und meiner Meinung nach bislang nicht wirklich richtig gewürdigt wird als das Werk einer der interessantesten und widersprüchlichsten Komponistenpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts!
Für sein Klavierwerk hat sich übrigens seine Witwe Clara, eine der berühmtesten Pianistinnen ihrer Zeit (die ihren Mann um 40 Jahre überlebte!) zeit ihres Lebens immer leidenschaftlich eingesetzt und es immer wieder in zahlreichen Konzerten gespielt.

Gerade Schumanns unrühmliches Ende in der Nervenheilanstalt hat die Nachwelt bei der Beurteilung seines kompositorischen Werks - gerade das der letzten Lebensjahre - viel zu sehr (zu Schumanns Ungunsten) beeinflusst. Immer wieder stößt man auf Versuche, in den Noten und den Tempo- und Instrumentationsvorgaben bereits nach Spuren des beginnenden Wahnsinns, nach krankheitsbedingten vermeintlichen Schwächen zu suchen - das ist meiner Meinung nach überaus unfair - ich bin sicher, diese ganze sensationslüsterne "Fehlersuche" durch die Nachwelt wäre nie geschehen, wenn Schumann plötzlich und unerwartet verstorben wäre - ohne Klinikeinweisung, ohne Anzeichen eines psychischen Leidens.
Das Ganze hat immer etwas von dem Versuch, Schwachstellen im Werk eines Genies zu finden und dieses somit zumindest in Teilen zu "entzaubern" und damit wieder in den Kreis der "normalen", schwachen Menschen mit all ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten zurückzuholen.
Das ist so überflüssig wie unnötig, finde ich. Wer sich mit Schumanns Biographie beschäftigt, wird schnell merken, dass auch er ein ganz normaler Mensch war (der nun wirklich nicht extra "entzaubert" werden muss!), mit allen Schrullen und Unvollkommenheiten - und natürlich auch allen positiven Seiten: Seine Geselligkeit, seine völlig uneitle, selbstlose Einstellung jungen Kollegen gegenüber, die er nach Kräften zu fördern versuchte, seine große schriftstellerische Begabung (hier vor allem auch in der Rolle als Mitbegründer und Herausgeber der heute noch existierenden Neuen Zeitschrift für Musik), usw.

Ein gutes Beispiel für den vermeintlichen "Makel", den Schumanns beginnende Geisteskrankheit angeblich auf die Qualität seiner Kompositionen gehabt haben soll, ist die höchst unglücklich verlaufene Rezeptionsgeschichte seines Violinkonzerts in d-moll WoO 23 aus dem Jahr 1853, seinem letzten vollendeten Orchesterwerk.
Erst im November 1937 (!) wurde dieses Werk dann tatsächlich uraufgeführt - die Veröffentlichung der Partitur war zunächst von Clara abgelehnt, dann vom Erben der Partitur (Schumanns Sohn Johannes) erst für den 100. Todestag (1956) bestimmt worden. Schließlich kam es dann doch zu einer vorzeitigen Uraufführung des Werkes, die allerdings von den Nazis zu propagandistischen Zwecken missbraucht wurde, was der weiteren Rezeption des Werkes in der Nachkriegszeit und im Ausland zusätzlich schadete, so dass dieses Konzert bis heute ein völlig unverdientes Nischendasein führt und - im Gegensatz zum Klavier- und Cellokonzert Schumanns - nach wie vor dem breiten Publikum so gut wie unbekannt ist. Dieser Zustand bessert sich in den letzten Jahren nur sehr langsam, eventuell kann das aktuelle Schumann-Jahr 2010 dazu beitragen, auch diesem Konzert zu der Popularität zu verhelfen, die es eigentlich längst verdient hätte.
Ein weiteres Beispiel ist die (zumindest in der Vergangenheit) oft zu lesende Kritik an der "verbesserungsbedürftigen" Instrumentierung der Sinfonien Schumanns und es hat einige wohlmeinende Versuche gegeben, die vermeintlichen Instrumentierungsfehler zu verbessern und somit die Sinfonien für das Publikum "zu retten".
Allein die Tatsache, dass man solche "Rettungsversuche" überhaupt für notwendig hielt, zeugt von einer ziemlichen Überheblichkeit dem ach so armen, ja offenbar nicht mehr ganz zurechnungsfähigen Komponisten Schumann gegenüber!
Dank der Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis, die sich seit einigen Jahren nicht mehr nur auf den einstigen Forschungsschwerpunkt der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts beschränkt, sondern ihre Fühler längst über das gesamte 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert ausgestreckt hat und sich auch hier intensiv mit damals üblichen Spieltechniken und dem Instrumentenbau und -klang der jeweiligen Epoche beschäftigt, konnten Schumanns vermeintliche "Fehler" zum Glück längst entkräftet werden: So klangen zum Beispiel die Blasinstrumente Mitte des 19. Jahrhunderts längst nicht so kräftig-durchdringend wie heute. Kein Wunder also, dass Schumann Besetzung und Instrumentierung in seinen Sinfonien entsprechend den klanglichen Gegebenheiten seiner Zeit vorschrieb, um die von ihm gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Dass sich in späteren Jahren aufgrund verbesserter Instrumente die "Klanggewichtung" der einzelnen Orchestergruppen dann jedoch verlagerte und die Instrumentierung und Besetzungsvorgaben des Komponisten vielen nun plötzlich als "klanglich unpassend" oder "zu grell" erschienen, kann man ihm aber nun wirklich nicht anlasten!
Außerdem hat man sich erst in den vergangenen Jahren wirklich ernsthaft mit den Tempovorgaben und Metronomangaben Schumanns befasst und festgestellt, dass man über Jahrzehnte viele Sätze viel zu schnell gespielt hatte. Durch das zu schnelle Tempo gingen oft interessante kompositorische Details verloren, wichtige Einzelstimmen gingen im orchestralen Getümmel unter, manches erschien bei der gewählten zu hohen Geschwindigkeit unspielbar (und damit offenbar von einem Komponisten geschrieben, der vielleicht besser wie Chopin beim Klavier geblieben wäre und sich nicht auch noch auf das ihm nicht liegende Feld der Orchestermusik vorgewagt hätte - solche Beurteilungen hat man tatsächlich früher häufiger über Schumann lesen können!).
Seit man sich jedoch tempomäßig ein wenig bremst und zurückhält, klingen viele der früher als "problematisch" geltenden Sätze in Schumanns Orchesterwerken plötzlich ganz anders - man entdeckt Details, die so vorher gar nicht gehört werden konnten, vieles klingt runder und schlüssiger.

Das waren jetzt nur zwei Beispiele, die zeigen, wie man nach intensiver und logischer (!) Beschäftigung mit dieser Musik (und der Zeit ihrer Entstehung) plötzlich jahrzehntealte (Vor-) Urteile entkräften kann - man muss es nur wollen… ;-)

Man sieht also: Es ist in den vergangenen Jahren deutlich Bewegung in die Schumann-Rezeption gekommen, vieles wird heute neu bewertet und man muss sich - zum Glück! - von vielen alten vorurteilsbehafteten Wertungen verabschieden und noch mal anfangen, alles ganz neu anzuhören und zu entdecken! Ein sehr spannender Prozess, der zeigt, wie lebendig "alte Musik" vergangener Jahrhunderte auch heute noch sein kann!

Bevor ich mich weiter aufrege über den jahrelang praktizierten unreflektierten und herablassenden Umgang mit einem der größten Romantiker, möchte ich nun noch meine persönlichen Schumann-Lieblingswerke vorstellen - ein Weiterhören in alle möglichen Richtungen dieses sehr vielseitigen Gesamtwerks möchte ich Interessierten dringend empfehlen! Eingängige und populäre Ausgangs- und Anknüpfungspunkte gibt es bei Schumann überall zu finden:

Das berühmte Klavierkonzert in a-moll op. 54 (entstanden im Zeitraum zwischen 1841 und 1845) ist einer meiner Favoriten - allein schon der "knackige" Beginn und das direkt darauf folgende eingängige 1. Thema bleiben sofort im Gedächtnis! Für viele das romantische Klavierkonzert schlechthin!
Außerdem komponierte Schumann später noch ein paar kürzere (ebenfalls hörenswerte) Stücke für Klavier und Orchester, die er Clara widmete - beispielhaft sei hier das Konzertstück G-Dur (Introduktion und Allegro appassionato) op. 92 aus dem Jahr 1849 erwähnt.

Das Cellokonzert a-moll op. 129 aus dem Jahr 1850 ist für viele Cellisten eine willkommene Ergänzung ihres eh schon schmalen Konzertrepertoires und allein schon deshalb recht häufig in Konzerten anzutreffen.

Wie der gleichaltrige Chopin hat auch Schumann zunächst (fast) ausschließlich für das Klavier komponiert, sich im Gegensatz zu seinem polnischen Altersgenossen dann jedoch auch anderen Formen (Sinfonie, Kammermusik, Lieder, Chorwerke, usw.) zugewandt. Vielleicht, weil er selber seine pianistischen Ambitionen aus gesundheitlichen Gründen schon früh hatte aufgeben müssen?
Jedenfalls mag ich neben den früh entstandenen, eleganten Papillons op. 2 (entstanden zwischen 1829 und 1832) und den Stücken Carnaval op. 9 (1833-35) und dem Faschingsschwank aus Wien op. 26 (1839-40) vor allem die nach wie vor ungeheuer populären Kinderszenen op. 15 (1837-38), nicht zuletzt deshalb, weil man als "pianistischer Laie" hier auch mal die Chance hat, den ein oder anderen dieser wunderbaren Miniaturen selber technisch zu bewältigen und sich den Zauber Schumann'scher Klaviermusik selber erschließen zu können!
Das Gleiche gilt auch für das Album für die Jugend op. 68 (1848), worin auch so manches meiner "Lieblingsstücke zum Selberspielen" schlummert!
Da ich Orgelmusik sehr gerne mag, finde ich auch das schmale, aber dennoch interessante Orgelwerk Schumanns bemerkenswert (es ist in Teilen eigentlich für einen sog. "Pedalflügel" konzipiert, ein damals neu konstruiertes Instrument, das sich in der Folge jedoch nicht durchsetzen konnte) - es zeigt unter anderem auch seine Auseinandersetzung mit der Musik von Johann Sebastian Bach, dessen Klavierkompositionen er jahrelang intensiv studiert hatte.
Als Chorsänger faszinieren mich natürlich auch einige der Chorwerke Schumanns, so zum Beispiel die Szenen aus Goethes Faust WoO 3 (entstanden zwischen 1844 und 1853), das viel zu selten zu hörende, durch und durch romantische Oratorium Der Rose Pilgerfahrt op. 112 (1851), genauso wie das acht Jahre zuvor entstandene Oratorium Das Paradies und die Peri op. 50 (1843) und die c-moll Messe op. 147 (1852-53) sowie das Requiem Des-Dur op. 148 (1852) - wie selten auch diese beiden geistlichen Werke zu hören sind, kann man allein an der Tatsache sehen, wie überrascht viele Musikfreunde meist reagieren, wenn sie erfahren, dass Robert Schumann überhaupt ein Requiem komponiert hat…! :-)
Das Gleiche dürfte auch für die einzige Oper Schumanns (jawohl, auch eine Oper hat er komponiert!) gelten: Genoveva op. 81 (1847-48), die allerdings nie wirklich erfolgreich auf der Bühne war - eine Tatsache, die sich bis heute gehalten hat, der ganzen äußerst hörenswerten Musik zum Trotz, leider!Schumann war halt vor allem Lyriker, nicht Dramatiker - vielleicht leidet die Bühnenwirksamkeit seiner einzigen Oper etwas darunter, aber auch hier hat es in den vergangenen Jahren einige bemerkenswerte Reaktivierungsversuche gegeben, die sich - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht nur hören, sondern eben auch sehen lassen können!
Durch die zahllosen Lieder Schumanns, die er für unterschiedlichste Besetzungen (Solostimmen, Chor a cappella, etc.) komponiert hat, bin ich bis dato noch nicht durch - die Vielfalt erschlägt einen schier! Auf einen seiner populärsten Liederzyklen, die Dichterliebe op. 48 (1840), in dem er Gedichte von Heinrich Heine (1797-1856) vertont hat, möchte ich aber auf jeden Fall hinweisen.
Im Bereich der Kammermusik gehören sein Klavierquartett Es-Dur op. 47 und sein Klavierquintett Es-Dur op. 44 (beide von 1842) zu meinen Favoriten, ebenso wie die Märchenerzählungen für Klarinette, Viola und Klavier op. 132 (1853).
Außerdem gibt es noch ein paar Konzertouvertüren von Schumann, von denen die wohl bekannteste die sogenannte "Manfred"-Ouvertüre op. 115 (entstanden 1848/49) sein dürfte, ein nach vorne drängendes, energiegeladenes Werk, das seinen Titel von Lord Byrons gleichnamigem dramatischem Gedicht hat - eines meiner liebsten Stücke von Schumann!

Und dann sind da natürlich noch die wunderbaren großen vier Sinfonien (die Nr. 1 - "Frühlingssinfonie" genannte - hatte ich bereits hier vorgestellt!), die seit Jahrzehnten zum unverzichtbaren Repertoire aller Sinfonieorchester weltweit gehören!
Bevor meine Aufzählungen hier noch weiter ausufern, möchte ich für heute mal wieder Schluss machen - die Schumann-Rezeption ist und bleibt ein spannendes Thema, das zu verfolgen sich auch in der Zukunft lohnt! Gerade in den letzten Jahren ist - wie erwähnt - viel Bewegung in die Beurteilung des Werks und der Person Robert Schumanns gekommen, man darf gespannt sein, wie das weitergehen wird!

Freitag, 4. Juni 2010

Das Bonmot für Zwischendurch...

Heute wieder mal zum Thema "Musik" ein paar Aussprüche verschiedener Personen, die jedoch alle in dieselbe Richtung zielen...

Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

Gustav Mahler (1860-1911), Komponist

Das größte Verbrechen eines Musikers ist es, Noten zu spielen, statt Musik zu machen.

Isaac Stern (1920-2001), Violinist

Die Musik spricht für sich allein. Vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance.

Yehudi Menuhin (1916-99), Violinist

Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.
Musik - das Geräusch, das denkt.

Victor Hugo (1802-85), Schriftsteller

Das Wichtigste ist: zusammen anfangen und zusammen aufhören.

Thomas Beecham (1879-1961), Dirigent

Mittwoch, 2. Juni 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Wie schon im April spielte für uns heute Vincenzo Allevato aus Cosenza die Lunchtime-Orgel.
Wie intensiv er sich derzeit hier bei uns mit deutscher Orgelmusik beschäftigt, zeigte sich an der heutigen Programmauswahl:

Zunächst gab es mit der dreisätzigen Triosonate Nr. 5 C-Dur von J. S. Bach (1685-1750) die längste (und evtl. auch bekannteste?) seiner sechs Triosonaten für die Orgel.

Danach spielte Signor Allevato uns noch ein Paradestück des sogenannten "norddeutschen Orgelbarock": Das mehrteilige und abwechslungsreich gestaltete Präludium e-moll von Nicolaus Bruhns (1665-97).