Freitag, 29. Oktober 2010

KLASSIKers Lieblingsopern: Der Freischütz

Jetzt Ende Oktober ist es wieder soweit - die Dunkelheit nimmt spürbar zu und "frisst" morgens wie abends immer mehr vom Tag weg, besonders heftig wird es immer dann, wenn auch noch die Uhren von Sommer- auf Winterzeit umgestellt werden! Und am 31. Oktober ist dann auch noch Halloween, das ich eigentlich nur wegen der im Moment allgegenwärtigen, aparten (und schmackhaften!) Kürbisse zu akzeptieren bereit bin - immerhin ist am 31.10. ja auch noch Reformationstag!
Aber einen Vorteil hat die im Moment stark zunehmende Dunkelheit - es ist die ideale Jahreszeit für Gruselfilme und -romane! Kein Wunder, dass auch dieser Aspekt untrennbar zu Halloween gehört!

Mein allerliebstes Musikstück, dass ich mir gerade zu dieser Jahreszeit immer wieder gerne anhöre, ist Carl Maria von Webers (1786-1826) große Romantische Oper DER FREISCHÜTZ - ein echter Gruselklassiker, dessen Story auf einer Erzählung aus dem "Gespensterbuch" von Johann August Apel (1771-1816) und Friedrich Laun beruht, das im Jahr 1810 erschienen war und das Weber und seine Zeitgenossen direkt sehr angesprochen hatte.

Und damit sind wir auch schon mitten im Zeitalter der sogenannten Schwarzen Romantik, die Ende des 18. Jahrhunderts aufkam und die sich für Stoffe begeisterte, die mit übernatürlichen und unerklärlichen Phänomenen, dem Wahnsinn verfallenen Figuren und sonstigen menschlichen Abgründen zu tun hatten.
Der Typus der "Gothic novel" (oder des "Schauerromans", wie man auf Deutsch dazu sagt - der englische Begriff klingt aber irgendwie besser!) war im selben Zeitraum in England aufgekommen und erfreute sich großer Beliebtheit - eines der auch heute noch bekanntesten Werke dieser Gattung dürfte zweifellos der im Jahr 1818 (zunächst anonym) erschienene Roman "Frankenstein" von Mary Shelley (1797-1851) sein. Eigentlich typisch für die Briten, dass besonders sie das Genre der Grusel- und Geistergeschichten so liebten und pflegten, aber auch in Deutschland gab es einige Schriftsteller, die sich gerne mit solchen Sujets auseinandersetzten - ich denke hier vor allem an den vielseitig begabten E. T. A. Hoffmann (1776-1822) und seine zahlreichen Werke wie "Die Elixiere des Teufels" (1815/ 16) oder die ein Jahr später veröffentlichten Nachtstücke.

Man sieht schon: Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz (die Uraufführung fand am 18.06.1821 im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt statt), in der es um finstere Gesellen im Jägermilieu geht, die mit dem Teufel im Bunde stehen, passte mit dieser Thematik wunderbar in die Zeit!

Das Libretto schrieb der Dichter Friedrich Kind (1768-1843) und ihm ist hiermit, wie ich finde, eine ausgesprochen gelungene Bühnenhandlung geglückt - eine Oper steht und fällt eben auch mit einem stringenten und bühnenwirksamen Textbuch und gerade Weber hatte ja nicht immer Glück mit seinen Librettisten!

Der Freischütz enthält genau die richtige Mischung zwischen gruseligen und heiteren, zwischen spannenden und ruhigen, volkstümlichen und durch und durch opernhaften Szenen - Weber hat diese Textvorlage jedenfalls ausgesprochen inspiriert, denn er hat für seinen Freischütz eine fantastische, für das zu seiner Zeit immer noch junge Genre der deutschsprachigen Oper wirklich maßstabsetzende Musik komponiert, die viele nachfolgende Opern anderer Komponisten wesentlich beeinflusst hat!

Die Komposition erstreckte sich, bedingt durch verschiedene, meist berufliche Unterbrechungen, über den Zeitraum von drei Jahren von 1817 (in diesem Jahr heiratete Weber seine Verlobte Caroline Brandt [1794-1852]) bis 1820. Die Oper sollte zunächst den Titel "Der Probeschuss", dann "Die Jägersbraut" und zuletzt doch "Der Freischütz" (wie die Novelle in der Originalvorlage) heißen.

Caroline von Weber war es dann auch, die mit sicherem Theaterinstinkt die eigentlich vorgesehene Eröffnungsszene der Oper, in der Agathe den Eremiten besucht und von ihm die geweihten Rosen erhält, aus denen sie im dritten Akt dann ihre Brautkrone macht, als unnötig lang und dramaturgisch schwach empfand und diese daher zu streichen empfahl (was dann ja auch geschah), um stattdessen direkt mit dem turbulenten Schützenfest vor der Waldschenke ins Geschehen einzusteigen - eine sehr gute Idee, wie ich finde, da die Oper hier gleich Schwung bekommt und die sicher eher lyrische und getragene Szene zwischen Agathe und dem Eremiten nicht die Gefahr in sich birgt, nach der mitreißenden Ouvertüre beim Publikum womöglich Langeweile aufkommen zu lassen.
Die Rolle des Eremiten bekommt allerdings dadurch, dass er jetzt nur noch einen einzigen Auftritt ganz am Ende der Oper hat, etwas von einem "Deus ex Machina", der Recht spricht, die ausweglos erscheinende Situation klärt und die Geschicke aller Beteiligten in die richtigen Bahnen lenkt, aber ich finde, diese Oper kann das aushalten, ist sie doch eh eine Art Märchen!

Ich finde solche dramaturgischen "Details aus der Werkstatt", also der Entstehungsphase einer Oper, immer sehr interessant und aufschlussreich, weil man hier die seltene Gelegenheit hat, hinter die Kulissen der Entstehung eines Meisterwerks zu blicken.

Webers früher Tod im Jahre 1826 (da war er noch nicht einmal 40 Jahre alt) und die schon erwähnte Tatsache, dass seine beiden letzten vollständigen Opern Euryanthe (UA 1823 in Wien) sowie Oberon (UA 1826 in London) auf nicht ganz so gelungenen, oder zumindest "sperrigeren" Textvorlagen beruhen, weswegen sie - trotz der herrlichen Musik, die Weber auch hier komponierte - bei weitem nicht so häufig und mit dauerhaften Erfolg aufgeführt wurden und werden, haben dazu geführt, das sein Freischütz bis heute seine mit Abstand erfolgreichste und beliebteste Oper geblieben ist, in deren Schatten seitdem auch seine zahlreichen anderen Kompositionen (Konzerte, Klaviermusik, Kammermusik, etc.) stehen. Eigentlich schade, denn es gibt auch hier ausgesprochene Meisterwerke zu entdecken, von denen viele diesen ganz besonderen "Weber-Tonfall" besitzen, wie ich das nenne: Eine ganz unverwechselbare, festlich-schwungvolle Fröhlichkeit, die sehr mitreißend auf ihre Zuhörer wirkt, wie ich finde!

"Weber kam auf die Welt, um den Freischütz zu schreiben!" - dieser bekannte Ausspruch Hans Pfitzners (1869-1949) anlässlich einer Gedenkfeier zum 100. Todestag Webers im Jahr 1926, steht für die bis heute andauernde Identifikation des Publikums mit diesem Komponisten und dieser seiner berühmtesten Oper.

Die Uraufführung in Berlin war bereits ein triumphaler Erfolg. Webers Sohn, der passenderweise Max Maria von Weber hieß, von 1822 bis 1881 lebte und daher seinen berühmten, frühverstorbenen Vater kaum gekannt haben dürfte, war unter anderem als Schriftsteller tätig und wurde zum ersten Biographen seines Vaters. Von ihm stammt in diesem Zusammenhang eine sehr detailreiche Schilderung vom Verlauf dieser Opern-Sternstunde am Abdne der Uraufführung im Juni 1821 - ich vermute, er hat die meisten Fakten hierzu von seiner Mutter und damals ebenfalls anwesenden Freunden und Bekannten erzählt bekommen.

Der Freischütz gehört zu den nicht allzu zahlreichen Opern, die seit ihrer Uraufführung nie von den Spielplänen der (vor allem deutschsprachigen) Opernbühnen verschwunden sind. Auch im Ausland wurde und wird der Freischütz gespielt (vor allem neben Mozart, Beethoven, Wagner und Richard Strauss, deren deutschsprachige Opern ebenfalls international erfolgreich waren und nach wie vor sind), allerdings gab es hier auch Übersetzungen, bzw. Bearbeitungen, um die anderssprachigen Zuhörer vor Ort mit dem Stück vertrauter zu machen. Am bekanntesten dürfte hier wohl die französischsprachige Freischütz-Fassung sein, die Hector Berlioz (1803-69) im Jahr 1841 für die Pariser Oper erstellt hat - hier werden die Dialoge durch Rezitative ersetzt, was bestimmt ungewohnt klang, mich aber mal interessieren würde!

Überhaupt - die Dialoge! Da tun sich ja nach wie vor viele Darsteller (gerade im Opernmilieu gibt es ja viele internationale Künstler, die des Deutschen nicht unbedingt mächtig sind) und Regisseure sehr schwer mit - Opern, in denen nicht durchgehend gesungen wird (und davon gibt es ja gerade in Frankreich und Deutschland doch so einige), scheinen für viele irgendwie nur "halbwertige" Beiträge zur Gattung Oper zu sein! Gerade aus italienischer Sicht sind Opern mit Dialogen ja offenbar so etwas wie absolute "No-Go's" - schade nur, dass Klassiker wie Beethovens Fidelio oder Mozarts Zauberflöte auch zu dieser Gruppe gehören… *zwinker*

Und dann die Gespenster- und Gruselthematik im Freischütz - eine echte Gretchenfrage gerade für heutige Regisseure: Bringt man die ganze Story eher ironisch gebrochen rüber und distanziert sich damit von dieser ganzen Spukerei auf der Bühne, in dem man das alles in Lächerliche zieht, oder lässt man es bühnentechnisch in der Wolfsschlucht-Szene so richtig krachen?

Ich finde, wenn man sich an der Musik orientiert, die Weber für den Freischütz komponiert hat, dann hört man eindeutig, dass der Komponist sich voll und ganz auf diese Geistergeschichte eingelassen hat und sie ernst nimmt. Die Stelle im dritten Akt, an der Ännchen die komische Begebenheit mit "Nero, dem Kettenhund" erzählt, wird ja ausdrücklich als ironisch herausgestellt, aber dem Rest der Oper fehlt diese ironische Distanz. Und danach sollte sich meiner Meinung nach auch ein Regisseur der Jetzt-Zeit richten, denn sonst verliert die ganze wunderbare Musik Webers total an Wirkung, da man sie dann ja nur noch als eine Art Parodie auffassen kann, wenn auf der Bühne weder die Jäger- noch die Geisterszenen ernst genommen werden!

Ich wüsste auch nicht, was gerade heutzutage dagegen sprechen sollte, eine richtig schön gruselige Geistergeschichte auf die Opernbühne zu bringen: Diese ganze Thematik liegt doch schon seit einiger Zeit total im Trend - man kann im Moment ja kein Kino oder keine Buchhandlung mehr betreten, ohne nicht von Vampiren, Werwölfen und sonstigen monströsen Wesen förmlich überrannt zu werden!
Warum also nicht auch Samiel, dem "schwarzen Jäger" einen entsprechenden Bühnenauftritt verpassen? Gerade das könnte doch auch eine der "ultimativen Herausforderungen" sein, die moderne Regisseure bei ihren Inszenierungen heute immer und überall suchen - warum nicht einmal dem Publikum zeigen, dass man auch ein Händchen für Grusel- und Horrorstoffe besitzt? Mit der heutigen Bühnentechnik und sonstigen dramaturgisch-psychologischen Finessen sollte so etwas doch machbar sein, oder?

Leider habe ich da schon ganz andere Inszenierungen erleben (und erleiden) müssen, z. B. vor ca. 10 Jahren in Bonn, wo die Wolfsschlucht-Geister aussahen, als wären sie einem Star Wars-Film entsprungen und das Bühnenbild konsequent an das Holodeck vom Raumschiff Enterprise erinnerte…

Oder auch Loriots bekannte Inszenierung aus den 1980er Jahren (ich kenne sie aus dem TV), in der allerlei subtiler, typischer Loriot-Humor untergebracht war, was der Oper an sich aber eher schadete, da auch hier die eigentlich durch die Musik heraufbeschworene Atmosphäre des Bedrohlichen, Bösen und Übernatürlichen völlig ins Leere lief und die anderen Szenen, in denen nicht rumgespukt wird, ebenfalls ihre Ernsthaftigkeit einbüßten. (Ganz im Gegensatz dazu fand ich übrigens Loriots Inszenierung der komischen Oper Martha von Friedrich v. Flotow ein paar Jahre zuvor ausgesprochen gelungen!)

Für mich gehört der Freischütz (für mich übrigens nach Mozarts Zauberflöte die zweite Oper überhaupt, die ich in Gänze kennengelernt habe!) zu den Opern, in denen ich eigentlich überhaupt keinen Moment finde, der mir nicht gefällt - ein musikalischer Höhepunkt folgt dem nächsten und auch die eher unbekannteren Nummern (wie z. B. Kaspars dramatisch-düstere Triumph-Arie am Schluss des ersten Aktes) sind unglaublich gut gemacht und genauso wirkungsvoll wie die allbekannten "Hits", die sowieso jeder kennt (Jägerchor; Jungfernkranz; Durch die Wälder, durch die Auen, etc.)!
Und die Freischütz-Ouvertüre ist eines der perfektesten Opernvorspiele, das ich kenne: Sie vereint in sich auf geniale Art und Weise die beiden Ansprüche, dass eine Ouvertüre den Zuschauer/ Zuhörer möglichst in die Stimmung der nachfolgenden Oper versetzen soll, mit dem, dass eine Ouvertüre - wenn möglich - die Handlung ihrer Oper wiedergeben sollte. Beides vermischt Weber kongenial und schafft es, die Handlung des Freischütz (unter anderem durch vorweggenommene Melodiezitate) innerhalb dieser Ouvertüre präzise nachzuerzählen und gleichzeitig die einzigartige Stimmungsmischung dieser Oper zwischen Waldromantik und der Bedrohung durch übernatürliche Mächte vor dem Zuhörer entstehen zu lassen!

Und die berühmte Wolfsschlucht-Szene (= das Finale des zweiten Aktes) ist natürlich ebenfalls ein schon fast visionär zu nennendes Meisterstück was die dramatische Ausgestaltung, die Instrumentation und die oft auf den unscheinbarsten Dingen basierenden musikalischen Effekte anbetrifft - die gerade deswegen so unglaublich mitreißend und überzeugend wirken! Hier hat sich Weber wirklich selbst übertroffen und man kann nur bedauern, dass es ihm nicht vergönnt war, in späteren Jahren noch eine weitere Oper à la Freischütz zu komponieren, die einen diesem Meisterwerk mindestens ebenbürtigen genialen Wurf darstellt!

Seit ich den Freischütz kennengelernt habe, ist meine Lieblingsaufnahme dieser Oper unangefochten die Einspielung, die Carlos Kleiber im Jahr 1973 mit einer wirklich als luxuriös zu bezeichnenden Sängerbesetzung vorgenommen hat:
Ottokar: Bernd Weikl
Kuno: Siegfried Vogel
Agathe: Gundula Janowitz
Ännchen: Edith Mathis
Kaspar: Theo Adam
Max: Peter Schreier
Eremit: Franz Crass
Kilian: Günther Leib
Brautjungfern: Renate Hoff, Brigitte Pfretzschmer, Renate Krahmer, Ingeborg Springer
Samiel: Gerhard Paul
Rundfunkchor Leipzig
Staatskapelle Dresden
Dirigent: Carlos Kleiber

(Deutsche Grammophon 1973)

Was für eine fantastische Aufnahme!
Allein schon das Orchester! Kleiber versteht es, einen ganz wunderbaren, plastischen Klang hervorzuzaubern, der - je nach Szene - wunderbar von Romantik und Zartheit durchdrungen, in den Spukszenen aber auch herrlich dramatisch und wild sein kann!
Überhaupt merkt man seiner Interpretation das an, was ich vorhin schon angemerkt hatte: Er nimmt das Werk spürbar ernst, distanziert sich nicht vom Geisterspuk und versucht, aus der Partitur wirklich alles rauszuholen!

Und die Solisten (und der Chor!) tun ein übriges, um diese Aufnahme zu einem echten Highlight werden zu lassen:
Allen voran Gundula Janowitz, die zum Zeitpunkt der Aufnahme wirklich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war: An ihr habe ich immer schon ihre einzigartig klare und reine Stimme bewundert, die so unnachahmlich unschuldig und jugendlich klingt, dass sie für die Rolle der Agathe geradezu prädestiniert ist! Ihre große Szene im zweiten Akt ("Wie nahte mir der Schlummer") ist wirklich umwerfend schön - diese Steigerung von größter Innigkeit über die Schilderung der abendlichen Szenerie am Waldesrand bis zum grenzenlosen Jubel über die Heimkehr des geliebten Max - da bekommt man wirklich eine Gänsehaut beim Zuhören, so mitreißend gestaltet sie das!

Peter Schreier ist oft als das große Manko dieser Aufnahme bezeichnet worden (jedenfalls habe ich dieses Urteil schon häufiger in Kritiken lesen müssen), was ich absolut nicht nachvollziehen kann! Sicher - ich versuche mir immer vorzustellen, wie es wäre, wenn Fritz Wunderlich in diesem Ensemble den Max geben würde, aber Peter Schreier singt diese Partie mit großer Textverständlichkeit (so etwas ist auch nicht selbstverständlich - gerade für Tenöre…) mit seiner ebenfalls charakteristischen jugendlich-lyrischen und wunderbar leichten und hellen Tenorstimme. Ich nehme seiner Interpretation den jungen, verzweifelten Jägerburschen ohne jeden Zweifel ab. Maxens große Soloszene im ersten Akt ("Nein, länger trag' ich nicht die Qualen") habe ich jedenfalls noch nicht besser interpretiert gehört!

Die zahlreichen Bässe und Baritöne dieser Einspielung (Weikl, Vogel, Adam, Crass und Leib) sind für mich auch absolut stimmig besetzt: Je nach Rolle entweder väterlich, würdig und volltönend oder eher verschlagen-hinterhältig - ich finde hier nichts auszusetzen!

Andere Einspielungen vom Freischütz habe ich mir im Laufe der Jahre immer wieder mal angehört, aber im Vergleich zu Kleibers Interpretation konnte mich bislang keine überzeugen - oft hatte ich den Eindruck, dass das Ganze irgendwie leidenschaftsloser klang oder die Tempi waren (für meinen Geschmack) viel zu langsam, was auch auf Dauer etwas nervt, wenn man den Eindruck hat, dass es nicht vorwärts gehen will und schleppend wirkt...

Jedenfalls kann ich den Freischütz nur empfehlen (und das nicht nur zu Halloween!) als ein wunderbares Bühnenspektakel mit fantastischer Musik, jeder Menge Ohrwürmern und einer herrlich düster-gruseligen Handlung, die trotzdem zu einem jubelnden Happy-End im typischen Weber-Stil findet!

Als Schlusswort vielleicht ein Auszug aus einer sehr treffenden Rezension des Freischütz, die der eingangs erwähnte Dichter (und Komponist!) E. T. A. Hoffmann kurz nach der Uraufführung in der Berliner Vossischen Zeitung mit kenntnisreichem und weitsichtigem Urteilsvermögen veröffentlichte:
Seit Mozart ist nichts Bedeutenderes für die deutsche Oper geschrieben als Beethovens Fidelio und dieser Freischütz. Weber hat, so scheint es, alle in unzählige Lieder- und Instrumental-Compositionen zerstreuten Strahlen seines erstaunenwerthen Genius kühn in einen Brennpunkt gesammelt, denn mit allen seinen längst berühmten Eigenthümlichkeiten finden wir den interessanten Geist hier wieder! Die Meisterschaft in den Liedern und Chören der Oper ist so groß und bewundernswerth, dass Weber sich durch sie jetzt gewiss seinen Platz für die Unsterblichkeit gesichert haben würde - wäre der ihm nicht längst gewiss.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Wie in der vergangenen Woche spielte Wolfgang Abendroth auch heute Mittag Orgelmusik der französischen Romantik:

Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Trois Préludes et Fugues op. 99


Saint-Saëns ist gerade hierzulande hauptsächlich aufgrund seines unverwüstlichen, ungebrochen populären Karneval der Tiere bekannt, wodurch der Rest seines erstaunlich vielfältigen Werks (Opern, Sinfonien, Konzerte, Kammermusik, etc.) leider sehr im Schatten steht.

Die 3 "Präludien und Fugen", die wir heute zu hören bekamen (in E-Dur, H-Dur und Es-Dur) stehen, die Titel verraten es schon, in der Tradition Johann Sebastian Bachs, dessen Musik Saint-Saëns sehr verehrte. Ein vielleicht etwas bekannteres Beispiel für seine lebenslange Bach-Verehrung ist das Prélude "dans le style de Sébastien Bach" aus Saint-Saëns' mittlerweile auch bei uns etwas häufiger in der Adventszeit anzutreffendem Weihnachtsoratorium op. 12, das er bereits 1858 im Alter von 23 Jahren komponierte.

Die drei heute vorgetragenen Stücke überraschten zum einen durch originelle Fugenthemen (teilweise auch rhythmisch vertrackt und bestimmt schwer zu spielen!), zum anderen durch Harmonien und Motive, die ihre Entstehungszeit (spätes 19. Jahrhundert) nicht verleugnen, aber auch das große Vorbild J. S. Bach nie aus den Augen verlieren!
Deswegen ist es wirklich schade, dass gerade so ambitionierte Werke, die ihr Traditionsbewusstsein gekonnt in einen künstlerischen Blick nach vorne zu packen wissen, wie die heute gehörten "Préludes et Fugues" von Monsieur Saint-Saëns so selten zu hören sind!

Freitag, 22. Oktober 2010

Neulich im Theater...

Wie schon erwähnt finden ab der laufenden Spielzeit nicht mehr alle Aufführungen der Kölner Oper im dringend sanierungsbedürftigen Stammhaus am Offenbachplatz statt, sondern man geht unter dem Motto "Tapetenwechsel" für mehrere Produktionen an verschiedene andere, teilweise ungewohnte Spielorte im Stadtgebiet. Typisch für Köln ist übrigens, dass sich die geplante Sanierung von Opern- und benachbartem Schauspielhaus nach Monaten (besser: Jahren!) des Planens, Beratens und ständigen Abänderns der Planungen nach wie vor noch immer nicht endgültig in "trockenen Tüchern" befindet…

Einer der sicher ungewöhnlichsten "alternativen Aufführungsorte" dieser Spielzeit ist das ehemalige, seit einiger Zeit leerstehende Hauptverwaltungsgebäude des Kölner Gerling-Versicherungskonzerns im Friesenviertel:
Ein in den 1930er Jahren begonnener, in den 1950er Jahren dann zu seiner endgültigen Gestalt gelangter, nach damaligem Geschmack entsprechend repräsentativ ausgestatteter Gebäudekomplex, in dessen ehemaligem Kantinensaal man nun Claudio Monteverdis (1567-1643) spätes Meisterwerk "L'incoronazione di Poppea" ("Die Krönung der Poppäa") aufführt (Premiere war am 16. Oktober 2010) - ich habe die gestrige (immerhin dreieinhalbstündige) Aufführung besucht (siehe auch hier).

Für den mit Mozart, Rossini und Verdi domestizierten Opernfreund ist Monteverdis Oper ein eher ungewohntes Erlebnis:
Immerhin ist die Poppea bereits in der Karnevalsspielzeit 1642/43 in der Republik Venedig mit großem Erfolg uraufgeführt worden - zu der Zeit war hier bei uns noch nicht einmal der Dreißigjährige Krieg beendet. In Venedig hingegen war gut fünf Jahre vor dieser Uraufführung bereits das erste öffentliche Operntheater eröffnet worden und aufgrund des sensationellen Publikumserfolges der noch jungen Gattung folgten allein in Venedig in den nächsten Jahren eine Reihe weiterer Opernhäuser, die in Form von Privatunternehmungen natürlich um die Publikumsgunst buhlten und der "venezianischen Oper" einen ungeheuren Popularitätsschub verliehen, der bald auf ganz Italien und dann auch auf den Rest Europas abstrahlte, wo die Oper nach venezianischer Machart (mit Ausnahme Frankreichs) bis zum Ende des 17. Jahrhunderts unangefochten "Marktführer" blieb.
Ich finde es nebenbei bemerkt ganz beachtlich, dass es Monteverdi mit immerhin 75 Jahren noch gelungen ist, mit seiner letzten Oper hier noch einmal einen maßstabsetzenden Meilenstein zu kreieren, der noch für Jahrzehnte nachwirken sollte (heutzutage gehört seine Poppea neben Purcells "Dido and Aeneas" zu den meistgespielten Opern des 17. Jahrhunderts!) - wenige Monate nach der Premiere starb der Komponist im Alter von 76 Jahren in Venedig.

"L'incoronazione di Poppea" ist eine der Opern, die für diese so überaus erfolgreiche venezianische Spielart stilbildend wirkte - charakteristisches Element ist hierbei vor allem das Nebeneinander von ernster und komischer Handlung, adlige und einfache (meist Diener-) Figuren agieren mit- und nebeneinander, was für eine sehr abwechslungsreiche Mischung sorgt.
Die ab dem 18. Jahrhundert vorherrschende strikte Trennung von ernster und komischer Oper (Opera seria und Opera buffa) ist übrigens die Konsequenz einer ersten Gattungsreform um 1700, da die venezianische Oper immer mehr zu einer ausufernden "Revue" aus ernster Handlung, Komödie, Burleske und Ballett geworden war und man glaubte, hier wieder eine klare Linie hineinbringen zu müssen.

Die Poppea ist zwar eine Barockoper, klingt aber noch überhaupt nicht wie die heute eher geläufigeren Opern von Vivaldi oder Händel mit ihrem stetigen Wechsel zwischen Rezitativen und virtuosen Arien (was zeigt, dass der Gattungsbegriff "Barockoper" nicht besonders präzise ist).
In Monteverdis Oper, die ja immerhin gut 80 (!) Jahre älter ist als die meisten Händel-Opern, dominiert ein fast durchgängiger rezitativartiger Parlandostil, der hin und wieder von kleineren liedartigen Solostellen (aus denen sich später die dann immer umfangreicher werdenden Arien entwickelten) und duettartigen Zwiegesängen vor allem Poppeas und Neros unterbrochen wird.
Dieser ausdrucksvolle Sprechgesang erlaubt eine sehr flexible Gestaltung der Handlung, da hier nahtlos zum Beispiel komische, temporeiche Dialogszenen auf ausdrucksvolle und dramatische Monologe folgen können und sich die Musik ganz an die Vorgaben des Textes anpassen kann, ohne irgendwelchen starren Zwängen folgen zu müssen. An diese Art der Musik muss man sich erst ein wenig gewöhnen, findet sich dann - in Kombination mit der szenischen Darbietung - aber recht schnell in dieser uns heute doch klanglich eher fremden Welt zurecht.
Ohne die szenische Dimension wirkt das Ganze aber dann doch schnell etwas ermüdend - jedenfalls geht es mir häufiger beim Anhören entsprechender CD-Aufnahmen so, während ich mir die mit eindeutig musikalischem Schwerpunkt konzipierten Opern der Händel-Zeit auch ohne Bühnenhandlung gerne "lediglich" auf Tonträgern zu Gemüte führe.
Anders ausgedrückt: Die Poppea ist weniger ein verkapptes Konzert im Bühnenkostüm sondern ein veritables Theaterstück, bei dem die Musik genauso wie die Bühnenhandlung gleichberechtigt nebeneinander stehen - dessen sollte man sich vor dem Besuch einer solchen Oper aus dem 17. Jahrhundert bewusst sein, um nicht enttäuscht zu werden. Man hatte bei der Kölner Auführung dann auch entsprechend großen Wert darauf gelegt, dass die deutschen Übertitel zum Bühnengeschehen (hin und wieder sogar noch angereichert mit historischen Fakten zu Nero [der immerhin der Sohn der Kölner Stadtgründerin Agrippina war] und seiner Sippschaft!) auch wirklich überall im Zuschauerraum zu sehen waren - Text-Projektionen fanden aufgrund der besonderen Anordnung der Zuschauerplätze an 4 Stellen gleichzeitig statt!

Die Wahl des Kölner Aufführungsortes im ehemaligen Versicherungskonzern ausgerechnet für diese fast 370 Jahre alte Oper mag zunächst überraschen, wenn man sich aber vor Augen führt, dass sich die Handlung der Oper um ausschließlich eigennütziges Machtstreben zur Befriedigung eines hedonistischen Lebensstils dreht (für dessen rücksichtslose Durchsetzung buchstäblich über Leichen gegangen wird), dann passt das Ganze plötzlich erschreckenderweise doch irgendwie ganz gut in die (ehemalige) Schaltzentrale eines typischen Wirtschaftsimperiums des 20. Jahrhunderts…

Diese Zeitlosigkeit der eigentlich römischen Intrigenstory (zu Monteverdis Zeiten war dies übrigens ein echtes Novum, dass statt mythischer Göttergeschichten ein historisches - aber immerhin noch in der Antike spielendes - Sujet auf die Bühne gebracht wurde!) schlägt sich natürlich auf die Inszenierung von Dietrich Hilsdorf nieder, der das Ganze dann auch eher als eine Art Machtpoker hinter den Kulissen eines modernen Wirtschaftskonzerns aufzieht, was durch die Aufführung in den erwähnten Räumlichkeiten ja auch auf der Hand liegt (die Bühnenfiguren tragen daher auch elegante, aber eben moderne Kleidung). An den wenigen Stellen, an denen Monteverdi wohl doch nicht ganz auf die vertrauten allegorischen Figuren und Göttergestalten verzichten wollte (z. B. im damals obligatorischen Prolog), bediente sich Hilsdorf des Kunstgriffs, dass er diese mythischen Gestalten einfach durch die zahlreichen Bediensteten Neros darstellen ließ, die so quasi im Sinne ihres Brötchengebers die Geschicke der Figuren der Oper lenken durften. Wie im Rahmen der kurzen Einführungsveranstaltung zu Beginn des Abends betont wurde, hat die Zeitgenossen Monteverdis der eigentlich ja sehr ungewöhnliche (weil zutiefst unmoralische) Verlauf der Opernhandlung wohl nicht gestört oder empört, denn das weitere, nicht sehr erfreuliche Schicksal Neros und Poppeas, wie es z. B. der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet, war den damaligen Zuschauern bestens bekannt und außerdem war die Oper ja auch eine Karnevalsproduktion - eine Jahreszeit, in der eh die gewohnten gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf gestellt wurden (und bis heute werden!) und somit das auf der Bühne Gezeigte auch im Sinne der Verkehrung der eigentlichen Ordnung interpretiert werden konnte.Nero und Poppea (Quelle: Oper Köln, Foto: Paul Leclaire)

Aus der vermeintlichen Beschränkung eines Ausweichquartiers wurde so eine echte Inspiration für die gesamte Aufführung - Presse und Rundfunk überschlagen sich seit der Premiere (und auch schon in deren Vorfeld) bereits einhellig mit Lob und Anerkennung, was für Kölner Opernaufführungen in den letzten Jahren ja weiß Gott nicht mehr selbstverständlich ist!
Die Lobeshymnen beziehen sich hierbei übrigens nicht nur auf die Inszenierung sondern (völlig zu Recht!) auch auf den musikalischen Aspekt der Aufführung.

Umso neugieriger war ich, diese Oper in ungewohntem Umfeld nun selber erleben zu können, zumal sämtliche Aufführungen (11 an der Zahl) bereits vor der Premiere schon komplett ausverkauft waren (der Ausweichspielort bietet allerdings auch nur etwa 650 Personen Platz, ins Opernhaus passen etwa doppelt so viele Zuschauer)!

Schon der Eingangsbereich (Foyer und Garderoben) des Aufführungsortes war sehr beeindruckend in seiner Mischung aus der betont nüchternen Sachlichkeit der Nachkriegszeit in Verbindung mit der Weitläufigkeit dieses Raumes, den nostalgisch wirkenden (und seinerzeit ganz sicher nicht billigen) Leuchtern an Decken und Wänden, etc.

Der langgezogene, eher niedrige Saal, in dem die eigentliche Aufführung stattfand, hatte dagegen schon fast etwas intimes, was der Tatsache, dass diese Barockoper ja auch eher eine fast schon kammermusikalische Besetzung aufweist, natürlich sehr entgegenkommt - hier muss nicht gegen einen großen Saal angespielt werden und auch leise Töne kommen gut rüber.

Die Bühne ist kreisrund und liegt direkt unter der zwei Stockwerke hohen Kuppel in der Mitte dieses Saales, zu ihr führen zwei einander gegenüberliegende Laufstege, an deren Seiten das in zwei Gruppen aufgeteilte Orchester platziert wurde. Das Publikum sitzt sich somit entlang dieser Laufstege und des Bühnenkreises in zwei Halbrunden quasi gegenüber, von der gegenüberliegenden Publikumsseite bekommt man aber fast nichts mit, da dieser gesamte Bühnen- und Orchesterraum auf der ganzen Länge von feinem Gazestoff eingespannt ist, der diesen Bereich somit nicht nur räumlich sondern auch optisch klar vom Zuschauerbereich abtrennt.
Die Masche, den Zuschauerblick auf die Bühne mit diesen (fast) durchsichtigen Gazestoffen zu beeinträchtigen, hat sich in den letzten Jahren als beliebtes Stilmittel von Regisseuren herausgestellt - mich nervt das meistens, weil man vom Bühnengeschehen nicht mehr alles ohne Weiteres mitbekommt, im konkreten Fall erwiesen sich meine Befürchtungen allerdings als unbegründet:
Dank der Beleuchtung der Szenerie erwies sich diese Stoffbespannung als nahezu komplett durchsichtig und behinderte den Blick auf Bühne und Orchester zum Glück gar nicht!

Auf der Bühne befand sich lediglich ein langer, schmaler Konferenztisch (der, das habe ich irgendwo gelesen, wohl dem ehemaligen Schreibtisch des Gerling-Chefs nachgebildet worden sein soll), der sich dank einer Drehscheibe im Bühnenboden auch lautlos im Kreis drehen konnte. Auf dem Tisch standen verschiedene Weingläser und Glaskaraffen, davor drei moderne Designerstühle aus blinkendem Stahl - das war alles (und das reichte auch völlig aus, um einem spannenden Opernabend den szenischen Rahmen zu verleihen)!

A propos Orchester: Laut Ankündigung spielte zwar - wie üblich - das Kölner Gürzenich-Orchester, ein Blick in das Programmheft zeigte dann aber schnell, dass vom eigentlichen Gürzenich-Orchester gerade einmal knapp zehn StreicherInnen aufspielten, der Rest des Ensembles (um genau zu sein: die komplette zweite Hälfte) bestand aus "Gastmusikern", alles instrumentale Spezialisten, die dem Ganzen erst den erforderlichen Barockklang verliehen - man konnte herrlich exotische, selten zu erlebende alte Instrumente bestaunen (und natürlich hören), wie die Chitarrone (eine Basslaute mit bis zu zwei Meter langem Hals), zwei Cornetti (zu deutsch "Zinken" - Vorläufer heutiger Trompeten), eine Lirone (am ehesten noch mit einem Cello zu vergleichen), dazu zwei Cembali, eine Truhenorgel, eine Harfe, zwei Blockflöten - allein schon dieses ganz besonderen, so typisch hochbarocken Orchesterklangs wegen hatte sich der Besuch der Aufführung schon gelohnt!
Dieses Ensemble wurde geleitet vom Fans der Barockmusik sicher nicht unbekannten Konrad Junghänel (der bereits im Herbst 2009 die Kölner Produktion der Gluck-Oper Orfeo ed Euridice geleitet hatte), der Monteverdis Partitur eigens für die aktuelle Inszenierung eingerichtet hatte.
Die originalen Notentexte aus dieser Zeit sind allesamt eher sparsam (meines Wissens gibt es jeweils nur eine Gesangs- und eine Instrumentalstimme) und für heutige Aufführungen sind daher regelmäßig vorbereitende Arbeiten an der Partitur erforderlich, je nachdem, welche Instrumente man einsetzen möchte.
Dies scheint auch in der Barockzeit die übliche Praxis gewesen zu sein: Man entschied pragmatisch, welche Instrumente für eine Aufführung verfügbar waren und besetzte ein Orchester von Fall zu Fall entsprechend. Die Instrumentalisten scheinen damals auch weniger Notentext gebraucht zu haben, als heute üblich ist - eine notierte Bass-Stimme reichte oft aus und man improvisierte einfach dazu passende Stimmen, was ein interessantes Urteil über die offensichtlich recht beachtlichen Fähigkeiten damaliger Musiker zulässt.
Noch zu Bachs und Händels Zeiten war es ja üblich, dass sowohl Sänger in ihren Arien Improvisationen einbrachten wie auch Generalbass-Spieler am Cembalo eine vollstimmige Begleitung anhand einer notierten Bass-Stimme während des Spielens umsetzten. Dieses faszinierende improvisatorische Element ist in der Folgezeit leider völlig verloren gegangen und angesichts manch detailversessener Partitur des 20. Jahrhunderts fragt man sich, ob hier in der Moderne Musiker nicht zu bloßen, quasi seelenlosen Wiedergabemaschinen verkommen sind?!

Konrad Junghänels Partitureinrichtung jedenfalls brachte ein dank der verwendeten Instrumente überaus farbiges und abwechslungsreiches Element in die Begleitung der Sängerinnen und Sänger, was allein schon durch die Tatsache begründet wurde, dass das Orchester ja an zwei verschiedenen Orten im Raum platziert war, so dass der Dirigent mit seinen betont ausladenden Gesten per Bildschirm zur zweiten Hälfte seines Ensembles übertragen werden musste, trotz dieser Erschwernis das ganze Geschehen aber souverän im Griff hatte. Hierdurch entstand ein interessanter Raumklangeffekt, der oft genutzt wurde, um während der gesungenen Dialogszenen jeder Person ihre eigene, sie begleitende Instrumentengruppe zuzuweisen (was übrigens einer in der Barockzeit absolut üblichen Praxis entspricht), so dass dann eben auch die Begleitung der Bühnenfiguren wie in einem Dialog hin- und hersprang.

Getragen von diesem faszinierenden und schwungvollen Orchester boten auch die Solisten exzellente Gesangskunst, allen voran natürlich die französische Barockspezialistin Sandrine Piau als Poppea mit ihrem wunderbar flexiblen und leichten Sopran, die auch als Darstellerin eine überzeugende Vorstellung ablieferte, wie überhaupt bei diesem musikalischen Konversationsstück die schauspielerische Leistung mindestens genauso wichtig ist, wie der sängerische Aspekt. Sich lediglich starr an die Rampe zu stellen und dafür aber ein virtuoses Arien-Feuerwerk abzubrennen (wie es zumindest theoretisch bei Opern aus der Händel-Zeit ja durchaus funktionieren würde) - das geht bei Monteverdi nicht.

Und gerade schauspielerisch hatte der auch stimmlich beeindruckende Countertenor Franco Fagioli als Nero einiges zu bieten: Er verlieh der Figur des eigentlich völlig wahnsinnigen römischen Kaisers die bizarre Note einer eigentlich bemitleidenswerten, zwischen prahlerischem Geltungsbedürfnis, cholerischen Wutausbrüchen und anderen Stimmungsextremen schwankenden Figur, die gerne einer mitunter ins Lächerliche abgleitenden Triebhaftigkeit ausgeliefert ist und die man aufgrund des ausdrucksvollen Mienenspiels und fast manisch ständig in Bewegung befindlicher Hände gerne beobachtete. Dazu passend Fagiolis exzellenter Gesang, der dank der hohen Stimmlage passend schon mal ins Hysterische umkippen konnte und der ganzen komplexen Figur eine glaubwürdige, faszinierend-bedrohliche Note verlieh. So muss ein Kaiser Nero rüberkommen!
Ottavia und Nero (Quelle: Oper Köln, Foto: Paul Leclaire)

Mit zu meinen Favoriten des Abends gehörte aber auch Romina Boscolo (Mezzosopran), die der verschmähten und später verstoßenen Kaiserin Ottavia mit einer unglaublich intensiven und kraftvollen Stimme eine Größe und Würde verlieh, die wirklich beeindruckte. Ihr abschließendes berühmtes Lamento "Addio Roma" war da nur der eindrucksvolle Schlusspunkt einer tollen Leistung!

Der kanadische Countertenor David DQ Lee schlug sich zwar auch wacker in seiner Rolle als Ottone, überzeugte mich im Vergleich zu den vorgenannten Protagonisten allerdings etwas weniger.

Neben diesen Gästen war mit der Sopranistin Claudia Rohrbach als Drusilla auch ein bekanntes Mitglied des Kölner Opernensembles am Start - auch ihre sängerische Leistung gefiel mir ausgesprochen gut, hatte sie in ihrer Rolle als junge, verliebte Ottone-Verehrerin doch auch eine der wenigen "Arien" zu singen, in der ansatzweise sogar einmal Koloraturen zu hören waren (also das, was man heute ja eigentlich mit typischem Barockgesang verbindet!) und dies gelang ihr mit klarer, flexibler Stimme sehr überzeugend!

Wolf Matthias Friedrich überzeugte als stoischer Philosoph Seneca mit tiefer Bass-Stimme, die er an manchen besonders markanten Stellen ruhig noch etwas intensiver hätte auskosten können.

Typisch für das in der Barockzeit so lustvoll betriebene Spiel mit den Geschlechterrollen ist, neben den ursprünglich von Kastraten dargestellten Männerrollen in Alt- und Sopranlage, gerade in der venezianischen Oper das Auftreten von Männern in Frauenrollen, die den damals beliebten Typus der alten Amme verkörpern. So gab es mit dem Countertenor Daniel Lager in der Rolle von Poppeas Amme Arnalta gestern dann auch eine klassische Travestie-Rolle zu erleben - von Kostümbildnerin Renate Schmitzer in bezaubernde, erwartungsgemäß etwas gouvernantenhafte Kleider gewandet! Dass Herr Lager Spaß an dieser Rolle hatte (die einen wesentlichen Beitrag zum schon erwähnten komödiantischen Element in dieser Oper darstellt) merkte man seinem ausdrucksvollen Spiel à la "Manche mögen's heiß" an, wobei es schon komisch genug war, diesen mindestens 1,90 m großen Schrank im Kleid und in gigantischen Pumps auf die Bühne stöckeln zu sehen! Das i-Tüpfelchen zu dieser Erscheinung war dann noch die hohe Countertenor-Stimmlage.

Im Gegenzug hatte man die Mezzosopranistin Andrea Andonian in ihrer Rolle als Ottavias Amme Nutrice so täuschend echt in einen weißhaarigen alten Diener verwandelt, dass man unwillkürlich zusammenzuckte, als er/ sie die ersten Töne von sich gab und man merkte, dass es sich bei dieser Figur eigentlich um eine Frau handelt!

Am Ende dann tosender Beifall (mit Händen und Füßen!) für alle Beteiligten!

Schön, dass eine fast 400 Jahre alte Oper nach all der Zeit das Publikum nach wie vor so zu begeistern vermag - obwohl: Kein Wunder bei einer derart schwungvollen und lebendigen Interpretation wie der gestrigen!

In der Pause nach dem ersten Akt gab es übrigens im sogenannten "Venezianischen Saal", der so heißt, weil sich dort unglaublich überladene, endlos kitschige Wandleuchten aus echtem Murano-Glas befinden (und zu dem man gelangte, in dem man einen Innenhof passieren musste, in dem stimmungsvoll Fackeln leuchteten), ein kleines Intermezzo zu erleben:
Begleitet von einem kleinen Ensemble (das extra aus dem Theatersaal hierhin umgezogen war) gab es die den zweiten Akt eröffnende Szene zwischen Nero und seinem Lieblingsdichter Lucano, die nach Senecas verordnetem Selbstmord in Schwelgerei über Poppeas Schönheit geraten, zu der der Weg jetzt frei scheint, nachdem Seneca keinen Einspruch mehr hiergegen einlegen kann.
Hierzu hatte man extra eine venezianische Gondel in dem gleichnamigen Saal aufgebaut - die Tatsache, dass die Oper in Venedig uraufgeführt worden war und das ja auch nicht unbedingt zu erwartende Vorhandensein eines "Venezianischen Saals" im Gerling-Gebäudekomplex ergaben somit eine weitere verblüffende Parallele, die man so nicht erwartet hätte und die sich die Theatermacher direkt zu Nutzen machten. Schade nur, dass der "Venezianische Saal" (ursprünglich wohl als Konferenz- oder Festsaal genutzt) lediglich Platz für "nur" ca. 350 Personen (im Stehen) bot, so dass nicht das gesamte Publikum in den Genuss dieser Szene kommen konnte.
Man versuchte, das Ganze humorvoll derart zu lenken, dass lediglich die Damen per mehrsprachiger Durchsage (auf deutsch, englisch, französisch -- und kölsch!) in den "Venezianischen Saal" gebeten wurden (offenbar traute man ihnen das größere Interesse an einer solchen Darbietung zu), während die Herren "in der Küche" warten sollten, was sich auf die Ecke im ehemaligen Speisesaal bezog, an der früher wohl die Essensausgabe stattgefunden hatte, wovon noch eine weißgekachelte Wand zeugte. Hier gab es immerhin ebenfalls eine kurze Gesangsdarbietung zweier junger Damen (Mitglieder des Kölner Opernstudios), die ein Liebesduett Monteverdis zum Besten gaben.

Vielleicht merkt man es:
Die ganze Veranstaltung steckte so voller liebevoller Details (z. B. die beiden Leibwächter Neros, oder die immer wieder auftretenden, rheumatisch-senilen, irgendwie an Loriot-Sketche erinnernden Dienerfiguren; die Videoprojektionen auf Leinwänden an den beiden Stirnseiten des Bühnenraums hinter den beiden Orchestergruppen, auf denen während der Aufführung verschiedene, die Handlung kommentierende Szenen zu sehen waren, die ganz offensichtlich im restlichen, dem Publikum leider nicht zugänglichen Gerling-Gebäude aufgenommen wurden - leider kam hierbei die Kamera in der Kuppel über der Bühne, die das Bühnengeschehen aus einer ganz besonderen Perspektive zeigen konnte, nicht häufiger zum Einsatz...), dass man gar nicht alles aufzählen kann, was zum Gelingen des gestrigen Abends beigetragen hat - ich kann mich der Begeisterung der Rezensenten jedenfalls nur anschließen:
Nach den schon mehrheitlich erfreulich erfolgreichen Produktionen der vergangenen Spielzeit ist der Kölner Oper mit dieser Poppea erneut ein ganz großer Wurf gelungen (von der parallel im Opernhaus an den Start gegangenen Elektra von Strauss hört man ebenfalls Gutes!), so dass man sich jetzt schon ehrlich auf die nächsten Inszenierungen freut und gespannt ist, ob das jetzt erreichte Niveau gehalten werden kann! Dass ich ein solches Fazit mal über die Kölner Oper ziehen kann, freut mich ungemein - noch vor zwei Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, einen solchen Satz einmal schreiben zu können!

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute spielte Wolfgang Abendroth für uns ausschließlich Orgelstücke, die in der Epoche der "französischen Orgelromantik" (also ganz grob so ungefähr zwischen 1860 und 1920) entstanden sind - meine absolute "Stilrichtungs-Lieblingsschublade" in puncto Orgelmusik!
Noch dazu gab es heute eher unbekannte Werke aus dieser Zeit zu hören, mir war zumindest keines der präsentierten Stücke auf Anhieb geläufig:

Théodore Dubois (1837-1924)
Alleluja

Georges Hüe (1858-1948)
Choral varié

Léon Boëllmann (1862-1897)
Suite Nr. 2 (Prélude pastoral/ Allegretto con moto/ Andantino/ Final - Marche)


Das Alleluja von Dubois basiert unüberhörbar auf einem gregorianischen Choral - der Komponist baut sein klangprächtiges Stück auf dieser mittelalterlichen Melodie auf und macht daraus eine typische, auch harmonisch sehr anspruchsvolle Komposition seiner eigenen Epoche.
Der Komponist Georges Hüe (für einen Franzosen ein sehr seltsamer Nachname, wie ich finde) ist mir heute zum ersten Mal begegnet - zumindest hierzulande ist er nicht sonderlich bekannt. Die Anzahl der Kompositionen für Orgel in seinem Gesamtwerk sind laut Herrn Abendroth auch eher gering.
Von Boëllmann kennt man eher die "Suite gothique" op. 25 - seine viersätzige 2. Suite für Orgel steht deutlich im Schatten dieses populären Orgelklassikers, obwohl sie ebenfalls ein ausgesprochen originelles Stück ist: Das einleitende Prélude weckte bei mir spontane Jazz-Assoziationen, so ungewöhnlich waren die darin vorkommenden (wie mir schien stark synkopierten) Rhythmen, die dem Satz teilweise ein ungewohnt "groovendes" Element verliehen.
Der abschließende Marsch ließ auch aufhorchen, denn statt einem vielleicht zu erwartenden pompös-erhabenen Ausklang der Suite erinnerte der Tonfall dieses Schlusssatzes viel eher an einen fröhlichen Kirmesmarsch, der allerdings fast durchgängig wie durch einen "Stimmungsfilter" mit einem eher traurig-melancholischen Ausdruck behaftet war. Schwierig zu beschreiben, dadurch aber definitiv ein absolut spannender und ungewöhnlicher Satz, mit dem die heutige Orgelei zu Ende ging!

Montag, 18. Oktober 2010

Buchtipp: Einsteins Violine

Als ich so ca. 13 oder 14 Jahre alt war, habe ich ein kleines Taschenbuch geschenkt bekommen mit dem Titel "Wissenswertes von A-Z" (ich glaube, es war bei Bertelsmann erschienen) und in diesem kleinen Bändchen konnte ich stundenlang rumblättern - irgend etwas gab es immer wieder zu entdecken: Das Buch bestand aus einer eigentlich ziemlich zusammenhanglosen Sammlung interessanter und teils auch recht belangloser Fakten und Zahlen. Da gab es eine Liste der Austragungsorte der Olympischen Spiele seit 1896, gefolgt von kleinen Bildchen, die erläuterten, wie man die gängigsten Krawattenknoten bindet, dann wiederum eine Liste der höchsten Gebäude der Welt, der wiederum militärische Dienstgrade der Bundeswehr (mit zugehörigen Abbildungen) und das griechische Alphabet folgten. So ging das immer weiter: Auf jeder Seite gab es irgendwelche interessanten und teils auch kuriosen Kleinigkeiten zu finden, die man so oder so eigentlich immer schon mal wissen wollte.
Ich habe das Buch geliebt - und besitze es immer noch.
Mittlerweile habe ich entdeckt, dass es offenbar schon seit ein paar Jahren wieder Bücher mit derartig wissenswert-skurrilen Faktensammlungen gibt: Unter dem Titel "Schotts Sammelsurium" gibt es gleich ein paar Titel mit solchen Listen; neben einem allgemeinen Band sind mir schon Themenbücher zu "Sport, Spiel und Müßiggang" und "Essen & Trinken" begegnet.

Jetzt fragt sich der Musikfreund natürlich zu Recht: "Und was ist mit uns?"
Und da habe ich vor ein paar Wochen tatsächlich genau das Richtige entdeckt:
Unter dem Titel "Einsteins Violine - Ein musikalisches Sammelsurium", ganz frisch erschienen beim Münchner C. H. Beck-Verlag, haben die Autoren Winfried Bönig und Tilmann Claus (beide sind Professoren an der Kölner Musikhochschule) auf knapp 160 Seiten zahlreiche interessante, überraschende, skurrile und lustige Fakten aus dem Bereich der Musik in bewährter Form zusammengetragen. ... und schon fing bei mir die Blätterei wieder an *lach*
Ein tolles und wirklich originelles Buch, auf das ich als Klassik-Fan (und langjähriger Freund solcher Listenwerke) lange gewartet habe!

Eine kurze Auswahl der angebotenen Themen und Listen:
-Abkürzungen im Notentext
-Die juristische Beurteilung des Rings der Nibelungen
-Einige Opern mit biblischen und religiösen Motiven
-Was man für den Bau einer Geige oder einer Orgel braucht
-Einige Stücke, die 1810 bzw. 1910 komponiert wurden
-Unvollendete Werke
-Orchestersitzordnungen
-Beethovens Kleiderschrank
-Komponisten, nach Anzahl der komponierten Streichquartette sortiert
-Die Zutaten für Gioacchino Rossinis Lieblingsgericht Cannelloni

... und so weiter und so fort...

Neugierig geworden? Bei mir hat es jedenfalls funktioniert - und ich bin bisher nicht enttäuscht worden von dieser musikalischen Fakten-Fundgrube!

P.S. (für Klugscheißer): Ein paar Kleinigkeiten in diesen Listen wären noch korrektur- bzw. ergänzungsbedürftig (nobody's perfect), aber die Autoren ermuntern direkt zu Beginn alle Leser, diesbezügliche Anregungen und Kritik an die Redaktion zu schicken - ob ich das wohl mal ausprobieren sollte...? *zwinker*

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Schade!

In den letzten 4 oder 5 Jahren (gefühlt waren es mindestens 10) steht auf meinem Schreibtisch immer der wirklich schön gemachte Abreiß-Tageskalender "Klassik" vom Harenberg-Kalenderverlag.
Jetzt ist ja die Jahreszeit, wo man in Buchhandlungen oder Kaufhäusern bereits wieder mit den im Lauf der Zeit immer umfangreicher (und früher?) erscheinenden vielfältigen Kalenderangeboten für das neue Jahr konfrontiert wird: Wand-, Tisch-, Taschenkalender, usw. in allen nur erdenklichen Formaten, Preislagen und Ausstattungen.
Nachdem ich in der Buchhandlung meines Vertrauens kürzlich vergeblich nach dem "Klassik 2011"-Abreißkalender von Harenberg Ausschau hielt (und das, obwohl die dort ein ansonsten großes Kalenderangebot von diesem Verlag vorrätig hatten), wurde ich ja schon ein wenig misstrauisch - ein Besuch auf der entsprechenden Homepage brachte mich dann jedoch wider Erwarten meinem Objekt der Begierde auch nicht näher.

Also habe ich eine kleine e-Mail an den Kundenservice von Harenberg geschickt und bekam dann auch prompt die bereits befürchtete Bestätigung:

Entgegen unseren Erwartungen war die Begeisterung für diesen Kalender stark rückläufig, und es war uns nicht länger möglich, ihn wirtschaftlich verantwortbar herzustellen. Bitte bedenken Sie, dass wir eine gewisse Mindestauflage benötigen und gezwungen sind, jene Kalender aus dem Programm zu nehmen, die diese Auflage nicht erreichen. Dafür bitte ich um Ihr Verständnis.


Ach männo! Manchmal hasse ich es, ein "Randgruppen-Hobby" zu haben, für dessen Anhänger es sich offenbar nicht einmal mehr lohnt, einen Kalender zu drucken...

Und was stelle ich jetzt ab dem 01.01.2011 auf meinen Schreibtisch???

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Als Gast-Organist spielte heute Jens-Peter Enk, Kantor der Christuskirche in Düsseldorf-Oberbilk, für uns folgendes Programm:

J. S. Bach (1685-1750):
Toccata und Fuge d-moll BWV 538 "Dorische"
"Air" aus der 3. Orchestersuite D-Dur (BWV 1068)

William Mathias (1934-92)
Processional

Albert Renaud (1855-1924)
Toccata, op. 108 Nr. 1


Mit der "dorischen" Toccata und Fuge gab es gleich zu Beginn einen echten Orgelmusik-Klassiker, den ich schon lange nicht mehr gehört habe.
Das weltbekannte Air erklang in einer Bearbeitung für Orgel solo (ich weiß gar nicht, wie viele Arrangements und Bearbeitungen es von diesem unverwüstlichen Stück eigentlich gibt, erst kürzlich habe ich eine Version für Violine und Orgel gehört...)

Das Processional des Walisers Mathias kannte ich noch gar nicht (genau wie den Komponisten!) - dem Titel entsprechend war das ganze Stück in einem marschähnlichen Duktus gehalten. Machte mich jedenfalls neugierig auf Mehr...

Zum Schluss gab es dann wieder mal eine Toccata aus der französischen Orgelromantik (gerade diese Sätze eignen sich als wirkungsvoller Konzertabschluss offenbar immer ganz besonders gut) - auch bei dieser Toccata gab es erwartungsgemäß eine Menge virtuoses Laufwerk in der Oberstimme zu hören, bevor das in loser Rondoform gehaltene Stück zu einem repräsentativen Abschluss kam.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Zuletzt gehört...

In den knapp 4 Wochen, die seit dem runden Geburtstag von Luigi Cherubini vergangen sind, habe ich mir nun schon eine ganze Reihe der zahlreichen Messvertonungen dieses großen Vertreters des musikalischen Klassizismus angehört und mir ist bei diesen herrlichen Werken immer wieder aufgefallen, wie sehr sie mich an die großen Messen von Joseph Haydn (1732-1809) erinnern, die ja auch nur wenige Jahre vor Cherubinis Kompositionen entstanden sind und die dieser mit Sicherheit gekannt hat, zumal er Haydn ja auch sehr bewunderte.

Gestern habe ich mir dann zur Abwechslung mal etwas Instrumentalmusik von Cherubini angehört - seine (einzige) Symphonie in D-Dur, die im Jahr 1815 neben einigen anderen kleineren Stücken als Auftragswerk für London entstanden ist (ein Konzertaufenthalt des Komponisten vor Ort war in diesem Auftrag inbegriffen).
Diese viersätzige, gut halbstündige Symphonie gehört eher zu den unbekannteren Werken Cherubinis und wiederum klingt das offenbar auch im symphonischen Bereich maßstabsetzende Vorbild Haydn unverkennbar an.
Die Parallelen sind aber auch verblüffend: Auch Haydns letzte Symphonien (immerhin 12 an der Zahl!) entstanden innerhalb weniger Jahre anlässlich zweier Aufträge aus London, die ebenfalls mit jeweils mehrmonatigen Konzertaufenthalten vor Ort verbunden waren. Diese 12 "Londoner Symphonien" sind bis heute Haydns populärste Beiträge zur Gattung - was man von Cherubinis arg in Vergessenheit geratener Symphonie leider nicht behaupten kann, obwohl sie sich eigentlich nicht hinter Haydns Symphonien zu verstecken braucht.
Das Problem dieser Symphonie aus dem Jahr 1815 dürfte wohl eher in der Tatsache begründet liegen, dass zwischenzeitlich bereits acht der neun Symphonien Beethovens entstanden waren (die 8. Symphonie war zuletzt im Jahr 1814 uraufgeführt worden) und diese symphonischen Meilensteine haben Cherubinis an Haydn orientierten Gattungsbeitrag gründlich verdrängt, wirkt dieser im Vergleich zu Beethovens Kompositionen doch wie ein deutlicher Rückschritt bzw. ein Verharren in kompositorischen und ästhetischen Elementen des Klassizismus und des längst zu Ende gegangenen 18. Jahrhunderts (den frühen Symphonien von Franz Schubert, die ungefähr zur selben Zeit entstanden sind, ist übrigens häufiger derselbe Vorwurf gemacht worden).

Wie schon an anderer Stelle erwähnt: Die Musikgeschichte kann mit ihrer gnadenlosen Selektion zuweilen unerbittlich sein...

Blendet man jedoch den "Faktor Beethoven" einmal aus, sehe ich keinen Grund, an Cherubinis einziger Symphonie nicht Gefallen zu finden...! ;-)

Die im Jahr 2007 bei NAXOS erschienene Einspielung des Orchestra Sinfonica di Sanremo unter der Leitung von Piero Bellugi vermittelt einen guten Eindruck dieses Werks und kombiniert die Symphonie mit drei ebenfalls sehr hörenswerten Ouvertüren zu Opern Cherubinis:
Lodoïska (1791), Médée (1797) und Faniska (1806), letztere übrigens ein Auftragswerk für Wien und Cherubinis einzige deutschsprachige Oper.

Freitag, 8. Oktober 2010

Das Bonmot für Zwischendurch...

Heute wieder mal etwas zum Thema Literatur (das Zitat von Max Frisch finde ich besonders gelungen):

Schreiben heißt: sich selber lesen.
Max Frisch (1911-1991)


Ein gesunder Mensch wird immer rot, wenn er ein Gedicht gemacht hat.
Frank Wedekind (1864-1918)

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Organist Wolfgang Abendroth präsentierte uns heute folgendes Programm für die halbstündige Lunch-Time-Orgel:

Heinrich Scheidemann (1596-1663)
2 Choralbearbeitungen über "O Gott, wir danken deiner Güt'"
2 Choralbearbeitungen über "Vater unser im Himmelreich"

Johann Christian Heinrich Rinck (1770-1846)
6 Variationen über ein Thema von Corelli, op. 56

Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-47)
Andante D-Dur
Nachspiel D-Dur


Heinrich Scheidemann, der in Hamburg gewirkt hat, könnte man als einen Pionier und Wegbereiter des spätestens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts so berühmten "Norddeutschen Orgelbarock" bezeichnen, er beeinflusste viele Organisten und Komponisten und prägte diese typische Stilart entscheidend mit.

J. C. H. Rinck war im frühen 19. Jahrhundert einer der einflussreichsten Orgelkomponisten und -lehrer. Zu dieser Zeit war die Orgel allerdings schon seit einigen Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) in ihrer Bedeutung hinter Orchester-, Klavier- und Kammermusik zurückgefallen. Eine wirkliche Renaissance der Orgelmusik sollte dann erst wieder ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzen. Auch Rinck hat mit Sicherheit hierfür eine Grundlage geschaffen.
Seine Corelli-Variationen bieten einen interessanten Rückblick auf die Barockmusik, die im frühen 19. Jahrhundert ja bestenfalls noch zu Unterrichtszwecken herhalten durfte, im Konzertleben ansonsten aber so gut wie nicht mehr stattfand. In den Variationen klingt in einigen Passagen unverkennbar die (Wiener) Klassik durch, die letzte (und längste) Variation schiebt den Schluss immer wieder augenzwinkernd hinaus und scheint überhaupt kein Ende nehmen zu wollen, weil das letzte Thema immer wieder noch einmal aufgegriffen wird - das war wirklich witzig gemacht (sofern der Komponist dies denn überhaupt komisch gemeint haben sollte)...

Zwei zum Abschluss gewohnt klangprächtige, früh entstandene Orgelsätze Mendelssohns rundeten die heutige Mittagspause ab.

Montag, 4. Oktober 2010

Buchtipp: LP-Cover Klassik

Es ist schon eine Weile her, dass ich hier zuletzt ein Buch vorgestellt habe (eigentlich wollte ich das ja viel häufiger tun...), heute gibt es aber nun endlich mal wieder einen Buchtipp vom KLASSIKer:


Classique - Cover Art for Classical Music
(Herausgegeben von Horst Scherg)
Die Gestalten-Verlag, Berlin (2008)


Ein wirklich schönes und opulentes Bilderbuch für den Klassik-Fan und Plattensammler - ich habe schon mehrfach ausgiebig darin rumgeblättert und entdecke immer wieder Neues auf den 224 Seiten dieses Bildbands, in dem insgesamt 777 Klassik-LP-Cover von den 1940er bis in die 1980er Jahre zu sehen sind.

Meines Wissens gibt es solche LP-Cover-Bildbände aus der Pop-, Rock- und Jazz-Sparte schon seit Jahren, ein entsprechender Band aus dem Klassik-Sektor war also mal überfällig!

Die knappen, erläuternden Texte in diesem Buch sind komplett (aber gut verständlich) auf Englisch geschrieben - die Hauptrolle spielen aber natürlich die vielen LP-Cover, die, zum Teil nach Entstehungsjahren, Plattenlabels oder Motivthemen geordnet, eine tolle Vielfalt von kitschig über kurios bis zeitlos bieten.
Sehr schön kann man auch nachvollziehen, wie sich der Geschmack in den Bereichen Grafik und Design im Lauf der Jahrezehnte änderte: Angefangen bei den eher funktionalen und oft sehr nüchtern wirkenden Covern vom Ende der Vierziger/ Anfang der Fünfziger (also aus den "Geburtsjahren" der LP) bis hin zu den oft quietschbunten, teils sehr fantasievollen und detailreichen Covern aus den Sechzigern und Siebzigern - zu der Zeit hatte man längst erkannt, dass das großflächige LP-Cover nicht nur einen wunderbaren Werbeträger abgab, sondern eben auch eine ganz neue Fläche für Malerei, Grafik, Fotokunst, etc. bot.
Durch seine alltägliche Verwendung und (zumindest teilweise) große Verbreitung stellt das LP-Cover somit einen nicht zu vernachlässigenden Bereich der für das 20. Jahrhundert so charakteristischen "Gebrauchskunst" dar.

Als zu Beginn der Achtziger dann die CD auf den Markt kam und die LP innerhalb weniger Jahre fast vollständig verdrängte, war die große Zeit der Cover-Kunst dann auch schon wieder vorbei - ein CD-Cover bietet halt leider nur ungefähr ein Viertel der Fläche eines LP-Covers, da bleibt meist kein Platz mehr für aufwendige, detailverliebte Bilder oder Fotos (obwohl auch hier vielleicht einmal ein Blick in die Archive von mittlerweile ja auch schon fast 30 Jahren CD-Cover-Geschichte lohnen würde)...

Der Bildband ist also eine etwas nostalgisch stimmende Hommage an die große Zeit der LP und ihre unglaublich vielfältigen Umhüllungen - und bestimmt auch ein toller Wunsch/ Geschenktipp für Weihnachten! ;-)