Samstag, 29. September 2012

Musik zum Michaelistag

Wenn man die zahlreichen Kirchenkantaten, die Johann Sebastian Bach (1685-1750) im Verlauf seines Komponistenlebens (vor allem in Weimar und Leipzig) so komponiert hat, fällt auf, dass neben den zu erwartenden Kantaten für die einzelnen Sonntage des Kirchenjahrs und Feiertagen wie Neujahr, Christi Himmelfahrt oder dem Reformationsfest (31. Oktober) noch eine ganze Reihe weiterer Kantaten komponiert wurden, die zu kirchlichen Feiertagen entstanden sind, die heute (zumindest in der evangelischen Kirche) nicht mehr so wirklich geläufig sind – und schon gar keine arbeitsfreien Feiertage, an denen auch noch Gottesdienste stattfinden!

Da finden sich dann Bach-Kantaten zu Tagen wie Mariae Reinigung (2. Februar), Mariae Verkündigung (25. März), Mariae Heimsuchung (2. Juli), dem Johannistag (24. Juni) oder dem heute, am 29. September begangenen Michaelistag. Übrigens gibt es im Englischen analog zum Wort Christmas sogar den Begriff Michaelmas für den heutigen Tag, was – wie ich finde – durchaus für seine Bedeutung spricht!

Gerade die Häufung von verschiedenen Marienfeiertagen im Zusammenhang mit der protestantischen Kirche mag auf den ersten Blick überraschen, da man heutzutage die Verehrung der Muttergottes ja eigentlich ausschließlich mit der katholischen Kirche in Verbindung bringt. Zu Bachs Zeiten (also immerhin auch schon 200 Jahre nach der Reformation) wurden aber auch solche Marien- und andere Heiligenfesttage noch als kirchliche Feiertage begangen, die sich – dies wiederum typisch protestantisch – auf biblische Überlieferungen begründen ließen, so z. B. die rituelle Reinigung Marias nach dem jüdischen Gesetz am 40. Tag nach der Geburt Jesu‘ (gemäß dem 2. Kapitel im Lukasevangelium) an Mariae Reinigung oder dem Besuch der schwangeren Maria bei ihrer Kusine Elisabeth, die zu dem Zeitpunkt mit Johannes dem Täufer schwanger ist (gemäß dem 1. Kapitel im Lukasevangelium) an Mariae Heimsuchung.
Gegen solche auch von Protestanten begangenen Feiertage sprach natürlich nichts. So wird hier am 26. Dezember auch des ersten christlichen Märtyrers Stephanus gedacht, weil sein Schicksal im 6. Und 7. Kapitel der Apostelgeschichte beschrieben wird. Diese biblische Legitimation ist für die protestantische Theologie ganz entscheidend und so entfallen dann z. B auch alle weiteren Feier- und Gedenktage, die es zur Person der Maria oder der zahllosen weiteren Märtyrer bei der katholischen Kirche noch gibt, da diese sich lediglich auf fromme (und eben nicht biblisch „legitimierte“) Legenden stützen, die in der römisch-katholischen Kirche hingegen einen ähnlich hohen Stellenwert wie die biblischen Texte besitzen.

Am heutigen 29. September ist nun also – wie erwähnt - einer dieser Feiertage, deren Existenz dem weniger kirchlich orientierten Musikfreund zunächst nicht allzuviel sagt: Der Gedenk-, Fest- und Feiertag des Erzengels Michael.

Man ist schon einigermaßen überrascht, wenn man erfährt, dass Bach für einen aus heutiger Sicht zunächst etwas unscheinbar wirkenden Tag wie diesen mehrere prachtvolle Kantaten komponiert hat (St. Michaelis war zu Bachs Zeit sogar ein arbeitsfreier Feiertag wie z. B. Christi Himmelfahrt – und des Morgens ging man an solchen Feiertagen halt in die Kirche und erwartete vom Kantor eine entsprechend für diesen Anlass komponierte Kantate).

Wenn man sich dann genauer mit dem Michaelistag beschäftigt, stellt man fest, dass dieser Feiertag, gerade auch was damit verbundene volkstümliche und bäuerliche Bräuche anbetrifft, eine ähnlich wichtige Bedeutung am Ende des Sommers und der Erntesaison einnimmt, wie z. B. an Mariae Reinigung wenn es zum von vielen Landleuten sehnlichst erhofften Ende des Winters hinging.

Der an diesem Tag im Mittelpunkt stehende Erzengel Michael ist eine in der Bibel an nur wenigen Stellen namentlich erwähnte Figur (er wird u. a. im alttestamentarischen Buch Daniel erwähnt), deren Hauptaufgabe darin besteht, den Satan zu bekämpfen, also im Auftrage Gottes das Böse aus der Welt zu tilgen.

Die wichtigste Bibelstelle, in der Michael (das ist hebräisch und bedeutet “Wer ist wie Gott?“) vorkommt, ist gleichzeitig und sinnvollerweise die für den heutigen Tag vorgesehene Epistellesung aus dem 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes.

Dort bekämpft Michael zusammen mit seinem Engelheer den „großen Drachen“, die „alte Schlange, die auch Teufel oder Satan genannt wird und die ganze Welt verführt.“

Raffael: Der heilige Michael, den Drachen besiegend (ca. 1505)
Michael vertreibt den Drachen aus dem Himmel und stürzt ihn auf die Erde hinunter. Dort wird er dann (für tausend Jahre) in den Abgrund – die Hölle - geworfen und der Eingang wird verschlossen und versiegelt. Im Rahmen des Jüngsten Gerichts besiegt er den Satan dann endgültig.

Aufgrund dieser - zugegebenermaßen sehr beeindruckenden - Episode ist dem auch als „Engelsfürsten“ bezeichneten Erzengel Michael im Laufe der Zeit eine ganze Kette weiterer Taten und Funktionen zugeschrieben worden:

So ist er unter anderem auch der Engel, der Adam und Eva mit dem Schwert aus dem Paradies vertreibt und fortan dessen Eingang bewacht. Er weist den in der Wüste umherirrenden Hagar und Ismael die rettende Quelle, er ist der Engel, der Abraham im letzten Moment davon abhält, seinen Sohn Isaak zu opfern – die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Wohlgemerkt: Keine dieser biblischen Geschichten nennt Michael namentlich, man hat sich offenbar irgendwann später gedacht, dass ein so wichtiger Engel, der eine ganze Engel-Streitmacht wider den Satan in die Schlacht führt, doch auch andere wichtige Aufgaben erledigt haben muss. Und dann hat man sich in der Bibel halt auf die Suche begeben...

Michael hat als Streiter für die Macht Gottes also eine ganz besonders herausgehobene Funktion. Man hat ihm auch die Funktion des Führers der Seelen der Verstorbenen ins Jenseits übertragen, wo er auch die Seelenwaage hält (eine interessante Parallele übrigens zu anderen antiken mythologischen Figuren wie z. B. dem altägyptischen Gott Thot!)

Hans Memling: Michael beim Jüngsten Gericht (Ausschnitt aus einem Altarbild, 1467-71)
Manch einem ist in diesem Zusammenhang vielleicht schon einmal die Stelle im lateinischen Text des Requiem aufgefallen, wo es im Offertorium heißt:

“Libera eas de ore leonis, ne absorbeat eas tartarus, ne cadant in obscurum: Sed signifer Sanctus Michael repraesentat eas in lucem sanctam.“
(„Bewahre sie vor dem Rachen des Löwen, dass die Hölle sie nicht verschlinge, dass sie nicht hinabstürzen in die Finsternis: Vielmehr geleite sie Sankt Michael, der Bannerträger, in das heilige Licht.“)

Die oben beschriebene Funktion des Seelengeleiters spiegelt sich in diesem alten Messtext wider.

Dem heiligen Michael sind (erwartungsgemäß) viele Kirchen geweiht: Der in der Normandie gelegene Mont St. Michel und Hamburgs Wahrzeichen, die St. Michaeliskirche (der „Michel“) dürften zu den bekanntesten gehören. Hier befindet sich auch die beeindruckende Bronzeplastik von August Vogel, die Michaels Triumph über den drachenartig geflügelten Höllenfürsten darstellt.

Tosca-Freunde kennen außerdem bestimmt die den siegreichen Erzengel darstellende Bronzeplastik (in dem Moment, wo er nach erfolgreichem Kampf mit dem Drachen sein Schwert wieder in die Scheide steckt), die auf dem Dach der Engelsburg in Rom steht. Papst Gregor dem Großen soll St. Michael so im Jahr 591 auf dem Hadriansmausoleum erschienen sein, um anzuzeigen, dass sich eine Pestepidemie in Rom dem Ende zuneigte, woraufhin der Papst das Mausoleum in das noch heute so bezeichnete “Castel Sant’ Angelo“ umbenannte.

1748 vom flämischen Bildhauer Peter Anton von Verschaffelt geschaffene Bronzestatue
Es verwundert nicht, dass der wehrhafte St. Michael als Schutzpatron der Soldaten und Ritter gilt – unter seinem Banner sind in vergangenen Jahrhunderten tausende Krieger in die Schlacht (und auf Kreuzzüge) gezogen. Außerdem gilt er als Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (warum auch immer – ob der Begriff vom „deutschen Michel“ daher stammt?)

Der Festtag für St. Michael wurde auf den 29. September gelegt – er ersetzte damit (wie so häufig) einen älteren, heidnischen Festtag für den germanischen Gott Wotan – die ganze Woche ab Herbstbeginn (23. September) war ursprünglich Wotan gewidmet und diente wohl auch einer Art Erntedank-Kult. Den letzten Tag dieser Woche nahm nun St. Michael ein – heutzutage ergänzt durch die beiden anderen in der Bibel erwähnten Erzengel Gabriel und Raphael. Der vierte Erzengel Uriel wird in der Bibel nicht erwähnt (wohl aber in Haydns Schöpfung) – er kommt nur in außerbiblischen Traditionen der Juden und Christen vor.

Diese besondere Lage des Michaelistages bedeutete für die Landbevölkerung denn auch das Ende der Ernte. Der Sommer war zu Ende, jetzt begann die dunkle Jahreszeit. Zahlreiche Bauernregeln künden denn auch von den Erwartungen, die man an den Michaelistag knüpfte, weil man sich hiervon Auskünfte über den anstehenden Herbst und nahenden Winter erhoffte.
So heißt es z. B. “Auf nassen Michaelitag ein nasser Herbst folgen mag.“
Eine Alternative wäre “Gibt Michaeli Sonnenschein, wird’s in zwei Wochen Winter sein.“
Oder “Bringt Sankt Michael Regen, kannst du gleich den Pelz anlegen.“
Wem das nicht passen sollte, der wähle “Kommt Michael heiter und schön, wird es noch vier Wochen so weiter geh’n.“ – so passt irgendein Spruch halt immer...

Hingegen lässt sich gegen “Es holt herbei Sankt Michael die Lampe wieder und das Öl“ nichts einwenden – das ist nun einmal Fakt, dass die Tage nun merklich kürzer und kürzer werden und das Licht wieder früher entzündet werden muss.

Warum war nun der Michaelistag nun auch noch ein protestantischer Feiertag?
Die meisten Feiertage dieser Art waren und sind ja traditionell katholische Feiertage.
Ähnlich wie die erwähnten Marienfeiertage, für die Bach entsprechend ihrer (protestantischen) Bedeutung ja auch Kantaten komponiert hat, lässt sich auch der Michaelistag auf eine biblische „Legitimation“ zurückführen (siehe die oben erwähnte Bibelstelle aus der Offenbarung).
Wie schon gesagt: Feiertage, die sich auf reine Legenden gründeten (also nicht die so wichtige biblische Legitimation besaßen), wie z. B. der Martinstag am 11. November oder Mariae Himmelfahrt am 15. August, wurden von den Protestanten denn auch konsequent nicht übernommen.

Zur Beibehaltung des auch von Protestanten begangenen Michaelistages hingegen habe ich in einem CD-Booklet (Hänssler Edition Bachakademie aus dem Jahr 2000) eine interessante Passage gefunden, die ich hier kurz noch zitieren möchte:
Auch Luther behielt das Michaelisfest ausdrücklich bei. Zum einen betrachtete er die Engel (ebenso die Gottesmutter Maria) als Verbindung von Gott zu den Menschen, mithin als Wesen mit ausreichender christologischer Substanz. Zum anderen herrschte in der protestantischen Kirche die Meinung vor, man solle nicht alles abschaffen, um das „einfältige Volk“ nicht zu ärgern. Der Erzengel Michael war zudem in Deutschland populär als „Engel des Volkes“. [...] Schließlich war der Michaelistag den Menschen seit altersher als wichtiger Steuer- und Verwaltungstermin im Bewusstsein.

So gesehen finde ich diese Haltung sehr pragmatisch und konsequent. Warum auf etwas verzichten, was den Menschen Orientierung im Jahreslauf gab?

Die Beibehaltung dieses Feiertages hat uns denn auch einige wunderschöne Bachkantaten beschert (um mal wieder aufs eigentliche Thema zurückzukommen), wofür man noch zusätzlich dankbar sein muss!

Dem festlichen Feiertagsanlass und der anschaulich-machtvollen Illustration der kriegerischen Handlung des Kampfes Michaels mit dem Drachen entsprechend setzt Bach denn auch in allen seinen Kantaten zum Michaelistag (die allesamt während seiner Zeit als Leipziger Thomaskantor entstanden sind) ein prächtig besetztes Festtagsorchester „mit Pauken und Trompeten“ ein!

Herr Gott, dich loben alle wir (BWV 130)
Es erhub sich ein Streit (BWV 19)
Man singet mit Freuden vom Sieg (BWV 149)
Nun ist das Heil und die Kraft (BWV 50)


Die zum 29. September 1724 entstandene Kantate BWV 130 enthält textlich eine Lobeshymne nicht nur auf Michael, sondern allgemein auf alle schützenden Engel, die das Böse immer wieder zurückdrängen und das „arme Häufelein“ der Gläubigen vor Gefahren bewahren.

Der Eingangschoral „Herr Gott, dich loben alle wir“ klingt denn auch wie eine triumphale Siegeshymne (und erinnert mich nicht nur textlich etwas an den Beginn eines Te Deum!) – die quasi als „musikalischer Leitfaden“ dieses Satzes dienende Choralmelodie wird hierbei - wie meistens in solchen Fällen – gut hörbar vom Sopran als höchster Stimme im Chor vorgetragen.

Grandios ist auch die Arie „Der alte Drache brennt vor Neid“ gelungen, in der der Solo-Bass mit mächtiger und dramatisch bewegter Stimme begleitet von gleich drei Trompeten plus Pauken und der Continuo-Gruppe (eine absolut ungewöhnliche Besetzung!) den kriegerischen Einsatz der Engel im Kampf gegen den „alten Drachen“ besingt!
Ein wirklich fantastischer Satz, der allen Beteiligten – vor allem aber den Trompetern - viel Virtuosität abverlangt! Aus diesem Grund hat Bach wahrscheinlich den Trompeten-Part im Rahmen einer späteren Wiederaufführung der Kantate durch Streicher ersetzen müssen, weil ihm wohl talentierte Trompeter fehlten...

Wie die 2 Jahre zuvor entstandene Kantate ist auch die zum Michaelistag 1726 entstandene Kantate BWV 19 ausgesprochen festlich instrumentiert:
Es wird erneut ein dreistimmiges Trompeten-Ensemble plus Pauken verlangt, das der Kantate (vor allem deren Eingangschor) einen sowohl festlichen wie auch schmetternd-zupackend kriegerischen Charakter verleiht – grandios vor allem für Freunde dieser typischen „Pauken-und-Trompeten-Barockmusik“ (es braucht halt nicht immer nur „Jauchzet, frohlocket!“ aus dem Weihnachtsoratorium zu sein!)

Während die Kantate BWV 130 die schützende Macht der Engelsscharen im Allgemeinen preist, wird die Kantate BWV 19 konkreter und erwähnt den in der Offenbarung, Kapitel 12, Vers 7-12 beschriebenen Kampf des Erzengels Michael und seiner himmlischen Streitmacht gegen den höllischen Drachen direkt.

Martin Schongauer: Michael und der Drache, Radierung, 1470
Dies führt gleich zu Beginn der Kantate wieder zu einem ausgesprochen furiosen Eingangschor, der Bachs kompositorische Meisterschaft sowohl in Bezug auf eine geradezu spielerische Handhabung der Fugentechnik, wie auch der an der Motette orientierten Textvertonung eindrucksvoll unter Beweis stellt!

Ohne weitere Vorbereitung erhebt sich der gewaltige Streit ab dem ersten Takt dieses Chores – das in nicht allzu strenger Fugenform vorgetragene Thema auf die Worte “Es erhub sich ein Streit“ windet sich förmlich wie der Drache, der vergeblich Michaels scharfem Speer auszuweichen sucht. Wieder einmal eine verblüffend einfache und doch so sinnfällige Idee, dieses Bild musikalisch auszudrücken! Diese musikalische Schlacht wird passend von schmetternden Trompeten und martialischen Paukenschlägen begleitet.

Auch die Tenor-Arie „Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir“ verdient besondere Erwähnung: Bach gelingt hier eine wunderschöne Kombination der in einem wiegend-idyllischen, sehnsüchtig-gelösten Tonfall vorgetragenen Melodie und der darüber schwebenden Solo-Trompete, die zeilenweise eine Choralmelodie vorträgt, was sehr feierlich wirkt! Diese friedlich-festliche Arie bildet einen überaus wirkungsvollen Kontrast zum musikalisch geschilderten Kampf zwischen Michael und dem Höllenfürsten – quasi eine Vision des nach dem gewonnenen Kampf eintretenden allumfassenden Friedens und ein guter Grund, St. Michael und seine Engel (wie im Text der Arie erwähnt) um ihren steten Beistand zu bitten!

Die Kantate BWV 149 entstand frühestens für den Michaelistag des Jahres 1728 oder 1729.

Auch diese Kantate wartet mit einem – dem Feiertag angemessenen – festlich besetzten Orchester auf: Mit Pauken und Trompeten sowie reichhaltiger Oboenbesetzung wird vom errungenen Sieg der Engel über den Satan gesungen.

Diese Dankeshaltung beherrscht denn auch die gesamte Kantate, sie ist thematisch daher der Michaeliskantate BWV 130 von 1724 ähnlich, die ebenfalls eine große Dankes- und Lobeshymne darstellt, während die Kantate BWV 19 ja die himmlische Schlacht gegen den „höllischen Drachen“ direkt zur Sprache bringt.

Die „Kantate“ BWV 50 ist eigentlich gar keine solche, denn sie besteht lediglich aus einem Chorsatz, der evtl. einmal der Eingangssatz zu einer Kantate, die ja immer aus mehreren Sätzen besteht, gewesen sein könnte.

Immerhin ist die liturgische Einordnung dieses Chorsatzes ist einfach, da es sich hierbei um eine Nachdichtung der Bibelstelle aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 12 Vers 10 handelt – und diese Stelle gehört zur Lesung am heutigen Michaelistag. Die reiche Festtagsbesetzung des Orchesters mit Trompeten und Pauken, die der Orchesterbesetzung anderer Michaeliskantaten entspräche, stützt diese Annahme.

Musikalisch ungewöhnlich an diesem Satz ist seine Doppelchörigkeit – alle vier Chorstimmen sind also geteilt. Dies kommt in „gewöhnlichen“ Bachkantaten nicht vor, da der ihm zur Verfügung stehende Thomanerchor normalerweise eine solche Stimmaufteilung von der Besetzung her gar nicht zuließ. Daher wird vermutet, dass es sich bei der uns heute erhaltenen achtstimmigen Version um die Bearbeitung eines Fremden handelt.

Ungeachtet aller dieser Unwägbarkeiten, Theorien, Vermutungen und Spekulationen liegt mit BWV 50 ein großartiger und prachtvoller Chorsatz vor, der sich in Form einer großdimensionierten Chorfuge präsentiert, wie sie eigentlich nur von Bach stammen kann!

Bach zieht hier – als wahrer Meister seines Faches – sämtliche kontrapunktischen Register, so dass nicht nur beeindruckte Zuhörer, sondern auch Musiktheoretiker über diesen Satz einhellig in Begeisterung ausbrechen...!

Das Besondere an den hier vorgestellten Michaeliskantaten Bachs ist die prachtvolle Orchesterbesetzung und vor allem die energiegeladenen, kraftvollen Chorsätze, die die Macht des von St. Michael angeführten Engelsheers eindrucksvoll illustrieren. Wer also ein paar besonders schöne, (leider) nicht ganz so bekannte Bach-Kantaten einmal näher kennenlernen möchte, dem seien gerade diese hier besonders an Herz gelegt!

Neben den schon etwas älteren Aufnahmen, die unter der Leitung von Helmuth Rilling entstanden sind, möchte ich hier vor allem die mitreißenden Einspielungen unter John Eliot Gardiner empfehlen (entstanden im Rahmen seiner legendären Bach Pilgrimage, die er im Bach-Jahr 2000 unternommen hat), die jeder akademischen Nüchternheit fern sind und dem Geist dieser Musik durch ihre Lebendigkeit und Direktheit sehr nahekommen!

In diesem Sinne also: A happy Michaelmas!!!

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