Dienstag, 6. November 2012

Requiem-Vertonungen: Franz von Suppé

Unglaublich, dass es nun schon wieder November ist!
Mindestens ebenso unglaubliche 2 Jahre ist es nun schon her, dass ich hier – passend zu diesem Monat mit seinen vielen entsprechenden Gedenktagen - eine kleine Reihe mit der Vorstellung verschiedener Vertonungen der Missa pro defunctis, also der lateinischen Totenmesse, begonnen hatte. Da ich im vergangenen Jahr aus Zeitgründen im November partout nicht dazu gekommen bin, ein paar weitere interessante Requiem-Kompositionen zu präsentieren (und da gäbe es noch eine ganze Reihe!), möchte ich das in diesem November nun nachholen.

Beginnen möchte ich in diesem Jahr mit einem Komponisten, von dem man zunächst eigentlich gar nicht erwarten würde, dass auch er eine eigentlich doch recht ernste Angelegenheit wie ein Requiem komponiert hat, da man seinen Namen nämlich vorrangig dem Metier der leichten Muse zuordnen würde (obwohl das ja nun wirklich kein Widerspruch sein müsste – aber man kennt ja das Schubladendenken vieler Leute!):
Die Rede ist von Franz von Suppé (1819-95), der zusammen mit Johann Strauß Sohn (1825-99) und Carl Millöcker (1842-99) in der Regel als Vertreter des „Goldenen Zeitalters der Wiener Operette“ gilt.
Vielleicht liegt es daran, dass man Suppé einfach zu sehr in die Ecke "Operette" gestellt hat und man von ihm schmissige, mitreißende Ouvertüren erwartet (die ich auch sehr liebe!) - denn irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass sein Requiem irgendwie nicht als vollgültige Vertonung einer Totenmesse wahrgenommen wird und das finde ich wirklich sehr schade.

Ich hatte Gelegenheit, sein Werk nicht nur als Zuhörer, sondern aktiv als (Mit-)Sänger im Herbst 2003 in Köln aufführen zu dürfen und unser ganzer Chor war von Anfang an von diesem für uns alle völlig unbekannten, für den Chor sehr dankbaren Requiem begeistert! In der Rezension nach dem Konzert (Überschrift: "Des Meisters Kinderfreude an der Fuge") des zuständigen Redakteurs beim Kölner Stadt-Anzeiger klang damals dann allerdings ebenfalls eine gewisse Voreingenommenheit dem Werk gegenüber durch - ein Operettenkomponist und dann eine Totenmesse? Das kann doch nicht sein...

Dabei geht dies ganz gut - zumal Suppé eine gründliche kirchenmusikalische Ausbildung genossen hatte und das Requiem immerhin vor seinen späteren Operettenerfolgen wie "Boccaccio" oder "Die schöne Galathée" entstanden war - und damals auch ein Erfolg wurde. Kritische Stimmen, die dem Komponisten partout "Operettenhaftigkeit" und damit mangelnde Ernsthaftigkeit seiner Totenmesse unterstellen wollten (ein Vorwurf, den ich nun wirklich nicht nachvollziehen kann!), kamen interessanterweise nämlich erstmals auf, nachdem Suppé mit "Leichte Kavallerie" & Co. Furore gemacht hatte...

Vermutlich sind das aber dieselben Kritiker hierzulande gewesen, die auch Verdis Requiem-Vertonung (Uraufführung 1874) eine allzu große Opernhaftigkeit ankreideten und auch dieses Werk deshalb ablehnten – komisch: in Italien schien das damals niemanden gestört zu haben…?!?

Vielleicht beurteilt man ein Werk anders, wenn man es über einen längeren Zeitraum einstudiert, intensiv probiert und dann im Konzert aufgeführt hat – aber ich glaube, ich würde das Suppé-Requiem auch ohne diese meine persönlichen Erfahrungen mit dieser Komposition zu meinen Lieblings-Requiem-Vertonungen rechnen!

Franz von Suppé, der mit vollständigem Namen eigentlich Francesco Ezechiele Ermenegildo Cavaliere Suppé-Demelli hieß, komponierte seine Missa pro defunctis (für vier Solostimmen, Chor und Orchester) zum Gedenken an den im Jahr 1850 verstorbenen Wiener Theaterdirektor Franz Pokorny und die Komposition wurde am 22.11.1855 in der Piaristenkirche in Wien uraufgeführt.

Der Komponist unterteilt sein Requiem (Aufführungsdauer knapp 70 min.) ganz traditionell in folgende 13 Abschnitte:
-Introitus/ Kyrie eleison
-Sequenz: Dies irae
--Tuba mirum
--Rex tremendae
--Recordare
--Confutatis
--Lacrimosa
-Offertorium: Domine Jesu Christe
--Hostias
-Sanctus
-Benedictus
-Agnus Dei
-Libera me

Man merkt dieser Komposition die grenzenlose Mozart-Verehrung Suppés an - es ist in vielen Teilen deutlich am Mozart-Requiem KV 626 orientiert, so z. B. im Confutatis, wo zunächst die Männerstimmen mit einem recht bedrohlichen "Confutatis maledictis" loslegen, um dann von den ätherischen Frauenstimmen - engelsgleich - abgelöst zu werden ("Voca me cum benedictis") - wie bei Mozart.
Oder die Kyrie-Fuge (in Moll und majestätisch-streng wirkend - wie in KV 626) wird am Ende im "Cum sanctis tuis" - nur mit dem anderen Text unterlegt - notengetreu wiederholt. Das ist ebenfalls eindeutig an Mozart orientiert (bzw. der im Rahmen der Vollendung des Fragments durch Mozarts Schüler Franz-Xaver Süßmayr so getroffenen „Notlösung“ - ob Mozart die Kyrie-Fuge tatsächlich am Ende noch einmal mit anderem Text wiederholt hätte, sei mal dahingestellt).
Jedenfalls gäbe es da noch viele weitere Beispiele, die Suppés Mozart-Affinität aufzeigen, bzw. Stellen, an denen er sich musikalisch oder von der Besetzung her dessen Komposition zum Vor- bzw. Leitbild genommen hat.
Auch die Tatsache, dass Suppé in seiner Missa pro defunctis eine eigentlich eher während der Wiener Klassik übliche, „noble Zurückhaltung“ wahrt und allzu heftige orchestrale wie vokale „Knalleffekte“ meidet, scheint mir durchaus auch ein Hinweis darauf zu sein, woher er seine Inspiration für diese Komposition hauptsächlich bezogen hat.
Aber Suppé vermag es - trotz dieser Orientierung an Mozart - dem Requiem seine ganz eigene Note zu verleihen - was sind schließlich schon äußere Gestaltungsmerkmale wie die gerade aufgezählten?

Die im Suppé-Requiem enthaltenen Fugen (auch das zweimal unverändert vorkommende "Quam olim Abrahae" steht bei ihm in der traditionell an dieser Stelle angewendeten Fugenform) empfinde ich weder als die von unserem damaligen Rezensenten herablassend "Kinderfreude" (was immer das heißen soll - gemeint war wohl ein "Hört mal her, liebe Zuhörer: Ich, Franz von Suppé, kann sowas auch!") genannten Kunststückchen, noch als "holprig" oder „ungelenk“!
Sie beweisen vielmehr, dass Suppé sein Handwerk souverän beherrschte und nach allen Regeln der Kunst anzuwenden verstand – und als traditionsbewusster Künstler sich auch den althergebrachten „Gesetzmäßigkeiten“ unterwarf, die eben auch im Jahr 1855 noch vorsahen, dass beispielsweise die "Quam olim Abrahae"-Passage in Form einer Fuge komponiert werden sollte. Und gerade diese immerhin gleich doppelt zum Vortrag kommende Fuge ist nun wirklich sehr schwungvoll und eingängig - wir haben sie immer sehr gerne gesungen!
Es ist wahrscheinlich einfach so, dass man in einem um 1850 entstandenen Requiem keine ausgewachsenen, gründlich "durchexzerzierten" Fugen mehr erwartet. Die wirken dann natürlich im ansonsten zeitlich ganz gut einzuordnenden Umfeld etwas befremdlich.
So bricht beispielsweise im Hostias (aber auch an einigen Stellen im Agnus Dei) die zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Requiem gerade ganz aktuelle Epoche der "mittleren Verdi-Opern" unüberhörbar hervor, wenn in der Orchesterbegleitung an einigen Stellen das aus den Opern des berühmten Italieners so bekannte (und gelegentlich auch belächelte) "Hum-ta-ta" und einige andere, typische Wendungen erklingen und man sich unweigerlich an eine Szene aus "Rigoletto" oder "La traviata" erinnert fühlt - aber: warum eigentlich nicht? Mir gefallen diese überraschenden Prisen  echter italianità in der Komposition eines eigentlich zu den Großen des Wiener Walzer-Olymps gehörenden Meisters wirklich ausgesprochen gut - gerade, weil man sie hier nicht wirklich erwartet hätte!

Apropos Verdi – neben seinem schon erwähnten, knapp 20 Jahre später entstandenen monumentalen Requiem ist dieses hier von Suppé eines der wenigen, in dem als letzter Satz auch noch das streng genommen eigentlich nicht zur Liturgie der Missa pro defunctis gehörende Libera me mit vertont wurde! Dies übrigens auch ein deutlicher Unterschied zum Vorbild des Mozart-Requiem.

Weitere große Momente im Suppé-Requiem sind einige wunderbar ausdrucksvolle Kantilenen (wie z. B. im Recordare oder im Lacrimosa mit ihren klagenden Oboen-Soli zu Beginn) und dann natürlich das Tuba mirum mit dem ausgedehnten Posaunenduett zu Beginn und einer sich im Ausdruck zur Mitte des Satzes hin steigernden Leidenschaft (in der absolut ungewöhnlichen Taktart 15/8tel!), die am Ende wieder auf die beiden Posaunen des Beginns zurückgeführt und reduziert wird. Dieser Mittelteil erinnert – ähnlich wie der Beginn dieses Requiem – an einen unaufhaltsam dahinschreitenden Leichenzug, dem der Zuhörer begegnet. Das Ganze hat einen irgendwie gleichmäßig dahinfließenden Charakter, dessen sogartiger Wirkung man sich nur schwer entziehen kann.
Auch ein Highlight ist das Benedictus - ein gut 4-minütiges Solisten-Quartett - a cappella (die vier Solisten singen in dieser Nummer also ohne jegliche Unterstützung von Chor oder Orchester nur miteinander)!!
Eine echte Zitterpartie und große Konzentrationsübung, weil am Ende dieser ausgedehnten Passage der Chor und das volle Orchester dann wieder mit dem "Osanna in excelsis" einfallen - und man merkt dann halt sofort, wenn die Solisten in den 4 Minuten in der Intonation "abgesackt" sind (bei uns ist es damals im Konzert übrigens gut gegangen - da singt man dann das jubelnde "Osanna" mit wahrer Freude im Herzen *lach*).
Im Libera me (diese abschließende Textpassage fehlt wie erwähnt im Mozart-Requiem) als letztem Satz bei Suppé kommen gar noch am gregorianischen Choral orientierte Floskeln im unbegleiteten Chor vor – also vielseitig und ideenreich war der Komponist schon, das muss man ihm lassen!

Alles in allem: Ein äußerst abwechslungsreiches Requiem (als Totenmesse hat es eine überzeugende Gesamtaussage, die dem ernsten Anlass auch gerecht wird), in dem verschiedene Stile ineinanderfließen und eine originelle Mischung ergeben und der Zuhörer die seltene Chance hat, einen vermeintlich bekannten Komponisten unterhaltender Operetten aus der Wiener Walzerwelt einmal von einer ganz ungewohnten Seite kennen- und schätzen zu lernen! Eine echte Entdeckung und daher unbedingt zu empfehlen!!
Zwei Aufnahmen dieser (in den letzten Jahren erfreulicherweise schon mal häufiger im Konzert anzutreffenden) Totenmesse kenne ich:
Aleksandra Baranska (Sopran), Katarzyna Suska (Alt), Jerzy Knetig (Tenor), Andrzej Hiolski (Bass)
Philharmonischer Chor und Philharmonisches Orchester von Krakau
Dirigent: Roland Bader
(1989 in Krakau aufgenommen und 1996 beim Label KOCH/ SCHWANN veröffentlicht)
Elizabeta Matos (Sopran), Mirjam Kalin (Alt), Aquiles Machado (Tenor), Luis Rodrigues (Bass)
Chor und Orchester der Gulbenkian Foundation Lissabon
Dirigent: Michel Corboz
(Live-Mitschnitt von 1997; 2003 erstmals bei Virgin Classics erschienen)
Sowohl die in Krakau wie auch die in Lissabon entstandenen Einspielungen haben ihre Vorzüge, da sich in summa ein durchaus gleichwertiges Ergebnis ergibt (trotz einiger zum Teil auffälliger Unterschiede bei der Wahl der Tempi in den verschiedenen Sätzen – mal sind die Portugiesen schneller, mal die Polen, man kann also nicht sagen, dass Aufnahme A grundsätzlich „flotter“ wäre als Aufnahme B), kann und möchte ich hier keinen eindeutigen persönlichen Favoriten benennen.
Bei der portugiesischen Aufnahme würde ich mir allerdings bisweilen etwas mehr akustische Raumtiefe wünschen, da das Ganze manchmal leider etwas flach klingt und man den (wahrscheinlich nicht zutreffenden) Eindruck bekommt, dass das Konzert in einem viel zu kleinen Raum stattgefunden hat!

Anhören lohnt sich also in jedem Fall, am besten natürlich im Live-Konzert – dieses Requiem aus der Mitte des 19. Jahrhunderts entfaltet dann ganz sicher seine faszinierende Wirkung!

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