Freitag, 25. Februar 2011

Neuerwerbung

Vor ungefähr zwei Wochen habe ich mir die bei NAXOS neu erschienene Gesamtaufnahme von Gioachino Rossinis (1792-1868) komischer Oper La gazzetta zugelegt - eine Entscheidung, die mir dank der bei NAXOS üblichen günstigen Preise leicht gemacht wurde und die ich nicht bereut habe!

Ehrlich gesagt war mir bis dato eine Rossini-Oper dieses Namens noch gar nicht untergekommen, umso überraschter war ich, als ich feststellen musste, dass La gazzetta sogar im Jahr 1816 komponiert und uraufgeführt (26.09.1816) wurde, also genau in dem Zeitraum, in dem auch Rossinis zwei berühmteste und beliebteste komische Opern, Il barbiere di Siviglia und La Cenerentola, entstanden waren.

Im interessant geschriebenen Booklet-Text (das vollständige Libretto kann man sich über die NAXOS-Homepage herunterladen - allerdings nur im italienischen Original) wird die Entstehungsgeschichte dieser ziemlich in Vergessenheit geratenen Opera buffa anschaulich beschrieben.
Die Handlung basiert auf der Komödie Il matrimonio per concorso des venezianischen Erfolgsautors Carlo Goldoni (1707-93) und Rossini hatte für die Uraufführung der Opernfassung dieses Theaterstücks im neapolitanischen Teatro dei Fiorentini eine ungewohnte Herausforderung zu bewältigen: Eine der Hauptrollen war in neapolitanischem Dialekt verfasst und Rossini, der sich mit dem Verstehen dieser Mundart eigenem Benkunden zufolge recht schwer tat, bewältigte diese Aufgabe dann aber mit bewundernswerter Eleganz, die beim örtlichen Publikum verständlicherweise viel Anklang fand.
Ähnlich wie beim Barbier von Sevilla hat Rossini - bewusst oder unbewusst - auch bei La gazzetta eine Textvorlage erneut vertont, die bereits als Oper existierte und wohl auch recht erfolgreich war (wenn auch nicht vergleichbar mit dem Erfolg des älteren Barbiers von Paisiello). Aus diesem Grund benannte Rossini seine Goldoni-Vertonung dann auch nicht Il matrimonio per concorso, sondern eben La gazzetta. Vielleicht reizte ihn die Herausforderung, erfolgreiche und beliebte Opernstoffe neu zu vertonen und dann das Publikum entscheiden zu lassen, wessen Version erfolgreicher und beliebter war? Erfolgsverwöhnt wie er war (zu der Zeit schien ja nahezu jede neue Rossini-Oper ein großer Publikumsrenner zu werden), könnte ich mir gut vorstellen, dass er diese "sportliche" Herausforderung sich selbst gegenüber durchaus als eine Art Ansporn aufgefasst haben könnte.

Wie zu Beginn der besonders produktiven mittleren Schaffensphase Rossinis (die ich von 1813 bis 1823 festlegen würde) üblich, verwertete der Maestro auch in La gazzetta mehrfach Musik älterer eigener Opern, während er wiederum die neu komponierte Ouvertüre zu dieser Oper fünf Monate später für seine nächste Opera buffa La Cenerentola erneut einsetzte (als Vorspiel zu dieser letztgenannten Oper kennt man sie heutzutage dann auch fast ausschließlich).

Vielleicht liegt es an den zahlreichen Anleihen aus seinen früheren Opern, dass man La gazzetta jahrzehntelang als eher zweitrangiges Werk betrachtete, das Rossini nur widerwillig komponiert (bzw. aus älterer Musik lediglich zusammengestellt) hatte und das dementsprechend selten aufgeführt wurde.

Außerdem machte das Fehlen von Partiturseiten eines doch recht umfangreichen Abschnitts in der Mitte des ersten Aktes eine Aufführung in späteren Jahren nicht gerade einfacher, zumal das bloße Weglassen dieser dramaturgisch wichtigen Szenen das Verständnis der weiteren Handlung der Oper für das Publikum nahezu unmöglich machte.

Für die Wiederaufführung von La gazzetta im Rahmen des 19. Festivals "Rossini in Wildbad" im Juli 2007 (die auf der vorliegenden NAXOS-Liveaufnahme dokumentiert ist) gab die Deutsche Rossini Gesellschaft bei dem Komponisten Stefano Piana dann auch eine entsprechende Rekonstruktion der fehlenden Szenen (inklusive eines sich in diesem Szenenkomplex befindlichen Quintetts) in Auftrag, die dieser - ganz nach Rossinis Vorbild - aus älteren Opern des Meisters sowie der kurz danach entstandenen Oper La Cenerentola sehr geschickt (wie ich finde) zusammensetzte, so das für diese empfindliche Lücke nunmehr eine überzeugende Lösung gefunden werden konnte, die hoffentlich diesem charmanten Werk weitere Aufführungen auch an anderen Orten ermöglicht!

Denn - wer die Musik von Barbiere und Cenerentola mag, der wird auch beim Anhören von La gazzetta voll auf seine Kosten kommen (zumal heutzutage ja sowieso Rossinis komische Opern in puncto Beliebtheit und Aufführungshäufigkeit weit vor seinen ernsten Opern liegen)!

Bei NAXOS-Opernaufnahmen bin ich zunächst immer ein bisschen skeptisch, denn bei diesem Label gibt es auch einige (zumeist schon etwas ältere) Opern-Einspielungen, die ich nicht als besonders gelungen bezeichnen würde - aber diese neuerschienene Aufnahme kann ich uneingeschränkt empfehlen, wie es in den letzten Jahren überhaupt zunehmend ausgesprochen erfreuliche neue Opernaufnahmen bei NAXOS gegeben hat!

Die Liveatmosphäre im Kurhaus von Bad Wildbad lässt einiges von der Spielfreude des Ensembles rüberkommen und die typische Rossini-Musik verbreitet von Anfang an gute Laune beim Zuhören.

Mit dem Bariton Marco Cristarella Orestano konnte man zudem einen waschechten Neapolitaner für die Rolle des Don Pomponio gewinnen - er singt die Partie, die im neapolitanischen Dialekt verfasst wurde.

Am besten hat mir jedoch der Tenor Michael Spyres gefallen, der den Alberto singt: Seine helle und flexible Stimme hat mich derart frappant an den ja ebenfalls mit Vorliebe im Rossini-Repertoire beheimateten Juan Diego Flórez erinnert, dass ich das ein oder andere Mal dachte, der berühmte Peruaner wäre es tatsächlich selber!
Mit dem US-Amerikaner Michael Spyres dürfte Flórez jedenfalls eine ernsthafte Konkurrenz im Rossini-Repertoire erwachsen, da bin ich mir ziemlich sicher. Obwohl es natürlich toll ist, dass es auch andere Tenöre gibt, die derartig knifflige, hoch gelegene Partien mit einer wunderbaren und wie selbstverständlich erscheinenden Leichtigkeit bewältigen! Jedenfalls ein Name, den man sich merken sollte - unbedingt mal anhören!

Auch die übrigen Solisten dieser Produktion (die in Koproduktion mit dem SWR entstand), inklusive Chor (ebenfalls aus Neapel importiert) und Orchester unter der Leitung von Christopher Franklin können sich hören lassen - das Ganze hinterlässt einen runden, sehr gelungenen Gesamteindruck!
Außerdem dürfte bei dem schon erwähnten supergünstigen Preis dieser Doppel-CD das Risiko, mit dem Kauf dieser Aufnahme eine Enttäuschung zu erleben, gegen Null tendieren!

Donnerstag, 24. Februar 2011

Älter werden ist nicht schwer...

... deprimiert mich in der Regel aber doch immer wieder mal etwas mehr oder weniger!

Naja - vergangenen Sonntag war es auch bei mir wieder einmal soweit: Geburtstag! (für 2011 habe ich es damit aber auch schon wieder hinter mir *lach*)

Immerhin wurde ich durch den Besuch und die damit verbundene "moralische Unterstützung" vieler lieber Freunde, Freundinnen und Familienmitglieder nicht ganz erfolglos wieder aufgeheitert und habe den Geburtstagsrummel dann doch noch genossen.

Außerdem gab es ja auch noch einige schöne Präsente, die auch dem KLASSIKer das Älterwerden ein wenig versüßen :-)

Thematisch zu diesem Blog passend stelle ich heute hier kurz ein paar Geschenke vor, die einen Klassik-Bezug hatten - bedanken möchte ich mich natürlich bei allen Gratulanten für ALLE großen und kleinen Aufmerksamkeiten! Ich habe mich wirklich sehr gefreut und gebe zu, dass man unter dem Geschenkeaspekt gesehen ruhig öfters Geburtstag haben könnte *zwinker*

Ruggero Leoncavallos selten zu hörende Oper "I Medici" in einer Neuaufnahme mit Plácido Domingo und Carlos Alvarez

Bryn Terfels neues Recital mit dem Thema "Bad Boys" und einer interessanten Mischung zu diesem Thema aus (ernster wie komischer) Oper und Musical

Unbekannte italienische Barockarien (schwerpunktmäßig aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts), virtuos interpretiert von Simone Kermes

Holger Noltzes Buch "Die Leichtigkeitslüge - Über Musik, Medien und Komplexität"

Donna Leons ganz spezielles Händel-Buch "Tiere und Töne - Auf Spurensuche in Händels Opern" (inkl. beiliegender CD - nein, die Autorin singt nicht selber!)

Das von Elke Heidenreich herausgegebene Buch "Ein Traum von Musik - 46 Liebeserklärungen"


Ich bin sehr gespannt auf Musik und Lektüre gleichermaßen!

Mittwoch, 23. Februar 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Quasi als "Appetitmacher" und Einladung für sein Orgelkonzert in der Johanneskirche am 25.02.11 (um 19 Uhr), in dem sich alles um die Gattung der Toccata drehen wird, präsentierte uns Wolfgang Abendroth im heutigen Mittagskonzert zwei prominente Beispiele dieser gerade im Orgelbereich ausgesprochen beliebten Satzbezeichnung:

J. S. Bach (1685-1750):
Toccata und Fuge d-moll BWV 565

Maurice Duruflé (1902-86):
Suite op. 5 (Prélude - Sicilienne - Toccata)


Was soll man zur Toccata und Fuge in d-moll von Bach noch groß sagen oder schreiben?
Faszinierend, dass nicht nur Orgelfans sondern wohl so ziemlich jeder, den man nach einem Musikstück für Orgel fragt, unwillkürlich zuallererst an das charakteristische Eröffnungsmotiv dieser Toccata denken wird! Es gibt nur wenige Musikstücke, die so untrennbar mit einem Instrument verbunden sind und quasi stellvertretend für dieses stehen (vielleicht noch der Beginn von "Für Elise" von Beethoven als Synonym für Klaviermusik schlechthin...)!

Da man Stücke wie die Bach'sche d-moll Toccata und Fuge in- und auswendig kennt, ist es natürlich immer besonders reizvoll, auf Feinheiten bei der Interpretation und der Registrierung zu achten, weil man viele Details bereits im Ohr hat und so leichter vergleichen kann.
Wolfgang Abendroth wählte für seine Wiedergabe ein relativ moderates Grundtempo, was ich gar nicht schlecht fand, da bei rasend schnellen Interpretationen (zu denen sich Organisten offenbar ganz gerne mal verleiten lassen) viele Einzelheiten gar nicht mehr richtig wahrgenommen werden können und diese für mein Empfinden das ganze Stück oft zu einer Art Zirkus- oder Shownummer verkümmern lassen, in dem es dann nur noch ums "Schneller - Lauter - Pompöser" geht. Das hat dieses Werk nun wirklich nicht verdient!
So gesehen war die respektvolle und sorgfältige Herangehensweise von Abendroth eine adäquate Wiedergabe dieses Klassikers; die einzelnen Abschnitte waren (auch durch die den barocken Orgelklangkosmos nie verlasssende Registrierung) deutlich voneinander abgesetzt, gepaart mit kleineren Beschleunigungen oder Verlangsamungen, wo es dramaturgisch angebracht erschien.
Ich fand die Interpretation jedenfalls angemessen, durchdacht und überzeugend!

Die ungefähr 20-minütige dreisätzige Suite op. 5 des Franzosen Duruflé zeigte im Kontrast dazu, dass die Gattung Toccata auch im 20. Jahrhundert noch ihre Existenzberechtigung hatte.
Nach einem ausführlichen, mehrteiligen Prélude folgte zunächst noch ein Siciliano in typisch wiegendem Rhtyhmus, wobei Duruflé es jedoch vermeidet, die für diesen Typ des langsamen Satzes eigentlich charakteristische idyllische Stimmung aufkommen zu lassen.
Die abschließende Toccata ist ein hochvirtuoser Kraftakt für den Organisten: Während der knapp 10 Minuten dieses Satzes gibt es fast ununterbrochen eine in rasend schnellen Läufen vorzutragende Stimme, um die herum sich wechselweise die anderen Stimmen gruppieren.
Dieser Satz ist schon vom rein technischen Aspekt her gesehen echt der Wahnsinn und stellt auf jeden Fall einen würdigen Abschluss dieser Orgelsuite bzw. des ganzen heutigen Konzerts dar!
Ich würde sagen: "Mission Appetitmachung" für das Freitagskonzert mehr als gelungen! :-)

Dienstag, 22. Februar 2011

Miese Recherche

Vor mir liegt die erste 2011er Ausgabe der KlassikAkzente, das ist die Haupostille von Universal Classics (dazu gehören Label wie Deutsche Grammophon, DECCA oder ECM), die vier- oder fünfmal pro Jahr erscheint. Eigentlich finde ich diese immerhin kostenlose Kundenzeitschrift (man könnte sie respektlos auch einfach nur als Werbeheft für neu erscheinende CDs und DVDs bezeichnen) ganz amüsant, da man hier versucht, potentiellen Käufern die neuen Einspielungen in teils aufwendige Interviews oder wortgewaltige Essays verpackt durch stets neue Lobhudeleien schmackhaft zu machen.
Es ist spaßig zu lesen, wie dort sämtliche besprochene Aufnahmen immer nach dem gleichen Strickmuster überaus wortreich und eloquent in den Himmel gehoben werden - ganz egal, ob sie parallel in anderen Rezensionen total verrissen oder zumindest kritisiert werden oder man sich als Leser zumindest fragen muss, ob es die eine oder andere Neuerscheinung denn nun wirklich gebraucht hätte...
Alles egal - die Autoren der KlassikAkzente leisten ganze Arbeit und nach der Lektüre weiß man dann, dass die Welt genau diese neuen Aufnahmen schon immer gebraucht hat und man dankbar ein muss, dass sich Universal Classics dieser Sache gnädig angenommen hat *grins*
Und es gibt keine Ausgabe, in der nicht die gerade aktuell angesagten Aushängeschilder des Labels wie z. B. die unvermeidliche Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Piano-Schatz Lang Lang (für die Herren wahlweise auch lieber Hélène Grimaud) oder die Mezzosopranistin Elina Garanca irgendwo abgebildet, erwähnt oder zu irgendwas befragt werden (gibt ja sonst niemand anderes)... *gähn*

Naja, um fair zu bleiben - es sind natürlich auch bei Universal Classics schon ab und an ein paar interessante Neuerscheinungen dabei, auf die man sonst nicht oder erst viel später einmal aufmerksam geworden wäre, so verbinden sich dann immer praktische und unterhaltende Aspekte bei der Lektüre dieses Heftchens...

Ab und an ärgere ich mich dann aber doch schon mal über ausgesprochen lieblose, um nicht zu sagen schlampig zusammengeschusterte Artikel, denen man genau anmerkt, dass sie eigentlich nur als "Füllmaterial" dienen!

So auch im aktuellen Heft 1/2011, wo auf Seite 5 ein paar Zeilen über anstehende Komponistenjubiläen im Jahr 2011 verfasst wurden - da heißt es dann (im Vergleich zum mit zahlreichen Jubilaren gesegneten Jahr 2010) unter anderem:

Gerade einmal vier (sic!) memorable Daten stehen im Kalender, von denen zwei mit Namen verknüpft sind, über die sich vermutlich selbst ausgewachsene Musikkenner nicht unbedingt auf Anhieb des Langen und Breiten auslassen könnten: Johannes Eccard und Andreas Hammerschmidt. Da waren's nur noch zwei. Wobei der eine von beiden - Gustav Mahler - bereits anno 2010 gebührlich gefeiert wurde und sein 100. Todestag in diesem Jahr daher nur noch als "halbe Memorabilie" durchgeht. Bleibt Franz Liszt, dessen 200. Geburtstag wir am 22. Oktober feiern.


Wenn ich sowas lese, kann ich nur sagen: Der Autor oder die Autorin sollte sich wirklich mal fragen, ob er oder sie nicht ein kleines bisschen mehr Gründlichkeit an den Tag legen könnte, bevor solche im Brustton der Überzeugung mit zugegeben schwungvoller Feder hingeworfenen Behauptungen in die Welt gesetzt werden! Gerade heutzutage geht es mit der Recherche doch sooo schnell und einfach: Was findet man nicht alles für passende Gedenktage in diesem Jahr, wenn man nur die Stichwörter Komponist, 2011, Geburtstag, Jahrestag, Jubiläum etc. in eine der talentierten Internetsuchmaschinen eingibt...?!

Binnen Sekunden kann man sich diverse längere oder kürzere Zusammenstellungen aller nur erdenklichen runden Geburts- und oder Todestage für dieses Jahr ansehen (so habe ich mir schließlich auch meine jährliche Liste Anfang Januar zusammengestellt!) - und man stellt überrascht fest, dass es da eine ganze Menge mehr interessanter Gedenktage gäbe, als es dem Leser der KlassikAkzente hier suggeriert wird.
(Vielleicht hätte der Verfasser dieses Artikels mehr als nur eine der zahlreichen Seiten besuchen sollen, die einem im Netz zu diesem Thema angeboten werden, denn nicht jeder Notenverlag hat Noten aller Jubilare dieses Jahres im Programm und erwähnt daher nur die Herrschaften, deren Musik auch im eigenen Verlagsprogramm erscheint... *zwinker*)

Ich gebe zu: Im Gegensatz zu den Jahren 2010 oder 2009, die beide eine Reihe weltberühmter Komponistenjubilare aufzubieten hatten, fällt die "Ausbeute" in diesem Jahr etwas magerer aus, aber gerade die etwas unbekannteren Namen lohnen doch oft viel mehr für die Erschließung neuer musikalischer Horizonte, oder?
Und ich finde es schon sträflich, in einem Artikel wie dem oben erwähnten die 100. Geburtstage von Jehan Alain und Gian Carlo Menotti oder den 200. von Ambroise Thomas einfach zu ignorieren ebenso wie die 100. Todestage von Johan Svendsen und Alexandre Guilmant oder den 150. von Heinrich Marschner!
Witzigerweise kennt man weder von den stattdessen erwähnten Herren Andreas Hammerschmidt noch von Johannes Eccard das genaue Geburts- bzw. Sterbedatum im betreffenden Jahr 1611, so dass man gar nicht genau sagen kann, wann denn nun eigentlich genau der jeweilige Gedenktag sein soll :-)

Aber was soll man sich bei Universal Classics auch Gedanken um solche völlig nebensächlichen Herren machen? Von allen hier erwähnten Komponisten (bzw. deren Werken) gibt es nämlich keine erhältliche Aufnahme irgendeines Werks im Gesamtkatalog dieses selbsternannten "Marktführers"...! Da muss man sich dann auch in der Redaktion nicht groß die Mühe machen, nach weiteren dieser unbekannten und damit ja auch völlig unwichtigen Herren zu suchen.

Immerhin - ein paar Jubilare hätte man erwähnen können, von denen geneigte Käufer aus diesem Grund eventuell dann doch noch Musik hätten erwerben wollen, die tatsächlich auch bei den zahlreichen Labels von Universal Classics erhältlich gewesen wäre und die man in dem Zusammenhang mal wieder offensiv hätte vermarkten können - aber auch diese Chance wurde vertan...

Nur drei kleine spontane Beispiele (die aber vermutlich alle zuwenig "Glamour" besitzen - denn darauf kommt es schließlich heute an!):

In diesem Jahr wäre der 1992 verstorbene Argentinier Astor Piazzolla 90 Jahre alt geworden.

Vor 75 Jahren starb der italienische Komponist Ottorino Respighi.

Der amerikanische Komponist Steve Reich feiert am 3. Oktober 2011 seinen 75. Geburtstag.


Alles muss man selber machen! ;-)

Mittwoch, 16. Februar 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute gab es im Konzert zum ersten Mal seit längerem wieder einmal nur ein Orgelwerk zu hören, dafür dann eben ein längeres:

Sigfrid Karg-Elert (1877-1933)
Symphonischer Choral "Jesu, meine Freude" op. 87 Nr. 2


Dieses etwas mehr als 20-minütige dreisätzige Stück für große Orgel des Spätromantikers Karg-Elert schätzte der Komponist unter seinen zahlreichen Werken laut eigener Aussage ganz besonders und es war eine Freude, die Beckerath-Orgel in der Johanneskirche wieder einmal in voller Aktion erleben zu können!

Karg-Elert bezieht sich in diesem Stück musikalisch immer wieder auf den bekannten Choral "Jesu, meine Freude", dessen Melodie, wie auch die durch den Text ausgedrückten Stimmungen für seine Komposition als roter Faden gedient haben.

Gespielt wurde dieses orgelmusikalische "Schlachtross" souverän von der jungen Ungarin Anna Somogyi, die derzeit in Herford ihr Orgelstudium absolviert und heute in der Luch-Time-Orgel zu Gast war.

Montag, 14. Februar 2011

Ein Abend in der Oper - "Platée" in Düsseldorf

Seit dem Sommer 2009 war ich nicht mehr in der Düsseldorfer Oper, vergangenen Donnerstag (10. Februar) war es dann aber wieder einmal soweit: Mit der als Ballet bouffon ("Komisches Ballett") bezeichneten Oper Platée von Jean-Philippe Rameau (1683-1764) stand eine hierzulande eher selten zu erlebende Oper des französischen Barock auf dem Spielplan, auf die ich schon länger neugierig war und die ich mir nicht entgehen lassen wollte.

Nachdem schon die Bonner Oper vor ca. 10 Jahren einen kleinen Zyklus von Rameau-Opern gebracht hatte, hat man an der Düsseldorfer Deutschen Oper am Rhein seit der vergangenen Spielzeit (mit "Les Paladins") nun auch mit einem Rameau-Zyklus begonnen.
Im Rahmen des Bonner Rameau-Zyklus' hatte die Regisseurin der aktuellen Düsseldorfer Produktion, Karoline Gruber, bereits im Jahr 2004 Rameaus Oper Dardanus inszeniert, an der Kölner Oper war ihre Arbeit unter anderem 2007 mit einer aus Hamburg übernommenen Produktion von Händels Giulio Cesare in Egitto zu erleben (eine Inszenierung, die mir übrigens nicht so besonders gefallen hatte).

Während man sich erfreulicherweise mittlerweile an Barockopern italienischer Machart (vor allem von Georg Friedrich Händel) doch recht regelmäßig erfreuen kann, sind die zeitgleich entstandenen französischen Opern eines Rameau (oder Lully) bei uns leider nach wie vor eher selten bis gar nicht auf der Bühne zu erleben.

Aber woran liegt das? Bietet die französische Oper im Gegensatz zum eher als unflexibel zu bezeichnenden ständigen (und fast ausschließlichen) Wechsel von Rezitativ und Arie der italienischen Barockoper dem heutigen Publikum doch eigentlich eine deutlich größere Abwechslung und Vielfalt mit ihrem eher "revueartigen" Charakter (meist knapp gehaltene Solonummern wechseln sich in bunter Reihenfolge mit Chören, Tänzen und ausdrucksstarken, in einem typischen Deklamations-Stil gehaltenen gesungenen Konversationsszenen ab).

Allerdings ist die französische Barockoper auch sehr an die höfischen Verhältnisse und Gepflogenheiten von Versailles gebunden - im Gegensatz zu ihr ist die italienische Oper dieser Epoche ein eher schon als "volkstümlich" zu bezeichnendes virtuoses Sängerfest. Im Gegensatz hierzu sind die stark zeitgebundenen Rituale und Anspielungen in den französischen Opern des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts in heutigen Aufführungen natürlich nicht so einfach umzusetzen, bzw. einem unvorbereiteten modernen Publikum zu vermitteln, was wohl einer der Hauptgründe für die im Vergleich zur italienischen Opera seria doch deutlich selteneren Aufführungen einer französischen Tragédie lyrique an unseren heimischen Opernhäusern sein dürfte.

Aufgrund der zahlreichen Tanzeinlagen, die unbedingt zu einer französischen Barockoper dazugehören, können viele Opernhäuser, die nicht (mehr) über ein eigenes Tanzensemble verfügen, solche Opern schon gleich gar nicht mehr auf die Bühne bringen - ein Grund wohl auch, warum wir in Köln Opern von Lully oder Rameau bereits seit Jahren nicht mehr zu sehen bekommen haben…

Die Thematik von Rameaus Platée ist dann aber auch für die französische Barockoper noch einmal wieder eine eher ungewöhnliche, denn bei Platée handelt es sich um einen komischen Opernstoff - und das war bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf französischen Opernbühnen eher eine Ausnahme, die traditionelle Tragédie lyrique (der Name sagt es schon) behandelte vorzugsweise heroisch-tragische Stoffe, die allesamt in einer götterdurchtränkten mythologischen Antikenwelt spielten. Zumindest in diesem letzten Punkt macht Rameaus Platée auch keine Ausnahme - allerdings werden in dieser Oper auch die unsterblichen Bewohner des Olymp von satirischen bis kritischen Seitenhieben nicht verschont und das macht Platée dann doch zu etwas Besonderem.

Umso neugieriger war ich auf die Inszenierung der bereits erwähnten Regisseurin Karoline Gruber (Premiere war am 28.01.2011).

Die Uraufführung von Rameaus Platée fand im März 1745 anlässlich der Hochzeit des französischen Kronprinzen in Versailles statt und das Ganze war, man kennt ja die sprichwörtliche dekadente Verschwendungssucht der absolutistischen französischen Könige, mit Sicherheit ein ausgesprochen üppiges und prachtvolles Event.
In der Regel identifizierte sich das adelige Publikum mit den auf der Opernbühne erscheinenden Göttern (entsprechende Huldigungen an die Majestäten gehörten in diesen Opern zum guten Ton), auf die übrigen Personen - im realen Leben wie auf der Bühne - sah man eher geringschätzig bis gönnerhaft herab. So gesehen verwundert es etwas, dass das damalige durchlauchte Publikum gar nicht gemerkt haben will, dass in Rameaus Platée die Götter auch nicht so besonders gut wegkamen und sich nicht nur wie gewohnt das "niedere Volk" als Zielscheibe für Spott und Amüsement anbot (vielleicht wollte man das aber auch nicht wahrhaben und bemerken).

Platée ist die Geschichte der hässlichen Sumpfnymphe, die in einer Mischung aus maßloser Selbstüberschätzung und Eitelkeit einer Intrige der olympischen Götter zum Opfer fällt, indem man ihr vorgaukelt, dass Göttervater Zeus (Jupiter) höchstpersönlich sich in sie verliebt habe und sie zur Frau nehmen wolle. Das Ganze ist ein (letztlich erfolgreicher) Schachzug, der nur dazu dienen soll, die notorisch eifersüchtige Jupiter-Gattin Juno (Hera) ein für allemal von der Grundlosigkeit ihres den Göttergatten gewaltig nervenden Verhaltens zu überzeugen…

In der Düsseldorfer Inszenierung entschied sich Karoline Gruber dafür, die ganze Geschichte in der Jetzt-Zeit spielen zu lassen, wohl um den Zuschauern die Assoziationskette "antike Götter = französisches Adelspublikum der Uraufführung" zu ersparen und durch die Aktualisierung die Identifikation auch des heutigen Publikums mit den Bühnenfiguren zu erleichtern.

So wird aus Göttern und der sie umgebenden Gesellschaft eine schick gewandete Abendgesellschaft, die im Prolog der Oper der glamourösen Werbepräsentation eines neuen "In-Getränks" namens JUPITER (eine Mischung aus Champagner und Wodka, wie dem auf der Bühne enthüllten großen Werbeplakat zu entnehmen ist) beiwohnt.

Platée und ihre Sumpfmitbewohner sind in dieser Inszenierung hingegen deutlich erkennbar als die Verlierer der modernen Gesellschaft (seit einiger Zeit geistert hierfür ja der "Fachbegriff" Prekariat durch die Medien): In tristen, teils schmuddligen Klamotten humpeln, schleichen und kriechen sie schon während der Ouvertüre über die Bühne, sammeln Müll vom Boden oder humpeln mit dem Rollator von A nach B. Immer, wenn diese Figuren im Verlauf der Aufführung wieder auf der Bühne erscheinen, wenden sich die Vertreter der Schickimicki-Gesellschaft mehr oder weniger dezent mit Gesten der Anwiderung und des Genervtseins von diesen unerfreulichen Anblicken ab. Soweit, so aktualisiert…

Auch Platée steht während der schon erwähnten Werbeveranstaltung am Rand der Bühne und bestaunt ungläubig und linkisch den sich dort entfaltenden Glamour mit bunten Kostümen, Tänzerinnen, kostenlosen Getränkeproben, etc.

Der besondere Reiz an dieser etwas skurrilen Figur liegt darin, dass diese Frauenrolle von einem Tenor in besonders hoher Lage, einem sogenannten Haute-contre gesungen wird. Diese schwierig zu singende Stimmlage ist sozusagen eine französische Barockspezialität (die man dort den italienischen Kastraten vorzog), für die es heutzutage nicht allzu viele Sänger gibt. Immerhin gab es auch in der italienischen Oper Frauenrollen, die von Tenören zu singen waren, meist handelte es sich hierbei um die Verkörperung alter und komischer Frauen, z. B. in Monteverdis Krönung der Poppea.

Mit dem jungen Schweden Anders J. Dahlin hatte man nun einen ausgesprochenen Glückgriff getan: Als Haute-contre hat er naturgemäß schon ausgesprochen viel Erfahrung in verschiedenen Partien von Rameau sammeln können (und vor ein paar Jahren in Kiel bereits als Platée auf der Bühne gestanden), so dass der rein musikalische Aspekt seiner Rolle ihm überhaupt keine Probleme zu bereiten schien.

Anders J. Dahlin (Platée), Quelle: Deutsche Oper am Rhein, Foto: Hans Jörg Michel

Mindestens ebenso überzeugte neben dem musikalischen Aspekt aber auch die subtile schauspielerische Leistung dieses sympathischen Künstlers: Da die Inszenierung bewusst auf allzu grobschlächtigen Klamauk verzichtete (und eben auch auf die ganze Platée eigentlich charakterisierende Sumpf- und Krötenthematik), hing somit eine Menge von der schauspielerischen Leistung des Darstellers der Titelfigur ab, um dieser Figur eine einigermaßen glaubwürdige Verkörperung zu ermöglichen.
Konsequent wurde der Platée-Darsteller dann auch nicht in ein schrilles Frauenkostüm gezwängt, um statt als hässliches grünes Krötenwesen nun ersatzweise als schräge Transe das gespielte Publikum auf und das echte vor der Bühne zu erheitern - im Gegenteil war die weibliche Gewandung des Sängers ausgesprochen zurückgenommen und sparsam: Ein bieder-altbackener Rock, ein nicht besonders auffälliges Top, eine blonde Kurzhaarfrisur (kein Schmuck, keine fingiert-bombastische Oberweite, nichts dergleichen).
Diese wenigen, eher angedeuteten weiblichen Utensilien waren alles - und die waren auch völlig ausreichend für Anders Dahlin, um mit fein abgestimmten Gesten, Mimik und passenden Körperhaltungen das Bild einer unscheinbaren, etwas sonderlichen Außenseiterin (als klassisches Mauerblümchen ohne jede nennenswerte Oberweite oder sonstige körperlichen Vorzüge) zu zeichnen, die sich im Lauf der Zeit ihre ganz eigene Traumwelt, in der sie die von allen begehrte große Dame ist, geschaffen hat und aus der sie nicht mehr so richtig herauszukommen scheint, bzw. Realität und Fantasie nicht mehr zu trennen vermag, weshalb sie wohl auch auf die von Mercure angezettelte Intrige um die Liebe von Göttervater Jupiter zu ihr hereinfällt.

Das war schon große Kunst, die Dahlin da schauspielerisch wie musikalisch ablieferte, man nahm ihm die dargestellte Figur wirklich ab und es fiel eigentlich zu keinem Zeitpunkt wirklich auf, dass da eigentlich ein Mann diese Frauenfigur spielte!

Dass das Ganze allerdings wieder einmal der hierfür komponierten Musik entgegenlief (wie leider so häufig in modernen Inszenierungen), war hierbei allerdings ein Wermutstropfen: Rameaus zahlreiche amüsanten vokalen wie instrumentalen Anspielungen an den Sumpf, in dem Platée und ihr Gefolge hausen, liefen so natürlich völlig ins Leere, da die Bühne während der ganzen Oper einen von Säulen umstandenen Innenhof darstellte, auf dem zahlreiche Kulissenelemente und sonstige Requisiten hin- und herbewegt wurden, wo aber von einer Wasser- oder Sumpflandschaft nichts auch nur zu erahnen war.

Auch der eigentliche "Knalleffekt" der ganzen Oper, die Szene, in der die vor Eifersucht rasende Juno mitten in die fingierte Hochzeitszeremonie platzt, der (vermeintlichen) Rivalin Platée den Schleier vom Gesicht reißt - und daraufhin in schallendes Gelächter ausbricht, verpuffte leider durch die schon beschriebene, harmlos-schüchterne Darstellung der unglücklichen Sumpfnymphe: Sooo abgrundtief und absonderlich hässlich war die Erscheinung dann auch wieder nicht, die da plötzlich entschleiert vor Juno stand, dass diese eine derartig hemmungslos erheiterte Reaktion wirklich glaubhaft an den Tag legen konnte…!

Eigentlich fühlte man auch während des gesamten Rests der Oper eine Menge Mitleid für die so grausam verspottete Außenseiterin - ich bin aber nicht sicher, ob das in dieser psychologisch so ausgeklügelten Form wirklich der ursprüngliche Sinn hinter Rameaus Oper war. Ging es ihm bei der Kreation seiner Titelheldin nicht doch eher "nur" um eine fröhliche, schrill überzogene spaßige Travestie zur Unterhaltung der königlichen Hochzeitsgesellschaft (der gleichwohl einige satirische Spitzen innewohnten)?

Naja - musikalisch war die ganze Aufführung zum Glück ein großer Ohrenschmaus: Das Alte-Musik-Ensemble "Neue Düsseldorfer Hofmusik" spielte wunderbar präzise, transparent (mit vibratolosem Streicherklang) und mit einem schönen abgerundeten Ensembleklang unter der routiniert-engagierten Leitung von Konrad Junghänel, den ich damit nach drei Aufführungen in Köln seit Oktober 2009 nun schon zum vierten Mal innerhalb von knapp anderthalb Jahren in einer Opernproduktion erleben durfte! Dem Orchester fehlte vielleicht manchmal die für Alte-Musik-Ensembles so charakteristische "rhythmische Schärfe", gerade in den Gewitterszenen (wo zwei der Musiker tatsächlich statt in ihre Flöten zu blasen die Kurbel einer historischen Sturmmaschine zu drehen bzw. ein Blech zwecks Donnererzeugung zu schütteln hatten!) und in manchen Tanznummern. Alles klang "rund", aber für meinen Geschmack eben halt teilweise etwas zu wenig "knackig". Aber das ist jetzt wirklich Jammern auf hohem Niveau - auf die musikalische Gesamtleistung des Abends will ich nichts kommen lassen!

Unter den zahlreichen, allesamt gut aufgelegten Solisten gefielen mir neben Anders Dahlin auch der Tenor Thomas Michael Allen (Mercure bzw. Thespis im Prolog - eine Partie, die Anders Dahlin interessanterweise im April 2011 in Amsterdam unter der Leitung von René Jacobs singen wird!), der Bassist Sami Luttinen als Jupiter sowie die Sopranistin Sylvia Hamvasi als La Folie besonders gut! Vor allem die Letztgenannte hat in ihrer Rolle als die festgefügten gesellschaftlichen Konventionen sprengende La Folie (zu deutsch in etwa "Tollheit" oder "Verrücktheit") von Rameau einen musikalisch ausgesprochen anspruchsvollen Auftritt verpasst bekommen, in dem sie sogar eine koloraturengespickte Arie im italienischen Stil der damaligen Zeit zu singen hat, was im musikalischen Zusammenhang der restlichen Oper tatsächlich wie ein exotischer Fremdkörper wirkte und sehr schön zeigte, wie weit französische und italienische Oper damals stilistisch auseinanderlagen!

Zu guter Letzt fielen mir auch die Tänzerinnen und Tänzer des Düsseldorfer Ensembles sehr positiv auf, die den zahlreichen Tanznummern der Oper Leben einhauchten und zeigten, dass man auch zu Barockmusik durchaus moderne (und damit zur Inszenierung passende) Choreographien tanzen kann, ohne dass das Ganze aufgesetzt und bemüht wirkt! An einigen Stellen waren auch Chor, Statisterie, Sängerinnen und Sänger an den tänzerischen (und gestischen) Aktionen beteiligt, was rein optisch schon einen ganz guten Eindruck machte.

Einige Längen des Stücks konnten aber auch die ständigen Bühnenaktionen nicht ganz überbrücken: Man merkt der Oper halt doch stellenweise an, dass sie der Unterhaltung einer Festgesellschaft diente, deren Aufmerksamkeit mit Sicherheit nicht ständig dem Bühnengeschehen galt - zwischen der Ankündigung der (fingierten) Hochzeitspläne Jupiters im zweiten Akt bis zur "Enttarnung" der Braut durch Juno gegen Ende des dritten Aktes passiert nicht wirklich etwas Entscheidendes - es wird immer wieder getanzt, kleinere und größere Gesangsvorträge verschiedener Personen finden statt, richtig vom Fleck kommt die Geschichte dann aber erst wieder gegen Ende des Stücks, wenn Platée nach ihrer "Entzauberung" kurz vor der so ersehnten Hochzeit so verzweifelt wie vergeblich allen Peinigern Rache schwört und dann einsam zurückbleibt - nur einer der immer wieder während der Inszenierung auftauchenden herzförmigen roten Luftballons bleibt ihr am Ende von diesem Liebesabenteuer…

Insgesamt also ein inszenatorisch ausgesprochen interessanter und musikalisch auf jeden Fall sehr zufriedenstellender Abend im Reich der wohl für alle Zuschauer (im zu ca. drei Vierteln gut besuchten Düsseldorfer Opernhaus) eher ungewohnten französischen Barockoper!

Mittwoch, 9. Februar 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute Mittag spielte Wolfgang Abendroth für uns Orgelmusik von zwei aus Belgien stammenden Zeitgenossen, deren Kompositionen stilbildend für die von mir so geliebte französische Orgelromantik waren und die eine Reihe jüngerer Komponisten (wie z. B. Widor, Dubois, Vierne und Guilmant) nicht unmaßgeblich beeinflusst haben:

César Franck (1822-90): Fantaisie C-Dur

Jacques-Nicolas Lemmens (1823-81): Sonate Nr. 1 d-moll ("Pontificale")


Die Fantasie von Franck verbreitete über weite Strecken eine heitere, friedlich-ruhige Stimmung, in der viersätzigen Orgelsonate von Lemmens kann die Orgel dann vor allem im Kopfsatz und im dritten Satz (dem titelgebenden "Marche Pontificale") klangmäßig so richtig schön auftrumpfen! Die abschließende Fuga, die den charakterisierenden Zusatz Fanfare trägt, ist ein fast schon beschwingt zu nennender, kunstvoller "Rausschmeißer", der eine fröhliche Stimmung verbreitet, die man in der Regel mit so etwas ernstem und würdevollem wie einer Fuge gar nicht in Verbindung bringen würde!

Freitag, 4. Februar 2011

Philharmonie-Konzert

Diese Woche Dienstag (01.02.11) bin ich überraschend noch ein weiteres Mal in den Genuss gekommen, nach dem Symphoniekonzert am 11. Januar nun auch noch das nächste Konzert des Kölner Gürzenich-Orchesters besuchen zu können.

Dieses 5. Symphoniekonzert der Spielzeit 2010/11 hatte folgendes Programm:

Hans Werner Henze (geb. 1926):
Elogium Musicum amatissimi amici nunc remoti (für gemischten Chor und Orchester)

Ludwig van Beethoven (1770-1827):
Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 55 "Eroica"

Colin Matthews (geb. 1946):
Crossing the Alps (für gemischten Chor und Orgel)

MDR Rundfunkchor (Einstudierung Howard Arman)
Roderick Shaw, Orgel

Gürzenich-Orchester Köln
Dirigent: Markus Stenz


Das ungewöhnlich zusammengesetzte Programm dieses fast schon als halbes Chorkonzert zu bezeichnenden Symphoniekonzerts hat mich direkt neugierig gemacht, zumal es sich bei den beiden Chorwerken um ganz neue Kompositionen handelt: Henzes vierteiliges Stück, das einen lateinischen (meinem Empfinden nach etwas verquasten) Text von Franco Serpa als Grundlage hat, ist im Jahr 2008 entstanden, Colin Matthews' Komposition sogar erst 2009!

Während beim letzten Symphoniekonzert des Gürzenich-Orchesters im Januar das Orchester nach dem Beginn mit Mozart nach der Pause für die Schostakowitsch-Symphonie mächtig aufgerüstet wurde, schlug man diesmal den umgekehrten Weg ein:
Für das Henze-Werk waren noch mehr als 90 Musiker (plus Chor) erforderlich - inklusive einer reich besetzten Schlagwerk-Abteilung - für die Beethoven-Symphonie wurde dann im zweiten Konzertteil das Ganze auf die klassische Symphonieorchesterbesetzung (in diesem Fall ca. 50 Ausführende) "abgespeckt", der letzte Teil dieses Gürzenich-Orchester-Konzerts fand dann sogar ganz ohne selbiges statt: Nur der Chor und die Orgel waren im sogenannten "3. Akt" noch auf dem Podium zugange...

Das etwas sperrig betitelte Henze-Chorwerk "Elogium Musicum amatissimi amici nunc remoti" ("Lobgesang auf einen sehr geliebten Freund, der nun weit entfernt ist") ist anlässlich des Todes von Henzes langjährigem Lebensgefährten Fausto Ubaldo Moroni als eine Art Requiem entstanden. Fausto Moroni - 18 Jahre jünger als sein Freund Henze - war 2007 überraschend gestorben und Henze hat in dem viersätzigen, ca. 20-minütigen Werk für Chor und großes Orchester einen abwechslungsreichen Abschiedsgesang auf einen extra für diesen Anlass gedichteten lateinischen Text komponiert. Die Uraufführung fand im Oktober 2008 im Leipziger Gewandhaus statt, der mit dieser Uraufführung betraute Chor war ebenjener in Leipzig ansässige MDR Rundfunkchor, der - somit bestens mit diesem Werk vertraut - dieses Stück nun auch bei uns in Köln präsentieren durfte.

Ich fand Henzes Elogium nicht uninteressant, es gab einige wirklich anrührende Momente - im Großen und Ganzen fehlte mir aber etwas die - vielleicht aber vom Komponisten auch gar nicht beabsichtigte - große Linie in diesem ja nun auch nicht allzu langen Werk: Ständig wechselten Stimmung, Tempo, Besetzung, Lautstärke, am Ende bricht das Ganze sogar mitten in einer großen Steigerung ganz unvermittelt ab! Bei Markus Stenz war die Aufführung dieses Stücks in guten Händen - er pflegt langjährige künstlerische Kontakte zu Henze und hat auch mehrere Werke von ihm uraufgeführt.

Der eindeutige Höhepunkt des Konzerts war - und das gilt sicher nicht nur für mich - hingegen eindeutig die Aufführung von Ludwig van Beethovens symphonischem Meilenstein, seiner weltberühmten, "Eroica" betitelten 3. Symphonie!
Auch in dieser Symphonie geht es (und dies bildete wohl die sinnstiftende Kombination des Henze- mit dem Beethoven-Werk, die man auch im Rahmen der oben erwähnten Uraufführung im Oktober 2008 in Leipzig so gewählt hatte) um die Ehrung eines "großen Mannes", wie die Beethoven'sche Widmung nach der vielzitierten, im Zorn erfolgten Streichung der ursprünglichen Widmung des Werks an Napoléon Bonaparte nun stattdessen vielsagend lautete.

Markus Stenz interpretierte Beethovens Dritte ausgesprochen schwung- und temperamentvoll: Da klang nichts wuchtig und bedeutungsschwanger - im Gegenteil: Auch in seinen ausladenden Gesten beim Dirigieren betonte Stenz die ausgesprochen tänzerischen Elemente der Partitur, die gerade in den Ecksätzen (und im Scherzo) dem Ganzen eine wirklich absolut faszinierende und mitreißende Wirkung verliehen und Beethovens Genie (wieder einmal) eindrucksvoll erstrahlen ließen! Eine echte Sternstunde mit einem großartigen Orchester!

Wenn - wie am Dienstag - Markus Stenz "sein" Gürzenich-Orchester selber dirigiert, gibt es zum Abschluss des Konzerts regelmäßig den als "3. Akt" bezeichneten letzten Teil, dessen Besonderheit darin besteht, dass sein Programm immer erst unmittelbar vor dem Erklingen vom Maestro selbst dem Publikum bekanntgegeben wird.

Als deutsche Erstaufführung gab es nun also das ungefähr 7-minütige Chorstück "Crossing the Alps" des englischen Komponisten Colin Matthews, das als Auftragswerk für das Mahlerjahr 2010 entstanden war und vor fast genau einem Jahr, nämlich am 28. Januar 2010, in Manchester vom Hallé Choir unter der Leitung von Markus Stenz uraufgeführt wurde.

Vertont hat Matthews einen Text des Dichters William Wordsworth (1770-1850), in dem es nur vordergründig um eine Alpenüberquerung geht - eigentlich dreht sich alles um die menschliche Schaffens- und Erfindungsgabe, also erneut eine Art Lob des (kreativen und schöpferisch tätigen) Menschen - und damit wiederum eine irgendwie existente thematische Verbindung zu den beiden vorangegangenen Stücken dieses Konzertabends.

Von Matthews kannte ich bisher nur seinen symphonischen Satz "Pluto, the Renewer", der im Jahr 2000 die berühmte Suite "The Planets" von Gustav Holst (1874-1934) um den damals in Holsts Suite noch fehlenden Planeten ergänzte.

Matthews' Chorstück "Crossing the Alps" mit der sehr dezenten, sich nur im Bassbereich bewegenden Orgelbegleitung wirkt ausgesprochen ruhig und irgendwie geheimnisvoll - mich hat das Stück (ich bin ja eh ein Freund britischer Chormusik) wirklich neugierig gemacht auf weitere Werke dieses englischen Komponisten! Schade, dass es nur knapp 7 Minuten gedauert hat.

Immerhin konnte der MDR Rundfunkchor nach seinem eigentlich viel zu kurzen Einsatz im Henze-Werk hier noch einmal seine exzellente Intonation und seinen sehr homogenen Ensembleklang unter Beweis stellen.

Insgesamt also ein abwechslungsreicher und gelungener Konzertabend (eine gut 80%ige Auslastung der gut besuchten Kölner Philharmonie) mit ein paar überraschend neuen musikalischen Eindrücken und Begegnungen!

Mittwoch, 2. Februar 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute spielte Wolfgang Abendroth für uns zwei mehrsätzige Werke:

Georg Friedrich Händel (1685-1759): Concerto aus "Judas Maccabäus"

Gustav Adolf Merkel (1827-85): Sonate Nr. 9 c-moll, op. 183


Von Händel gibt es - im Gegensatz zu seinem Altersgenossen Bach - ja leider keine im Original überlieferten Werke für Orgel solo, dafür aber unter anderem natürlich die wunderbaren Orgelkonzerte, wo neben der Orgel auch noch ein (Streich-)Orchester zum Einsatz kommt.
Der für seine Improvisationskunst gerühmte Händel hat zur Freude seines Publikums während der Aufführung seiner späten Oratorien zwischen den Teilen (quasi als "Pausenfüller") solche Orgelkonzerte gespielt, aber auch allein an der Orgel improvisiert - diese Improvisationen sind aber leider, leider nicht aufgeschrieben worden.
Das heute für uns gespielte fünfsätzige Concerto erklang in seiner ursprünglichen Gestalt im Rahmen der Aufführung des Oratoriums "Judas Maccabäus" (1747) als Konzert für Orchester, bzw. Orgel mit Orchester, existiert aber auch in der heute zu Gehör gebrachten Bearbeitung für Orgel solo.
Der dritte Satz ("ad libitum") sieht hierbei eine Improvisation des Organisten vor - da von Händel selber keine Noten zu diesem Satz erhalten sind, spielte Wolfgang Abendroth uns seine eigene Improvisation: Ein ganz auf die tiefen Basstöne verzichtender, luftig-leicht wirkender, munterer Satz - ganz im Stil des großen Barockmeisters!

Der in Dresden tätige, heute nicht mehr sonderlich bekannte Organist Gustav Adolf Merkel hat insgesamt neun Sonaten für die Orgel geschrieben - die dreisätzige, gut 15-minütige zuletzt entstandene Sonate in c-moll bekamen wir heute zu hören: Wirkungsvolle und für den Organisten dankbare romantische Musik, die in den Ecksätzen der Molltonart entsprechend mitunter auch ein bisschen dramatisch klingt, während der in Dur stehende langsame Mittelsatz eine freundlich-idyllische Stimmung verbreitet.