Donnerstag, 31. März 2011

KLASSIKers Lieblingsstücke (IV): Beethoven - Violinkonzert op. 61

Beethovens im Jahr 1806 uraufgeführtes Violinkonzert D-Dur op. 61 dürfte zweifellos das bedeutendste Violinkonzert aus der Epoche der Wiener Klassik sein.

Für mich persönlich handelt es sich bei diesem Werk jedenfalls um mein Lieblings-Violinkonzert - was durchaus auch darauf zurückzuführen sein mag, dass es das erste Violinkonzert überhaupt war, mit dem ich bereits als Kind konfrontiert wurde: Im Plattenschrank daheim befand und befindet sich sicher immer noch eine Aufnahme, bei der mich zunächst einmal das Cover neugierig machte - ein wahrscheinlich aus dem 19. Jahrhundert stammendes Gemälde, das einen jungen Mann zeigte, der, seine Geige in der Hand haltend, auf dem Fensterbrett eines geöffneten Fensters sitzt und gedankenverloren-sehnsuchtsvoll nach draußen in eine sonnendurchflutete Sommerlandschaft blickt.
Meine Neugier war jedenfalls geweckt (wobei mich hier mal wieder interessieren würde, ob schon einmal jemand untersucht hat, welche Wirkungen verschieden gestaltete Plattencover auf Betrachter und potentielle Hörer haben…), zu dem damaligen Zeitpunkt kannte ich von Beethoven lediglich die 5. und 6. Symphonie - ich habe sein wunderbares Violinkonzert daraufhin dann in kürzester Zeit sehr ins Herz geschlossen!

Vor allem der umfangreiche erste Satz, der von seiner Länge her in der Regel sogar den zweiten und dritten Satz zusammengenommen übertrifft, hat es mir sehr angetan!
Dieser Satz mit seinem ausgesprochen symphonischen Charakter, in dem das Soloinstrument und das Orchester gemeinsam zur musikalischen Entwicklung beitragen und das Orchester nicht bloß als schmückendes Beiwerk dient, um den Solisten möglichst glanzvoll dastehen zu lassen, entspricht für mich in Reinform den ästhetischen Prinzipien der Wiener Klassik, die unter anderem Werte wie Ausgewogenheit und Ebenmaß propagieren.
Als Gegensatz zu einem solchen Entwurf steht das sogenannte "Virtuosenkonzert", wie es im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts vielfach gang und gäbe werden sollte: Der - meist auch noch reich besetzte - Orchesterpart dient lediglich als grandioses Entree zu Beginn des Konzerts und wird in der Folge zur profanen Begleitung des Soloinstruments reduziert, während der Solist Gelegenheit bekommt, mit allen nur erdenklichen Mätzchen und Kunststückchen auf seinem Instrument zu brillieren und seine Zuhörerschaft in Erstaunen zu versetzen. Man höre sich zum Vergleich mit Beethovens Konzert beispielsweise nur einmal ein Violinkonzert von Paganini an - auch schön (und sehr effektvoll), aber eben unter ganz anderen ästhetischen Maßstäben komponiert.

Nicht, dass der Violinpart von Beethovens Konzert nicht anspruchsvoll wäre (wenn ich mich recht erinnere, hat man ihn eine Zeit lang sogar als "unspielbar" bezeichnet) - im Gegenteil: Die Geigenstimme bewegt sich über weite Strecken in großer Höhe, der Solist muss in der Lage sein, weite Melodiebögen zu gestalten, ohne die Spannung zu verlieren und das Ganze in einzelne Episoden zerfallen zu lassen. So gesehen besteht die Herausforderung an den Solisten/ die Solistin bei Beethoven eben nicht nur in der absoluten technischen Beherrschung des Instruments sondern darüber hinaus vor allem auch noch in der Fähigkeit, mit dem Blick auf das ganze Konzert einen ausgeprägten künstlerischen Gestaltungswillen (und die Fähigkeit, dies auch umsetzen zu können) an den Tag zu legen.
Kein Wunder also, dass viele der eher wie Zirkusartisten getrimmten Solisten vor allem des 19. Jahrhunderts mit einem Konzert wie diesem nichts anfangen konnten…! Der "Show-" und "Glamourfaktor" war hier ja auch viel zu gering - das mag albern klingen, scheint aber, nach allem, was ich so gelesen habe, gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für den Erfolg und die Beliebtheit von Solokonzerten eine ziemlich entscheidende Rolle gespielt zu haben.
Die Aufnahme, die ich seinerzeit im Plattenschrank gefunden habe, ist übrigens bis heute meine liebste Einspielung des Beethoven-Violinkonzerts geblieben - es gibt sie natürlich auch auf CD:

Es handelt sich um die 1962 erstmalig erschienene Aufnahme mit Wolfgang Schneiderhan als Solist und den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Eugen Jochum.

Wolfgang Schneiderhan (von dem ich auch seine Einspielungen der fünf Mozart-Violinkonzerte sehr empfehlen kann!) spielt seinen Part wie mühelos mit einem schwerelos wirkenden, leichten und zarten Ton - die Violinstimme schwebt quasi wie ein singender Vogel über einer sonnendurchfluteten Orchesterlandschaft, wenn ich mal ein solches Bild bemühen darf, um diese ganz besondere Stimmung zu beschreiben, die diese Aufnahme in mir auslöst.

Da Beethovens Violinkonzert noch aus einer Epoche stammt, in der die Komponisten die Solo-Kadenzen in ihren Konzerten in der Regel noch dem guten Geschmack und dem improvisatorischen Können der ausführenden Solisten überließen (Voraussetzungen, die wohl nicht immer gegeben waren, was dazu führte, dass die Komponisten nach und nach dazu übergingen, Solo-Kadenzen direkt in ihre Kompositionen als verbindlichen Bestandteil zu integrieren), ist es beim Anhören einer Aufnahme natürlich immer spannend, zu erleben, für welche Kadenz sich der Solist oder die Solistin entschieden hat, denn natürlich haben im Lauf der Zeit einige berühmte Solisten und Komponistenkollegen ihre eigenen Vorschläge und Ideen für die Kadenzen im ersten und dritten Satz des Beethoven-Konzerts aufgeschrieben und man kann heute aus den unterschiedlichsten Versionen auswählen (vom Ludwig selber gibt es hierzu leider - im Gegensatz zu seinen Klavierkonzerten - keinen eigenen Beitrag!).
Seit vielen Jahrzehnten erfreuen sich besonders die Kadenzen von Joseph Joachim (1831-1907) und Fritz Kreisler (1875-1962) bei den verschiedensten Solisten weltweit großer Beliebtheit.

Wolfgang Schneiderhan wählte für seine Einspielung einen ungewöhnlichen Ansatz: Von dem D-Dur-Violinkonzert existiert nämlich eine ebenfalls in D-Dur stehende Fassung für Klavier und Orchester (op. 61 a), die entweder von Beethoven selber oder evtl. von einem seiner Schüler stammen könnte. Für das auf diese Weise ganz neu entstandene Klavierkonzert hat Beethoven eine umfangreiche Kadenz für den ersten und dann noch eine für den dritten Satz geschrieben.
Wolfgang Schneiderhan stellte sich nun der Herausforderung, den natürlich mehrstimmigen Klavierpart auf die spieltechnischen Möglichkeiten der Solo-Violine zu reduzieren, ohne dass die musikalische Substanz dieses Parts verloren ging. Ich finde, er hat diese Aufgabe ganz hervorragend gelöst (und damit gleichzeitig eine Kadenz für das Violinkonzert erhalten, die nun doch noch von Beethoven selber stammt)! Ungewöhnlicherweise wählt er sich einen "Dialogpartner" für diese Kadenz: Die Pauke, deren viermalig klopfendes Motiv ja den ganzen ersten Satz entscheidend mitprägt, tritt zur Geigenstimme hinzu - eine interessante Idee. Von den mehr als 24 Minuten, die der erste Satz in dieser Aufnahme für sich beansprucht, entfallen immerhin fast 4 Minuten auf die erwähnte Solo-Kadenz!

Zum Vergleich kann man sich ja auch einmal die wirklich lohnenswerte Klavierversion dieses Konzerts anhören - Daniel Barenboim hat im Jahr 1973 dieses Werk zusammen mit dem English Chamber Orchestra eingespielt.


Ein wirklich extremes Beispiel für eine, sagen wir, etwas fremdkörperartig wirkende Kadenz, ist mit Sicherheit die von Alfred Schnittke (1934-98) verfasste Version, die im Rahmen der Neuaufnahme des Beethoven-Konzerts im Jahr 1981 von Gidon Kremer zusammen mit der Academy of St Martin in the Fields unter der Leitung von Sir Neville Marriner eingespielt wurde.
Zunächst - Solist und Orchesterpart, die Wahl der Tempi - gefallen mir sehr gut! Auch die "Zugabe" auf dieser CD (neben einer der beiden fast schon obligatorischen Violinromanzen Beethovens - hier ist es op. 40) ist originell gewählt:
Eine ebenfalls von Gidon Kremer als Solist dargebotene Aufnahme der Rekonstruktion eines frühen Versuch Beethovens, sich der Gattung des Violinkonzerts anzunähern - der Konzertsatz C-Dur WoO 5. Immerhin eine gute Viertelstunde lang erklingt ein wirklich beeindruckendes (meiner Meinung nach geschickt vervollständigtes) Jugendwerk Beethovens, das man als Freund des Violinkonzerts op. 61 unbedingt auch einmal kennenlernen sollte.

Aber: Als ich die Kadenzen - vor allem natürlich die des ersten Satzes - anhörte, wäre ich ja fast vom Stuhl gefallen! Ich hatte früher die bereits erwähnte Schneiderhan-Klavierkonzert-Pauken-Kadenz schon für "extravagant" im Vergleich mit einer "normalen" Violinkonzert-Kadenz gehalten, aber was Herr Schnittke da zusammenkomponiert hat, sorgte bei mir eigentlich nur noch für eine Mischung aus ungläubigem Kopfschütteln und unfreiwilligen Heiterkeitsanfällen!
Man muss sich ernsthaft fragen, ob das eigentlich wirklich ernst gemeint gewesen ist oder das Ganze von vornherein eine Parodie darstellen sollte?

Die Idee, mit dem ja eigentlich der Pauke zugeordneten Motiv einzusteigen (damit beginnt ja der 1. Satz), ist ja gar nicht so schlecht, aber wenn die Violinstimme dann irgendwann ausbricht und immer wildere Läufe anstimmt, die stilistisch ihre zeitliche Zugehörigkeit zum 20. Jahrhundert nicht leugnen können, klingt das für mich - jedenfalls im Rahmen eines Beethoven-Konzerts - unfreiwillig (oder absichtlich) komisch.
Gegen Ende dieser Kadenz im 1. Satz (auch sie dauert länger als 4 Minuten) darf dann tatsächlich auch noch die Pauke einstimmen (die Idee ist ja seit Schneiderhan nicht neu), allerdings im Gegensatz zu den eher sachten Paukenschlägen im von Beethoven komponierten Teil des ersten Satzes, darf der Pauker hier derart herzhaft auf die dicke Trumm hauen, dass es eine wahre Freude ist... *grins*

Ich fand die ganze Darbietung äußerst aufschlussreich (ausgelöst durch eine Profilneurose von Herrn Schnittke - oder ein mangelndes Einfühlungsvermögen in Beethovens Tonfall?) und in höchstem Maße unsensibel...
Vermutlich stammt die Kadenz aus einer Zeit (1950er/ 1960er Jahre???), als man es für unter seiner Würde empfand, Kadenzen im Stil einer längst vergangenen Epoche zu schreiben - auch wenn "störenderweise" der Rest des Konzerts aus einer ebensolchen stammen sollte. Dass es so eine provokant-progressive Einstellung unter einigen Komponisten und Musikern gegeben hat, die sich rücksichtslos auch über stilistische Bedenken hinwegsetzten, davon habe ich schon gehört.

Als CD-Käufer hätte ich allerdings einen erläuternden Hinweis zum Komponisten der hier eingespielten Kadenzen auf der erwähnten CD (zumindest in der Tracklist) schon sehr wünschenswert gefunden - leider findet sich hier jedoch nirgendwo ein Kommentar - auch für eine CD im Low-Budget-Preissektor sollte ein solcher kurzer Hinweis jedoch nicht zuviel verlangt sein, finde ich!
Ich habe dieses "Machwerk" gehört und mich gut amüsiert (und mir die Aufnahme ja auch gerade gezielt wegen der hier zu hörenden Schnittke-Kadenzen gekauft!), aber was passiert, wenn ein Neugieriger, der gern mal "irgendwas von Beethoven" hören möchte und dann zufällig zu dieser wirklich preisgünstigen CD greift und völlig unvorbereitet auf diese gewöhnungsbedürftigen Kadenzen trifft?
Entweder, er hält Beethoven ab diesem Zeitpunkt für einen ziemlich modernen Komponisten (aber ist er das nicht eigentlich sowieso?), oder er traut sich nie wieder an ein weiteres Werk des "wilden Bonners" heran... *lach*

Denn eines ist klar - so lustig diese Kadenz auch klingen mag, die Atmosphäre des bis dahin wirklich exzellent musizierten 1. Satzes zerstört sie natürlich völlig - sie passt ungefähr so gut zum Rest der Musik wie eine Dixieland-Kapelle in die Matthäus-Passion. Und das zeugt für mich von wenig Respekt Beethoven gegenüber!

Respekt hingegen für Gidon Kremer, dass er sich überhaupt an eine Neuaufnahme mit diesen ungewöhnlichen Kadenzen gewagt hat!

Man sieht also (um ein Fazit zu ziehen): Ein spannendes Thema und ein umwerfendes Konzert! Beethoven at his best, würde ich mal behaupten!

Mittwoch, 30. März 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Im heutigen Mittagskonzert gab es ein wirklich ungewöhnliches Programm zu hören (und genau solche unerwarteten Überraschungen liebe ich immer ganz besonders):
Organist Udo Flaskamp spielte für uns eine von ihm selbst verfertigte, gut 30-minütige Transkription aus dem Finale des ersten Akts der Oper "Parsifal" von Richard Wagner (1813-1883)!

Die durchweg sehr getragene und weihevolle Musik dieses Teils von Parsifal ließ sich, so erläuterte uns Herr Flaskamp in einer kurzen Einführung vor dem Konzert, ganz besonders gut auf die Orgel übertragen - und tatsächlich passten gerade die schier endlos lange ausgehaltenen Liegetöne und das über weite Strecken stetig wiederholte, ein bisschen wie ein barockes Ostinato wirkende Bassmotiv wirklich gut zu den charakteristischen Klangeigenschaften einer Orgel.

Als Wagner-Fan hatte sich unser Organist immer schon einmal gewünscht, die Klänge dieses Komponisten auch auf "seinem" Instrument in passender Weise wiedergeben zu können. Die zahlreichen bereits existierenden Wagner-Orgeltranskriptionen (z. B. von Karg-Elert) hatten ihn jedoch nie wirklich zufriedenstellen können, da sie sich meist auf eine potpourriartige Aneinanderreihung der bekanntesten und prägnantesten Motive einzelner Wagner-Werke beschränkten.
So fertigte sich Herr Flaskamp dann einfach kurzerhand seine eigene Transkription an und folgte hierbei strikt dem Verlauf der Partitur - nur so, so erläuterte er uns, ließe sich auch der bei Wagner ja oft so bewundernswerte Aufbau einzelner Szenen und die Wirkung größerer, zusammenhängender musikalischer Komplexe wirklich nachvollziehen.

Diese Ansicht kann ich nach dem heute Gehörten gut verstehen - ich wünschte mir nur, dass ich das heute vorgetragene Stück einmal auf einer noch größeren Orgel als der Beckerath-Orgel, die in der Johanneskirche steht, gespielt hören könnte! Denn ich hatte mehrfach den Eindruck, dass das nicht gerade kleine Instrument hier doch tatsächlich an seine klanglichen Grenzen stieß, z. B. knarrten die hier häufig zum Einsatz kommenden tiefen Basspfeifen teilweise etwas störend.

Alles in allem jedenfalls eine tolle Idee - beeindruckend umgesetzt!

Mittwoch, 23. März 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Alle heute von Wiltrud Fuchs gespielten Stücke basierten auf Choralmelodien, die in verschiedenster Weise musikalisch bearbeitet wurden, bzw. als Inspirationsquelle für eine Komposition gedient haben:

J. S. Bach (1685-1750):
Fuga sopra "Meine Seele erhebt den Herrn" BWV 733

Johann Ludwig Krebs (1713-80):
Choralbearbeitungen über
"Ach Gott, erhör mein Seufzen" und
"Freu dich sehr, o meine Seele"

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-47):
Orgelsonate f-moll op. 65 Nr. 1

(im ersten Satz erklingt - quasi als Motto und musikalischer Ausgangspunkt der ganzen Sonate die Choralmelodie "Was mein Gott will, das g'scheh allzeit")

Ich war etwas überrascht, dass die f-moll Orgelsonate von Mendelssohn nach dem Konzert am 26. Januar 2011 heute schon wieder auf dem Programm stand - derartige Wiederholungen innerhalb kurzer Zeit sind bislang im Rahmen der Lunch-Time-Orgel-Konzertreihe noch nie vorgekommen.
Allerdings kann man eine gelungene Komposition wie diese natürlich auch mehrfach hören und hat jedesmal aufs Neue wieder große Freude daran - und live gespielt ist es sowieso am schönsten! :-)

Dienstag, 22. März 2011

"Anna Netrebko singt Stabat Mater"

Nä, wat ist dat wieder aufregend: Dat Frau Netrebko hat 'ne neue CD am Start!

Letzte Woche habe ich die neue Anzeige gesehen, in der für ihre neueste Création geworben wird: Ein großes Foto, auf dem die Künstlerin im schwarzen, strassbesetzten Kleid zu sehen ist - sie ringt mit schmachtend geschlossenen Augen dramatisch ihre Hände - theatralischer geht's wirklich nicht!

Übertitelt wird dieses Bild von einer aus drei Schlagworten bestehenden Botschaft:

LEIDEN
SCHAFFT
SCHÖNHEIT


Wow! Möchte nicht wissen, wie viele hochbezahlte kreative Köpfe monatelang über diesem schon fast als literarisch zu bezeichnenden Slogan gebrütet haben!
Wenn man das zugehörige Foto so anschaut, scheint die arme Frau Netrebko diese knackige Motto-Vorgabe wörtlich genommen zu haben und schaffte es offenbar mühelos, bei der Aufnahme ihrer neuen CD ganz schön zu leiden

Was ihre neue CD eigentlich für Musik enthält?

Das ist schwierig zu beantworten, denn diese vielleicht nicht ganz so wichtige Mitteilung erfährt der Betrachter dieser Werbeanzeige nämlich erst ganz unten auf der Seite in deutlich kleinerer Schrift: "Anna Netrebko singt Stabat Mater" steht da - nicht mehr und nicht weniger…

Na, dann ist ja alles klar!

Sie singt also "Stabat Mater" - hmmm, bloß diese zwei Worte? Wie langweilig.

Oder eher das Stabat Mater? Gibt doch eh nur eins, oder? Das von diesem, diesem Dings, äh, na wie hieß dieser Komponistenheini denn noch? Ähmm…

Immerhin ist sogar auch noch das Cover der neu erschienenen CD in dieser Anzeige abgebildet (warum eigentlich?) - allerdings so winzig, dass man allen Ernstes eine Lupe benötigt, um eventuell wenigstens hier erfahren zu können, was "La Divinetta" denn nun wirklich singt.
Und tatsächlich, wenn man gaaanz genau hinguckt, erkennt man dort die Worte "A Tribute to Pergolesi" - das ist dann doch endlich mal ein brauchbarer Hinweis, der darauf schließen lässt, dass Frau Netrebko also nicht das Stabat Mater von z. B. Scarlatti, Rossini, Dvorak, Szymanowski oder gar Poulenc zum Besten gibt.

Keine Ahnung, warum Frau Netrebkos Plattenlabel dem neugierigen Leser die Erlangung dieser Information so schwierig macht, ich schließe viel eher daraus, dass es dem eingefleischten Hardcore-Fan von Donna Anna sowieso völlig Hupe ist, was sein Idol singenderweise so von sich gibt; Hauptsache, sie tut es überhaupt…

Dass man für Pergolesis Stabat Mater auch noch eine weitere, übrigens neben dem Sopranpart völlig gleichberechtigte zweite Solostimme benötigt (nämlich einen Alt), scheint allerdings auch eine absolute Nebensache zu sein - auf der winzigen Coverabbildung erkennt man tatsächlich eine zweite Frauensperson neben Donna Netrebko, aber wer will schon ernsthaft wissen, wer das ist?
Wenn man dann also erneut zur Lupe gegriffen hat, wird erkennbar, dass es sich hierbei um Marianna Pizzolato handelt - doch diese Information verblasst, genau wie die, wer eigentlich Orchester und Dirigent dieser neuen Aufnahme sind, in Anbetracht der Tatsache, dass die größte, singendste, lebendste Sopranistin unserer Tage endlich einmal wieder ein paar neue Töne, die ihrer überirdischen Goldkehle entschlüpft sind, auf CD für die Ewigkeit hat konservieren lassen.
Und dafür muss man wirklich dankbar sein - alle weiteren Informationen (die der interessierte Klassikfreund vielleicht gerne erfahren hätte, wie z. B. auch die Tatsache, ob neben dem knapp 40-minütigen Stabat Mater denn noch etwas anderes auf dieser neuen CD zu hören sein wird) würden diese frohe Botschaft doch nur unnötig verwässern! Nach solchen zu vernachlässigenden Details würde eh nur ein Ungläubiger zu fragen wagen.

Ich habe mal recherchiert, weil ich dann doch neugierig geworden bin (ob genau das das Ziel dieser obskuren Werbestrategie ist?) und zu dieser neuen CD neben einer Coverabbildung in einer weniger lächerlichen Mikroskopgröße dann noch folgende Infos zu Tage gefördert:

Neben dem Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) enthält die CD noch eine Sinfonia zu einem Oratorium des früh verstorbenen Komponisten sowie zwei seiner Kantaten für je eine Solostimme mit Orchesterbegleitung: "Nel chiuso centro" für Sopran und "Questo è il piano" für Alt.

Es spielt das Orchestra dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia (Rom) unter der Leitung von Antonio Pappano.

Warum man der anscheinend für diese Aufnahme ja lediglich eine Art Statistinnenrolle verkörpernden Marianna Pizzolato noch eine ganze Solokantate zugestanden hat, statt "La Netrebko" gleich noch eine zweite Soprankantate singen zu lassen, ist mir allerdings ein Rätsel - naja, wahrscheinlich hätte es sonst allzu unbescheiden gewirkt. ("Mer muss och jönne könne!", wie der Kölner zu sagen pflegt…)

Wenn man das Ganze wenigstens pünktlich zum Pergolesi-Jubiläumsjahr 2010 auf den Markt geworfen hätte!
Aber zu diesem Anlass hatte sich beim selben Label offenbar bereits Claudio Abbado mit seinen Neueinspielungen geistlicher Musik Pergolesis durchgesetzt.
Hätte man die beiden Stars denn nicht in ein- und derselben Produktion kombinieren können, oder wäre das dann des Guten zuviel auf einmal gewesen?

Montag, 21. März 2011

Das Bonmot für Zwischendurch...

Frühlingsanfang
So steht es heute im Kalender und wenn man aus dem Fenster schaut, trifft das auch voll und ganz zu - herrlich!!!

Dazu fällt mir ein passender Kommentar von Emanuel Geibel (1815-84) ein:

Frühling ist die schöne Jahreszeit, in der der Winterschlaf aufhört und die Frühjahrsmüdigkeit beginnt.


In diesem Sinne: Einen wunderschönen frühlingshaften Wochenstart!

Donnerstag, 17. März 2011

Klassik-Zeitschriften: Crescendo

Höchste Zeit, dass ich hier mal ein paar Zeitschriften vorstelle, die ich regelmäßig lese und die sich mit allem rund um das Thema "Klassische Musik" beschäftigen (davon gibt es ja leider nicht allzu viele...)!

Da ich gestern die neueste Ausgabe in meinem Briefkasten vorfand, beginne ich heute einfach mal mit dem sieben Mal pro Jahr erscheinenden Crescendo - das Klassikmagazin, das sich mittlerweile immerhin schon im 14. Jahrgang befindet (für eine Klassik-Zeitschrift ist das schon ganz beachtlich!).

Ähnlich wie die Zeitschrift Rondo liegt auch Crescendo zur kostenlosen Mitnahme in gut sortierten Plattenläden, aber auch in Konzertkassen, Opernfoyers und ähnlichen Orten aus. Beide Zeitschriften finanzieren sich ausschließlich durch Anzeigen, die Plattenlabels und -läden, HiFi-Gerätehersteller, Konzertveranstalter und andere an der Zielgruppe der Klassikhörerinnen und -hörer interessierte Unternehmen dort schalten.
Das hat in gewissem Maße natürlich den Vorteil, dass man in puncto Berichterstattung und Rezensionen relativ unabhängig ist und sich so auch schon einmal der ein oder andere kritische Ton in Besprechungen von Neuaufnahmen oder neu erschienenen Buchtiteln findet - allerdings wird man es aber mit Sicherheit nicht riskieren, durch allzu negative Berichte einen potentiell wichtigen Werbekunden zu vergrätzen...

Im Gegensatz zum erwähnten Rondo-Heft lag bei Crescendo einer der thematischen Schwerpunkte bisher auf der Ankündigung und redaktionellen Begleitung von Opern- und Konzertaufführungen und vor allem auch von Klassik-Festivals im deutschsprachigen Raum (das liegt vielleicht daran, dass man Crescendo wie erwähnt eben auch in den Foyers von Opern- und Konzerthäusern vorfinden kann). Eine ganze Ausgabe pro Jahr widmet sich beispielsweise ausschließlich diesen in den Sommermonaten stattfindenden Events - der sogenannte Crescendo Festspiel-Guide (die Ausgabe für 2011 erscheint Anfang April).

Wie beim kostenlosen Rondo gibt es auch bei Crescendo die Möglichkeit, sich die Hefte auch im Abo zusenden zu lassen (ich habe mich im letzten Jahr auch dafür entscheiden, da ich die Erscheinungstermine ärgerlicherweise fast immer vergessen hatte!).
Bei Rondo gab es schon länger die Option, sich eine sogenannte "Premium"-Ausgabe schicken zu lassen, die deutlich umfangreicher ausfällt als die kostenlose Ladenversion und der regelmäßig auch eine CD beiliegt, die Hörproben im Heft besprochener Neuaufnahmen enthält.
Seit der aktuellen Ausgabe März-Mai 2011 ist nun auch Crescendo hier gleichgezogen und bietet ab sofort ebenfalls eine "Premium"-Ausgabe für Abonnenten an, die statt der bisherigen 52 nun 82 Seiten umfasst! Bisher unterschied sich die im Rahmen des Abonnements versandte Ausgabe nämlich nicht von der kostenlosen - allerdings erhielt der (immerhin ja auch dafür zahlende) Abonnent auch bisher schon eine Hörproben-CD, die sich - wie beim Rondo-Magazin - in der Regel auf im Heft erwähnte Neueinspielungen bezieht.
Ob man plant, das neu "aufgepolsterte" Crescendo-Heft in dieser Form nun auch im Zeitschriftenhandel anzubieten, weiß ich noch nicht (ich werde da mal die Augen aufhalten) - dass das Ganze nur für Abonnenten da sein soll, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, denn warum sollte man jetzt einen Heftpreis auf den Umschlag drucken (immerhin 7,90 EUR), der rein rechnerisch mit dem Abopreis (49,90 EUR pro Jahr) nichts zu tun hat?
Im Gegensatz zum Rondo-Heft, das in seiner Premium-Ausgabe "lediglich" einen erweiterten Mittelteil enthält, ist die Premium-Version von Crescendo ein recht aufwendig gestaltetes, ziemlich edel wirkendes Magazin geworden (das äußerlich an eine Ausgabe der Zeitschrift FonoForum erinnert).
Die nach wie vor erscheinende kostenlose Ausgabe könnte man jetzt eher als eine Art Kurzversion dieser "Deluxe-Fassung" bezeichnen, die einige Artikel der ausführlichen Ausgabe enthält, aber eben im Ganzen mit 30 Seiten weniger doch deutlich knapper ausfällt.

Im Gegensatz zu Rondo und FonoForum liegt der redaktionelle Schwerpunkt von Crescendo traditionell nicht auf der Vorstellung und Besprechung neuer CDs oder DVDs, obwohl natürlich auch hierüber in einem angemessenem Umfang berichtet wird.
Kritisieren würde ich hier allerdings die teilweise doch recht arge Knappheit der ein oder anderen Rezension - da wird der Leser in einer Besprechung neugierig gemacht, aus Platzgründen bleibt es dann aber bei einigen unverbindlichen Bemerkungen, z. B. über eine - so wörtlich - "abstrus" geratene Schubert-Symphonien-Einspielung der Bamberger Symphoniker, zu der man dann gerne etwas mehr erfahren hätte, was aus erwähnten Platzbeschränkungsgründen dann aber wohl oder übel unterbleiben muss - ärgerlich, sowas!

Mal schauen, welchen Weg das "neue" Crescendo in den nächsten Monaten gehen wird, aber ich vermute mal, dass die ja schon länger gewählte Marschrichtung mit dem Schwerpunkt Festivals & Co. wohl beibehalten werden wird.

Ergänzt wird die Zeitschrift durch Interviews mit und Berichten über Stars und Sternchen der internationalen Klassik-Szene - üblicherweise vor allem natürlich mit denen, die gerade eine neue CD am Start haben, einen runden Geburtstag oder Bühnenjubiläum begehen oder eine große Tournee beginnen.
Sympathischerweise wird in der aktuellen Ausgabe als Ergebnis einer Leserumfrage aber auch über Musiker und Musikerinnen berichtet, die im Allgemeinen (und meist zu Unrecht!) etwas weniger im Rampenlicht stehen und daher landläufig als etwas "unterschätzt" gelten dürften!

Außerdem findet man Hintergrundberichte über interessante Opern- und Konzerthäuser, gesellschaftliche Phänomene, die im Zusammenhang mit der Rezeption klassischer Musik stehen (in der aktuellen Ausgabe z. B. Kulturstiftungen, musikalische Früherziehung), etc.
Abgerundet wird das Ganze durch ein paar dezente Lifestyle-Hinweise für die landläufig ja als recht solvent geltende (und werbetechnisch somit ja besonders interessante!) Zielgruppe des Hefts.

Über allem steht das vollmundige Motto von Crescendo:
Crescendo ist Deutschlands spannendstes Klassik-Magazin. Crescendo holt die Welt der Musik aus dem Elfenbeinturm in die Mitte der Gesellschaft. Klassik ist eine Frage des Stils, ein Brückenschlag zwischen Tradition und Zukunft - wie Politik, Mode und Architektur - eine aufregende Form der Kommunikation.


Große Worte - ich bin sehr gespannt, wie man dieses Credo weiter verfolgen und umsetzen wird!

Mittwoch, 16. März 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Wolfgang Abendroth spielte für uns heute ein großes Orgelwerk der Spätromantik, nämlich die dreisätzige Sonate Nr. 19 f-moll op. 193 von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901).

Die gut halbstündige Sonate steht zwar in einer Molltonart, dennoch überwiegen - jedenfalls habe ich das beim Zuhören so empfunden - teils freundliche, teils festliche und versöhnlich stimmende Passagen, vor allem im größtenteils folkloristisch angelegten Mittelsatz, dessen idyllisch anmutende Überschrift "Provencalisch" wirklich Programm ist!

Donnerstag, 10. März 2011

Buchtipp: Wer schrieb Beethovens Zehnte?


Hier hat der Buchtitel seine Wirkung nicht verfehlt: Kaum hatte ich ihn gelesen, war meine Neugier sofort geweckt! *grins*

Harald Asel:
Wer schrieb Beethovens Zehnte?
Alles was Sie über Musik nicht wissen


Bei diesem im Jahr 2008 im Eichborn-Verlag erschienenen Buch handelt es sich um eine vergnügliche Zusammenstellung interessanter Fakten, Geschichten und Fragestellungen, mit denen wohl jeder Klassik-Fan irgendwann einmal konfrontiert wurde - und auf die man nicht unbedingt immer sofort eine passende Antwort hat, bzw. man nicht auf Anhieb weiß, wo genau man da mal schnell nachschlagen könnte...

Auf 280 Seiten hat der Autor, der Musikwissenschaftler und Kulturjournalist Harald Asel einige solcher im wahrsten Sinne des Wortes "klassischen Fragen" zusammengestellt und beantwortet diese in einem informativen, gut und unterhaltsam zu lesenden Plauderton - und das stets mit einem sympathischen Augenzwinkern, was wieder einmal beweist, dass das ganze Gebiet der klassischen Musik keinesfalls immer so intellektuell-abgehoben angegangen werden muss, wie man es leider viel zu oft mitbekommt (und was ja viele potentiell Interessierte stets wieder aufs Neue abschreckt), sondern dass man auch bei der Vermittlung von Hintergrundwissen Spaß haben sich dabei gut unterhalten lassen kann!

Das Konzept von Beethovens Zehnter erinnerte mich ein bisschen an das von mir im letzten Herbst vorgestellte Buch Einsteins Violine, allerdings besteht der Einstein hauptsächlich aus mehr oder weniger unkommentierten Listen, Tabellen und Zitatensammlungen(was ja auch sehr unterhaltsam sein kann), während es sich im hier vorgestellten Buch bei allen (erneut augenzwinkernd) strikt alphabetisch nach Stichwörtern sortierten Themengebieten um ausformulierte Artikel handelt.

Zum Neugierigmachen hier mal ein paar Überschriften:

-Absolutes Gehör
-Brennendes Rom
-Coburgs Walzerkönig
-Dirigentin, erste
-Doppelt und dreifach vertont
-erfundene Musikgeschichte
-Fälschlich zugeschrieben
-Historische Momente auf dem Theater
-Kammerton a
-Köchel, Hoboken & Co. (Werkverzeichnisse)
-Kollegenlob und -schelte
-Klarinettenersatz, wetterfester (die Geschichte des Saxophons)
-Mannheimer Raketen
-Neun, Mythos der Zahl
-Oeuvres, schmale und überbordende
-Plagiatsverdächtig
-Primadonnengezeter
-Sitzordnung im Orchester
-Syphilitiker
-Taktstock
-Thomaskantoren
-Wahnsinnige (auf und hinter der Bühne)
-Zahlensalat bei Schubert

Ich ertappe mich zur Zeit ständig dabei, dass ich beim oberflächlichen Rumblättern stets wieder irgendwo hängen bleibe und ganz unbewusst ans Schmökern komme :-)
Es gibt einfach zu viele interessante Themen, die Harald Asel da anreißt!

Kritisieren würde ich vor allem die etwas irritierende Tatsache, dass auf jeder Seite außen ein Drittel freigelassen wurde, was ich für eine ziemliche Platzverschwendung halte, wenn man das mal auf die Gesamtseitenzahl dieses Buches umrechnet! Mich erinnert das Ganze an den Korrekturrand, den man in der Schule immer bei Klausuren freilassen musste - erwartet man das hier etwa vom Leser?

Das bringt mich auf den zweiten Kritikpunkt: Der Lektor hätte hier mal ein bisschen genauer hinschauen sollen vor der Druckfreigabe - es gibt hier ärgerlicherweise doch einige Druck- oder Schreibfehler, die nicht hätten sein müssen!
Und als Musikfreak findet man natürlich auch häufig irgendwelche Stellen, an denen man selber noch Ergänzungen oder Korrekturen hätte anbringen wollen (die kann man jetzt ja auf den breiten Seitenrand notieren...) - eine Vollständigkeit, die jeden Leser und jede Leserin zufriedenstellt, kann es eh nicht geben, dazu ist das Sachgebiet einfach zu umfangreich!
Aber zumindest bei der "Titelgeschichte", die sich um Beethovens 10. Symphonie dreht, hätte ich mir doch einen Hinweis auf existierende Skizzen zu einer solchen Symphonie des großen Bonners gewünscht, die von der Menge und der musikalischen Substanz her immerhin ausgereicht haben, dass sich Musikwissenschaftler ernsthaft mit einer Rekonstruktion bzw. Vollendung dieser nun wirklich allerletzten Symphonie Beethovens (oder zumindest eines Satzes?) beschäftigt haben!
Ich kann mich erinnern, dass in den Neunzigern eine Neuaufnahme aller Beethoven-Symphonien auf den Markt kam (bei PHILIPS Classics???), die auf dem Box-Cover plakativ mit der "10" warb (ihr war aber - glaube ich - kein allzugroßer Erfolg beschieden). So ein Projekt hätte der Autor meiner Meinung nach aber in seinem Artikel zu diesem Thema zumindest kurz erwähnen müssen, statt das Ganze ausschließlich auf den Ausspruch des Musikkritikers Eduard Hanslick abzustellen, der die erste Symphonie von Johannes Brahms aus dem Jahr 1876 letztlich als "Beethovens Zehnte" bezeichnete, um diesem Werk damit quasi das höchstmögliche Lob auszusprechen.

Naja - hiervon abgesehen ein wirklich gelungenes Buch, dessen Lektüre jedem Klassik-Fan mit Sicherheit Vergnügen und eine Menge zusätzlichen Wissens bringen dürfte!

Mittwoch, 9. März 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Am heutigen Aschermittwoch beginnt die vorösterliche Passionszeit und passend hierzu spielte Wolfgang Abendroth heute für uns ein reines Bach-Programm, in dem eher die dunklen und ernsten Töne überwogen:

Das Präludium und Fuge c-moll BWV 549 ist am Stil von Bachs norddeutschen Orgellehrern und -vorbildern wie Böhm und Buxtehude orientiert, trägt aber eindeutig auch Bachs eigene musikalische Handschrift. Ein abwechslungsreiches und an einigen Stellen auch schön dramatisch-theatralisches Werk! Lediglich der Schluss des Ganzen kam für mich etwas überraschend und klang fast wie beiläufig...

Die große Choralpartita "Sei gegrüßet, Jesu gütig" BWV 768 ist mit ca. 20 Minuten Spieldauer die längste von Bachs Partiten. Auch hier überwiegen - passend zum Text des Chorals, der diesem Stück als Grundlage dient - die Moll-Anteile. Allerdings endet das Stück (und damit auch das heutige Konzert) dann doch mit feierlichen und zuversichtlichen Dur-Klängen!

Donnerstag, 3. März 2011

Ein Abend in der Oper - "The Turn of the Screw" in Köln

"… die (Opern-) Karawane zieht weiter!" - nach diesem Motto macht die Kölner Oper auf ihrer weiterhin ausgesprochen gelungenen und nach wie vor spannenden Tour durch diverse "Alternativ-Spielstätten" aktuell Station in der Trinitatiskirche (während im eigentlichen Opernhaus wie in jedem Jahr zur Karnevalszeit der Kölner Männergesangsverein mit seiner "Cäcilia Wolkenburg" das "Divertissementchen" präsentiert).

Die Kölner Trinitatiskirche ist die erste evangelische Kirche, die die immer zahlreicher werdenden Protestanten der Rheinmetropole Mitte des 19. Jahrhunderts in der bis dato erzkatholischen Stadt neu erbauen durften. Sie ist in einem spätantiken/ frühmittelalterlichen italienischen Basilika-Stil gehalten (inkl. freistehendem Campanile) und bildet damit eine reizvolle Ergänzung zu den vielen romanischen Kölner Kirchen (und natürlich dem gotischen Dom). Heute wird die Trinitatiskirche neben Gottesdiensten hauptsächlich für Konzertveranstaltungen genutzt (ich habe hier bereits im Rahmen umfangreicher Chorproben für Berlioz' Te Deum singen dürfen).

Umso gespannter war ich nun, zu erleben, wie man diesen Kirchenraum nutzen würde, um Benjamin Brittens (1913-76) Kammeroper "The Turn of the Screw" (UA 1954 in Venedig) in Szene zu setzen (nach dem Düsseldorfer Nabucco ist dies interessanterweise bereits die zweite Opernaufführung in einer Kirche, die ich im letzten halben Jahr erleben konnte). Ich habe am vergangenen Freitag (25. 02.) die insgesamt dritte Aufführung dieser Inszenierung besucht - die Premiere war am 11. Februar (weitere Infos und Bilder siehe hier!).

Zunächst aber kurz zur literarischen Vorlage dieser Oper: "The Turn of the Screw" ist eine Erzählung des amerikanischen Autors Henry James (1843-1916), der einen Großteil seines Lebens in England verbrachte. Hier erschien im Jahr 1898 besagte Geschichte um eine (sowohl in der Vorlage wie auch in der späteren Opernversion) namenlos bleibende Gouvernante, die zwei Kinder auf einem einsamen englischen Landsitz zu betreuen hat und der dort die geheimnisvollen Erscheinungen zweier ehemaliger (zwischenzeitlich verstorbener) Bedienter des Hauses derart psychisch zusetzen, dass sie glaubt, die beiden Kinder (für die sich die Geister besonders zu interessieren scheinen) vor deren unheilvollem Einfluss beschützen zu müssen, was jedoch tragisch mit dem Tod des kleinen Jungen Miles endet.

Was in diesen wenigen zusammenfassenden Worten vielleicht gar nicht so besonders originell klingt, ist allerdings eine ausgesprochen raffiniert konstruierte und erzählte Geschichte, die seit ihrem Erscheinen schon Generationen von Lesern und Literaturwissenschaftlern beschäftigt und fasziniert hat!

Bis zum Schluss wird eigentlich nicht eindeutig klar, ob die Gouvernante sich die beiden Geister lediglich einbildet oder ob diese wirklich "existieren" und zum Beispiel auch den beiden Kindern erscheinen. "The Turn of the Screw" ist eine große Sammlung an Angedeutetem (gerade auch unerfüllter sexueller Begierden) und Unausgesprochenem sowie den daraus resultierenden Schlussfolgerungen und Reaktionen der Gouvernante, die zudem als Ich-Erzählerin (abgesehen von einer kurzen Einführungshandlung, in der es darum geht, die von ihr aufgeschriebene Geschichte zu erzählen) dem Ganzen somit eine ausgesprochen subjektive Note gibt.

Der psychologische Aspekt spielt in der Erzählung also eine große Rolle und gerade das ist im Zeitalter der aufkommenden Psychoanalyse unter Sigmund Freud & Co. sehr bewundert worden und hat zur zusätzlichen Berühmtheit dieser Erzählung beigetragen.

Der Text von "The Turn of the Screw" besteht oft aus langen, mit zahlreichen Einschüben versehenen Sätzen und wirkt charakteristisch für das viktorianisch-puritanische Umfeld der damaligen Zeit: Viele Worte werden gemacht, konkret ausgesagt wird aber so gut wie nichts - man muss zwischen den Zeilen lesen und die sparsamen Andeutungen und Bemerkungen richtig zu deuten wissen, da diese bei Weitem nicht so belanglos erscheinen mögen, wie sie tatsächlich sein könnten. Ich frage mich, ob Henry James diesen typischen Tonfall aus der Entstehungszeit der Erzählung heraus quasi automatisch mit übernommen hat - oder ob er hiermit als bewusst eingesetztem Stilmittel auch Kritik an dieser furchtbar gehemmten, komplexbeladenen und prüden Gesellschaft übt - wie so vieles an "The Turn of the Screw" ist auch dies eine der zahlreichen Fragen, die nach der Lektüre - unabsichtlich oder vom Autor durchaus gewollt - offen bleiben müssen!

Sehr spannend finde ich immer die Frage, wie eine literarische Vorlage nun in ein Opernlibretto umgewandelt wird.
Im konkreten Fall hat Myfanwy Piper (1911-97) - wie ich finde übrigens ein ausgesprochen faszinierender weiblicher Vorname aus Wales! - ein paar entscheidende Änderungen gegenüber der Originalerzählung vorgenommen (wie weit dies unter dem Einfluss Brittens geschah, ist mir leider nicht bekannt):
Man hätte aus der Vorlage sicher auch eine Art dramatischer Kantate für lediglich eine Solistin (= die Gouvernante) machen können, die wie in der Erzählung die ganzen Begebenheiten ausschließlich aus ihrer persönlichen Sicht hätte vortragen können, entschied sich aber für eine Folge von insgesamt sechzehn kurzen Episoden (hälftig aufgeteilt auf zwei Akte) sowie einem einführenden Prolog, der dem Publikum die Vorgeschichte erzählt.
Während bei Henry James die beiden Geister stumm bleiben, erhalten sie in der Oper Gesangspartien (Peter Quint als Tenor und Miss Jessel als Sopran), wofür die Librettistin natürlich einen vollständig neuen Text erfinden musste - wie und worüber sollten die Geister reden, welche konkreten Ziele verfolgen sie, etc.
Aufgrund dieser Entscheidung wird der Geschichte zwar eine der zahlreichen Ebenen genommen, da der Leser der Original-Erzählung ja nie erfährt, was die Geister (sofern sie nicht nur in der Phantasie der Gouvernante existieren) mit ihren Erscheinungen eigentlich wirklich beabsichtigen und man sich in der Oper jedoch eindeutig darauf festlegt, dass sie ein eindeutiges (sexuelles) Interesse füreinander und auch für die beiden Kinder umtreibt.
Überhaupt wird ihre tatsächliche Existenz eigentlich nicht mehr in Frage gestellt, was ja eigentlich mit den Reiz der literarischen Vorlage ausmacht - allein die Szene zu Beginn des zweiten Aktes, an der die sonst fast durchgängig auf der Bühne anwesende Gouvernante nicht beteiligt ist, in der die Geister Peter Quint und Miss Jessel an einem Ort "im Nirgendwo" ohne weiteren äußeren Anlass ausschließlich miteinander kommunizieren, lässt eigentlich keinen Zweifel mehr an deren "Realität" zu. Damit wird die Gouvernante quasi "entlastet": So ganz verrückt kann sie demnach eigentlich nicht sein, dass sie sich die ganzen Vorgänge lediglich einbildet.

Es spricht allerdings für das Libretto Myfanwy Pipers, dass sie es trotz dieser ziemlich gravierenden Veränderungen gegenüber dem Original dennoch schafft, die Stimmung stets im Vagen und Geheimnisvollen zu belassen, so dass der Zuschauer - gerade auch bei einer entsprechenden Inszenierung des Ganzen - sich immer noch nicht wirklich sicher sein kann, ob alles auf die Gouvernante zurückzuführen ist (bzw. irgendwie von ihr ausgeht) oder ob diese auch nur als "Opfer" des Geisterspuks reagiert. Das tragische Ende mit dem Tod des kleinen Miles scheint jedenfalls unausweichlich.

Benjamin Brittens Musik zu dieser Textvorlage verfehlt ihre Wirkung nicht: Sie setzt die gruselig-düstere und geheimnisvolle Stimmung erstklassig um und hat auch dem an der Komposition Interessierten einiges zu bieten:
Jede der einzelnen Szenen der Oper (die überdies alle durch instrumentale Zwischenspiele miteinander verbunden sind) hat als Hauptton einen jeweils höheren (bzw. im zweiten Akt dann wieder einen jeweils tieferen) Ton als die vorangegangene, wobei - von der Klaviertastatur aus gesehen - im ersten Akt zunächst die Töne der weißen, und dann - mit zunehmender Spannung und Düsternis - die der im wahrsten Sinne des Wortes schwarzen Tasten als Haupttöne eingesetzt werden. So bohrt sich durch die ganze Oper hindurch die titelgebende Schraube unerbittlich Ton für Ton immer weiter, bis das sprichwörtliche "Durchdrehen" erreicht ist. Diese raffinierte kompositorische Ebene ist allerdings - jedenfalls für mein Empfinden - genauso wenig zu hören, wie auch die dichte motivische Arbeit (Variation und Weiterentwicklung vor allem des "Screw"-Motivs, das zu Beginn vorgestellt wird), die Britten in die Partitur hat einfließen lassen.
Die Kenntnis dieses zusätzlichen "kompositionstechnischen" Elements ist für das Erleben der Oper daher zwar nicht unbedingt erforderlich (und hörbar), fasziniert aber natürlich trotzdem - ähnlich wie zum Beispiel die zahlreichen oft auf Zahlensymbolik beruhenden "Botschaften", die Barockkomponisten wie Johann Sebastian Bach in ihre Werke haben einfließen lassen und die man auch erst nach eingehender Beschäftigung mit der Partitur entdeckt.

Das Publikum (nur maximal etwas mehr als 300 Personen passen in den Bühnen-Kirchenraum) am vergangenen Freitag wurde im Rahmen einer Einführung im Foyer der Trinitatiskirche dankenswerterweise dann auch auf die besonderen kompositorischen Raffinessen von Brittens Partitur hingewiesen. Es war übrigens die erste Opernaufführung, die ich besucht habe, wo man an der Garderobe den (wirklich guten!) Rat bekam, Jacken und Mäntel vielleicht doch besser anzubehalten, da es in Kirchenräumen ja oft ein bisschen kühl ist - zumindest wenn man eindreiviertel Stunden (ohne Pause) fast regungslos und muckmäuschenstill auf den Kirchenbänken auszuharren hatte, wie es für diese Aufführung von "The Turn of the Screw" erforderlich war… ;-)

Den Innenraum der dreischiffigen Trinitatiskirche hatte man mit einem schwarzen Laufsteg, der längs durch das Mittelschiff verlief, in zwei Hälften geteilt (eine Raumaufteilung, die der für die Krönung der Poppäa gewählten sehr ähnlich war), wobei die Kirchenbänke für das Publikum zu beiden Seiten entlang dieses Stegs aufgestellt waren, was die sonst übliche räumliche Distanz zwischen Zuschauern und Darstellern auf ein Minimum zusammenschrumpfen ließ.
Begrenzt wurde diese Laufstegbühne auf der einen Querseite des Innenraums durch eine Spiegelwand, die während der Aufführung interessante Perspektiven auf das Bühnengeschehen und den gesamten Innenraum ermöglichte, auf der gegenüberliegenden Seite befand sich im ersten Akt eine Wand aus braunem Papier, die von den Darstellern zunehmend zerschnitten und zerrissen wurde, so dass sie für den zweiten Akt den Blick auf eine schwarze Tafel freigab, die mit einem Gemälde aus Kreide versehen war und auf der so ziemlich alle Figuren in diesem zweiten Akt einmal mit ausladenden Gesten herumwischen oder -schmieren durften…
Überhaupt nutzte der junge Regisseur Benjamin Schad den gesamten, als Aufführungsort für eine Geistergeschichte mit seinen zahlreichen Säulen, Bogengängen und hohen Fenstern ja auch ungemein stimmungsvollen Kirchenraum für seine Inszenierung, indem er die Sängerinnen und Sänger nicht nur auf dem Laufsteg hin- und herlaufen ließ, sondern mehrfach durch den gesamten Innenraum schreiten, rennen oder gar tanzen ließ - vorbei am Orchester und an den Zuschauerbänken entlang.
Die beiden Geister erscheinen erstmalig wirkungsvoll in zunächst noch mysteriöser Distanz oben auf den Emporen und blicken, bzw. singen in den Kirchenraum hinunter - alles in allem adäquate Ideen, um die lokalen Besonderheiten dieses ungewöhnlichen Aufführungsortes auch auszunutzen.

Im Zentrum des Raums, also in der Mitte der langen Laufstegbühne, befanden sich unter einer großen weißen kugelförmigen Leuchte, die von der hohen Decke herabhing, ein schwarzer Schreibtisch und ein halb zertrümmerter Flügel, die beide jeweils zur Hälfte in den Bühnenboden eingebrochen zu sein schienen und um die herum sich dann das intensive Spiel aller an der Opernhandlung Beteiligten entwickelte. Die Kostüme der Figuren dieser Inszenierung waren der Kleidung des späten 19. Jahrhunderts nachempfunden, also der Zeit der Entstehung der literarischen Vorlage von Henry James.

Das aus lediglich 13 Instrumentalisten bestehende Kammerorchester war hinter den Zuschauerbänken in einem der beiden Seitenschiffe untergebracht, was aber dem Klang dieses gut aufeinander eingespielten Ensembles dank der exzellenten Akustik des gesamten Kirchenraums keinen Abbruch tat! Und weil dieses kleine Orchester nicht zuletzt wegen der anspruchsvollen Zwischenspiele zwischen den einzelnen Szenen der Oper einen ganz erheblichen Anteil an dem Gesamtwerk hat, durften am Ende nicht nur der Dirigent, sondern gleich alle Musiker mit zum Verbeugen auf den Laufsteg (lang genug war er ja!) - verdient hatten sie es alle!

Kritisch anmerken muss ich hier, dass es für die Karten einen (nicht gerade günstigen) Einheitspreis gab, verbunden mit "freier Platzwahl", was zumindest solange kein Problem darstellte, bis die Kirchenbänke längs des Bühnenlaufstegs noch nicht komplett besetzt waren (mir war es so grade noch gelungen, hier ein Plätzchen zu ergattern!). Wer etwas später den Weg in den Innenraum der Kirche fand, musste sich mit Stühlen begnügen, die in den Seitenschiffen aufgestellt waren und von denen aus man, wenn man eine der zahlreichen dicken Säulen vor sich hatte, die die Seitenschiffe vom Mittelschiff der Kirche abtrennen, nicht mehr wirklich viel von den Geschehnissen auf der Bühne mitbekam, auch wenn die Länge des Bühnenstegs es den Sängerinnen und Sängern ermöglichte, sich weitläufig durch den effektvoll ausgeleuchteten Kirchenraum zu bewegen.
Einige Zuschauer wichen dann auch mehr oder weniger notgedrungen auf Stehplätze auf die bereits erwähnten galerieartigen Emporen aus, die sich über beiden Seitenschiffen befinden und von denen man dann sicher einen besseren Blick auf das Ganze hatte - was sich aber für mein Dafürhalten auch auf eine moderatere Gestaltung der Eintrittspreise für die hiervon "Betroffenen" hätte auswirken müssen!

Hier die Besetzungsliste der von mir besuchten Aufführung:

Prolog/ Peter Quint: John Heuzenroeder
Die Gouvernante: Claudia Rohrbach
Mrs. Grose: Helen Donath
Miles: Carlo Wilfart
Flora: Ji-Hyun An
Miss Jessel: Adriana Bastidas Gamboa
Musiker des Gürzenich-Orchesters Köln
Leitung: Raimund Laufen


Um die zentrale Person der Gouvernante entspinnt sich die gesamte Opernhandlung und so war denn auch das Kölner Ensemblemitglied Claudia Rohrbach in dieser Partie die gefeierte Hauptperson des Abends: Ihr intensives Spiel in Kombination mit ihrem ausdrucksstarken und klaren Sopran beeindruckte wirklich sehr! Mit dieser Rolle dürfte sich Claudia Rohrbach eine Partie erarbeitet haben, die ihre schauspielerischen wie stimmlichen Fähigkeiten wirklich nahezu optimal zur Geltung bringt.

Der australische Tenor John Heuzenroeder, den ich im Dezember 2010 zuletzt als Pedrillo in Mozarts Entführung gesehen und gehört hatte, übernahm den Part des Prologs und des Geistes Peter Quint - eine Doppelrollenkombination, die so schon Peter Pears (der Lebensgefährte von Benjamin Britten) in der Uraufführung der Oper verkörpert hatte.
Heuzenroeders heller und leichtfüßiger Tenor passte mit seinem von mir irgendwie als ganz besonders "typisch englisch" empfundenem Timbre natürlich bestens in eine Britten-Oper - es machte Freude, ihm zuzuhören und ich fand ihn in dieser Oper um Längen besser als in der Entführung! Seine Rolle als Quint bestand hauptsächlich in bedeutungsvoll-langsamem Einherschreiten in Abwechslung mit leidenschaftlichem Herummachen mit seiner "Geistergeliebten" Miss Jessel (deren eh schon kleine Rolle in dieser Inszenierung etwas farblos blieb).

Der für mich etwas unpassende "zombiehafte" Eindruck beider Geistergestalten in dieser Inszenierung wurde durch ein entsprechendes Make-up noch verstärkt: War es wirklich nötig, dass beide im Gesicht so etwas wie grünliche Verwesungsspuren aufwiesen? Ich glaube nicht, dass es dieses etwas plump wirkenden Make-up-Effekts bedurft hätte, um den Zuschauern klar zu machen, dass man es hier tatsächlich mit Wiederkehrern aus dem Reich der Toten zu tun hat… Irgendwie legte das die Rollen dieser beiden Figuren wieder zu eindeutig auf "klassische" Geister fest - gerade in diesem Stück sollte meiner Meinung nach eigentlich alles viel mehr im Angedeuteten, Geheimnisvollen und nicht eindeutig Erklärbaren angesiedelt sein. Derart stereotype Rollenklischees wirken da eher kontraproduktiv.

Eine Legende, die interessanterweise sowohl ihre internationale Opernkarriere in Köln begonnen hatte, wie in früheren Jahren selber auch in der Rolle der Gouvernante sehr erfolgreich war, wurde uns mit der Amerikanerin Helen Donath in der Partie der Haushälterin Mrs. Grose präsentiert!
Eine eindrucksvolle Bühnenpräsenz gepaart mit einem nachgedunkelten, aber nach wie vor strahlkräftigen Sopran, die auf mich einen ausgesprochen sympathischen Eindruck machte. Nicht ganz zu ihrer eher (groß-) mütterlichen Erscheinung passte die Inszenierungsidee, aus ihrer Bühnenfigur eine viktorianisch-verklemmte Lesbe zu machen, die mehr oder weniger offen die jüngere Gouvernante begehrt. Zwar ist auch dies im literarischen Original von Henry James in Ansätzen angelegt, aber wie so vieles in "The Turn of the Screw", wird hier lediglich etwas angedeutet, was auch ganz anders interpretiert werden könnte und damit ja gerade den Reiz dieser ganzen Geschichte ausmacht. Da diese augenscheinlich nur mühsam unterdrückten lesbischen Begierden jedoch in der weiteren Entwicklung der Handlung nicht weiter vertieft werden (können), hätte man darauf jedoch auch verzichten können, wie ich finde - das Ganze irritierte so mehr, als dass es dem weiteren Verständnis der Figurenkonstellation genutzt hätte.

Viel augenscheinlicher (und ganz sicher auch motiviert durch die Person des Komponisten Benjamin Britten) wird in der Inszenierung jedoch auf die eindeutig päderastische Beziehung zwischen Quint und dem Knaben Miles abgezielt. Das Ganze gipfelt in der Schluss-Szene sogar darin, dass Quint die gleichen Sachen anhat wie sein junges Objekt der Begierde und er den Jungen (nach dessen Tod) auf den Arm nimmt und hinausträgt, ihn somit sinnfällig in seine (Toten-)Welt mitnimmt und ihn damit endgültig dem (unheilvollen?) Einfluss der alles kontrollieren wollenden Gouvernante entzieht, die einsam und ohne weitere Existenzberechtigung zurückbleibt.
Carlo Wilfart, ein 12-jähriges Mitglied des Knabenchors der Chorakademie Dortmund, singt den Miles mit glockenhellem, ausgesprochen tragfähigem Knabensopran (vor allem sein "Malo"-Lied ist eine echte Gänsehautstelle!), wirkt aber - was wohl eher der Regie anzulasten ist - viel zu unschuldig.
Die Figur des Miles ist bei Henry James nämlich eine - wie sollte es auch anders sein? - nur vordergründig rein und kindlich wirkende Person. Bei näherem Hinsehen verbergen sich tiefe Abgründe in seinem Charakter und man wagt kaum, sich vorzustellen, was in der Vorgeschichte zwischen ihm und dem (noch lebenden) Quint alles vorgefallen sein mag und vor allem auch, von wem das Ganze ursprünglich ausgegangen ist! Sein mehrfach geäußerter Wunsch, "böse" sein zu wollen, lässt da einige Rückschlüsse zu, von denen in der Inszenierung leider kaum etwas zu spüren war: Miles wirkte hier fast durchgängig wie das meist passive, geduldig leidende und demzufolge eben auch wohl wirklich unschuldige Opfer der Umtriebe Quints und der Gouvernante - damit war diese interessante Figur jedoch viel zu eindimensional gezeichnet!

Eine von der Körpergröße wie vom jugendlich-unschuldigen Auftreten her zur Figur des Miles passende "kleine Schwester" war die junge Koreanerin Ji-Hyun An (sie ist - wie einst Helen Donath - Mitglied des Kölner Opernstudios) in der Rolle der Flora. Zumindest ihr gelang es in einigen Szenen zu verdeutlichen, dass auch das liebreizende kleine Mädchen im engelhaften weißen Kleidchen ebenfalls bösartige Abgründe in sich verbirgt - wenn sie plötzlich mit wirklich angsteinflößender Mimik beginnt, ihre Puppe zu malträtieren, wird zumindest klar, dass wir es hier mit einer weiteren Figur zu tun haben, die nicht das zu sein scheint, was man auf den ersten Blick von ihr anzunehmen glaubt.

Alles in allem ein gelungener Opernabend in einem erneut ungewohnten, aber fantasievoll genutzten Ambiente, der vor allem musikalisch keine Wünsche offen ließ!

P. S.: Wie ich durch Zufall mitbekam, ging es nicht nur mir jahrelang so, dass ich den Titel der Oper "The Turn of the Screw" immer mit "The Taming of the Shrew" verwechselte, wobei Letzteres ja nun definitiv etwas völlig anderes ist… *zwinker*

Mittwoch, 2. März 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute fungierte wieder einmal Wiltrud Fuchs als Gastorganistin - sie ist aktuell in Weimar ansässig, wird aber doch hoffentlich nicht extra nur für das heutige halbstündige Konzert angereist sein?

Sie spielte für uns folgendes Programm:

Nicolas de Grigny (1672-1703)
Hymnus "Pange Lingua" aus dem "Premier Livre d'Orgue"

J. S. Bach (1685-1750)
Präludium C-Dur BWV 547
Triosonate Nr. 6 G-Dur BWV 530


Die drei Sätze aus der Hymnus-Vertonung von Grigny sind in typisch französischem Orgelstil des Hochbarock gehalten - Bach war ein Bewunderer von Grignys Kompositionen und er schaute sich einiges aus der französischen Orgelschule für seine eigenen Kompositionen ab. Ebenso merkt man aber auch den Einfluss der italienischen Instrumentalmusik (z. B. Corelli, Vivaldi und andere) auf Bachs Orgelmusik - die heute vorgetragene dreisätzige Triosonate ist ein charakteristisches Beispiel hierfür.