Donnerstag, 24. Mai 2012

Philharmonie-Konzert

Vorgestern (22. Mai) ergab sich für mich wieder einmal recht spontan die günstige Gelegenheit, ein Konzert des Gürzenich-Orchesters in der Kölner Philharmonie zu besuchen. Vor fast ausverkauftem Haus wurde folgendes Programm geboten:

Franz Schubert (1797-1828)
Sinfonie h-moll D 759 „Die Unvollendete“

Julian Anderson (geb. 1967)
„Symphony“

Johannes Brahms (1833-97)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-moll op. 15

Lars Vogt, Klavier
Gürzenich-Orchester Köln
Markus Stenz, Dirigent


Ein attraktives Programm mit gleich zwei absoluten „Konzertklassikern“ – das zog sichtlich viele Interessenten an!

Ich muss allerdings sagen, dass ich mit der Interpretation von Schuberts h-moll-Sinfonie, die ja nach wie vor den nahezu unverwüstlichen, weil so herrlich griffigen Titel „Die Unvollendete“ trägt, nicht so ganz glücklich war.
Das Tempo, das Markus Stenz seinem Orchester gerade im berühmten ersten Satz vorgab, fand ich ein bisschen zu schnell. Irgendwie konnten die gesanglich-romantischen Stellen sich dadurch nicht so richtig entfalten – gerade das ist meiner Meinung nach aber wichtig, um die schroffen Gegensätze zwischen lyrischen und dramatisch-ernsten Passagen, die die gesamte Komposition durchziehen, besonders wirkungsvoll gegeneinander abzusetzen.
So blieb – jedenfalls für mein Empfinden – doch einiges an romantisch-lyrischem Potential auf der Strecke, stattdessen herrschte ein eher „sportlich-schlanker“ Klang vor, den ich teils auch rau oder sogar schroff empfand – und dies wohlgemerkt nicht nur in den düsteren Passagen!
Das Ganze erinnerte mich ein bisschen an die seit einiger Zeit bei der Interpretation von Beethoven-Sinfonien ziemlich verbreitete Herangehensweise (ich polemisiere hier ein bisschen): Zügige Tempi, aufgeraut bis schroff zu nennender Orchesterklang, möglichst stürmisch-rebellischer Gesamteindruck. Ob das, was für Beethoven ja seine Daseinsberechtigung haben mag, auch bei Schubert funktioniert? Ich bin mir da nicht so sicher…
Die Interpretation des zweiten Satzes gefiel mir dann jedenfalls deutlich besser - vielleicht, weil man ihn nicht so unmittelbar im Ohr hat, wie den ungleich bekannteren ersten Satz?
An der spielerischen Leistung des Gürzenich-Orchesters gab es immerhin – wie gewohnt – nichts auszusetzen.

Das gesamte Programm des Abends stand unter dem Motto Drei Anläufe zur Gattung „Sinfonie“ und tatsächlich handelt es sich ja bei der in ihrer Zweisätzigkeit für die Entstehungszeit 1822 recht ungewöhnlich konzipierten „unvollendeten“ Sinfonie um eine Komposition, deren künstlerische Aussagekraft Schubert, nachdem er einige Skizzen für einen möglichen dritten Satz wieder verworfen hatte, offenbar so für ausreichend erachtete. Bei der Uraufführung, die dann auch erst über 40 (!) Jahre später stattfand, schien das Publikum dies auch so zu sehen – die Musikgeschichte hatte sich aber zwischenzeitlich auch schon weiterentwickelt und zu einer Zeit, wo längst Orchesterwerke in völlig freien Formen (meist unter dem Titel „Sinfonische Dichtung“) in den Konzertsälen aufgeführt wurden, war es für das Publikum offensichtlich kein Problem mehr, eine Sinfonie als vollgültig zu akzeptieren, auch wenn sie nur 2 statt der üblichen 4 Sätze aufwies. Der unselige Titel „Unvollendete“ kam dann wohl erst um 1900 auf und ist seitdem untrennbar mit diesem Werk verbunden, wird ihm aber (wie übrigens viele dieser in der Regel meist ohne Wissen oder Zustimmung der Komponisten zustandegekommenen Werktitel) nicht gerecht.

Auch der in Großbritannien seit einigen Jahren recht bekannt gewordene Komponist Julian Anderson hat in den Jahren 2002-2003 ein als „Symphony“ betiteltes, etwa 18-minütiges, einsätziges Orchesterstück geschaffen und sich damit auf seine Weise mit dieser altehrwürdigen Gattung auseinandergesetzt.
Ich finde es immer sehr spannend, wenn man auch einmal persönliche Äußerungen eines Komponisten zu seinen Werken mitbekommen kann (ein Umstand, der ja in klassischen Sinfoniekonzerten aus naheliegenden Gründen eher selten ist) und so war es sehr zu begrüßen, dass Julian Anderson im Rahmen der Konzerteinführung im Foyer der Philharmonie ein paar Erläuterungen zu seiner in deutscher Erstaufführung gespielten „Symphony“ abgab.

Er entschied sich demnach erst recht spät zu dieser Werkbezeichnung, während er für gewöhnlich etwas sprechendere Titel für seine Kompositionen auswählt. Da jedoch die Grundidee dieses Stücks, der etappenweise Übergang von völliger Erstarrung und Ruhe zu immer stärkerer Bewegung und Klangfülle eine recht abstrakte war, entschloss er sich, auch einen abstrakten, eher „technischen“ Begriff für die Komposition zu wählen. Eigenem Bekunden zufolge geht er derzeit nicht davon aus, noch eine weitere Sinfonie zu komponieren. Es handelt sich also innerhalb seines Oeuvres um einmalige Koppelung von Komposition und Titel, der hier also nicht als bloße Gattungsbezeichnung verstanden werden soll, die nach Bedarf dann auch durchnummeriert werden könnte.

Auch wenn sich mir das Werk insgesamt – wohlgemerkt nach lediglich einmaligem Hören – nicht wirklich erschlossen hat (vor allem fand ich es, nachdem ich mich vorab mit dem Konzept der Komposition beschäftigt hatte, in der letztendlichen Umsetzung nicht konsequent bzw. stringent genug, sondern viel zu episodenhaft und uneinheitlich, was den Spannungsbogen angeht), so gab es schon einige wirklich schöne und interessante Momente – was zum Beispiel das Erzeugen ungewöhnlicher Orchesterklangeffekte angeht, so versteht Mr. Anderson sein Handwerk!
Und es ist natürlich immer wieder interessant zu erleben, wie ein groß besetztes Sinfonieorchester (noch dazu ausstaffiert mit jeder Menge verschiedenster Schlaginstrumente) so richtig in voller Aktion Musik macht! Gerade bei Werken wie diesem, wo man als einzelner Musiker mitten im wildesten Getümmel (und gerade zum Schluss hin ging es hoch her!) ja keine wirklichen Orientierungspunkte hat und sich sehr konzentrieren muss, um alle Einsätze pünktlich hinzubekommen, ist das eine wirklich respekteinflößende Leistung – genau wie die des Dirigenten: Auch Markus Stenz bewahrte stets den Überblick und führte sein Orchester mit bewundernswert ruhigen und deutlichen Gesten durch dieses wirklich nicht leicht zu spielende Werk!

Nach der Pause gab es dann mit dem 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms noch einen weiteren Klassiker – hier gefielen mir die Herangehensweise und die Interpretation deutlich besser als beim Schubert!
Auch Brahms hat ja lange künstlerisch mit sich gerungen, bevor er im Jahr 1876 dann tatsächlich seinen sinfonischen Erstling zur Uraufführung bringen konnte (der dann allerdings wie ein Befreiungsschlag auf ihn wirkte, so dass seine 2. Sinfonie bereits ein Jahr später entstand!) – auch sein 1. Klavierkonzert (uraufgeführt 1859) gehört in diesen sinfonischen Entstehungsprozess mit hinein (was man dem Werk wie ich finde auch anhört – zumindest der erste Satz war wohl auch kurzzeitig vom Komponisten als Sinfoniesatz konzipiert worden) und somit passte dieser dritte und letzte Programmpunkt des Abends gut zu dem oben erwähnten thematischen „roten Faden“.

Der sympathische Solist Lars Vogt hatte mit diesem wirklich monströsen Konzert, das mit am Beginn der Epoche der Spätromantik steht (die ja für in jeder Hinsicht groß dimensionierte Werke eine geradezu typische Ära ist), eine auch körperlich ganzen Einsatz erfordernde Mission vor sich, die er souverän bewältigte! Ich versuche mir anstelle unseres kraftvoll agierenden Solisten eine dieser elfengleichen jungen Pianistinnen aus Asien vorzustellen, die ja immer mal wieder für großen Presserummel sorgen – ob so jemand den Vortrag dieses Konzert wohl überleben würde…? *grins*
In einer so mitreißenden Interpretation wie der in diesem Konzert zu hörenden ist das 1. Klavierkonzert von Brahms eine sichere Bank (zumal Lars Vogt es verstand, nicht nur den kraftvollen Abschnitten sondern eben auch den reichlich vorhandenen lyrischen Passagen den richtigen Tonfall zu verleihen – das Konzert besteht ja bei Weitem nicht nur aus virtuosem Tastengedonner!) und so war der Schlussapplaus dann auch entsprechend frenetisch! Ein toller Abschluss eines abwechslungsreichen Konzertabends!

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