Sonntag, 27. Oktober 2013

Ein Abend in der Oper - "Eugen Onegin" in Köln

Besucher der Kölner Oper haben eine ganze Weile darauf warten müssen: Am vergangenen Sonntag (20.10.2013) fand dann nun endlich auch die erste Premiere der Spielzeit 2013/2014 statt:
Auf dem Spielplan stand Peter Tschaikowskys (1840-93) bekannteste Oper Eugen Onegin (uraufgeführt am 29. März 1879 am Kleinen Theater in Moskau) in einer Neuinszenierung von Dietrich W. Hilsdorf.

Am Mittwoch (23.10.) war ich in der 2. Vorstellung dieser Neuproduktion in der Oper am Dom, um mir eine meiner absoluten Lieblingsopern endlich mal wieder live und in Farbe auf der Bühne ansehen und anhören zu können! Die knapp dreistündige Vorstellung (inkl. einer Pause) war zu ca. 75 % ausverkauft (ich hatte ehrlich gesagt gerade nach den ausgesprochen positiv ausgefallenen Premierenkritiken in Presse und TV mit einer höheren Besucherzahl gerechnet) und das Publikum war erfreulicherweise altersmäßig ausgesprochen gut durchmischt. Weitere Infos, Fotos, Termine, etc. gibt es hier.

Die Oper Eugen Onegin besteht aus Szenen, die von Tschaikowsky und seinem Librettisten Konstantin Schilowskij aus dem gleichnamigen Versroman Alexander Puschkins entnommen wurden und aus verschiedenen Blickwinkeln schlaglichtartig die auf ihre Art jeweils tragisch verlaufenden Geschichten der drei Hauptfiguren Tatjana, Lenskij und natürlich des Titelhelden der Oper wiedergeben, wobei eindeutig größeres Gewicht auf die inneren, psychologischen Entwicklungen dieser Figuren gelegt wurde als auf eine aktionsreiche, äußerlich-dramatische Handlung. Viele Ereignisse, die in Puschkins Romans vorkommen, werden in der Oper gar nicht thematisiert – der dramaturgische Bruch zwischen dem 2. und dem 3. Akt (also dem, was nach dem Duell zwischen Lenskij und Onegin und dem Wiedersehen Onegins mit Tatjana in St. Petersburg passiert) ist hierbei besonders auffällig.

Genau da setzt Regisseur Hilsdorf an: Er erzählt eben nicht nur die Geschichte der erwähnten drei Hauptfiguren, sondern nimmt sich auch der weiteren Geschicke der in der zweiten Hälfte der Oper achtlos übergangenen Figuren wie Tatjanas Schwester Olga, ihrer Mutter und der Kinderfrau Filipjewna an, wobei er sich – soweit ich das beurteilen kann – in vielen Punkten an die Puschkin’sche Vorlage gehalten hat.
So wird beispielsweise angedeutet, dass sich die heitere, ja leichtlebige Olga schon bald nach dem Tod ihres Verlobten Lenskij mit einem Soldaten (einem Offizier, nehme ich an) tröstet, während die alte Kinderfrau, nach den dramatischen Ereignissen des Duells vom Schlag getroffen oder bedingt durch einen Herzinfarkt, tot auf dem Sofa zusammenbricht, in einen Sarg gelegt und feierlich von der Bühne getragen wird. Diesen Ereignissen kann die Larina, die Mutter Tatjanas und Olgas, nunmehr im Rollstuhl sitzend, nur noch macht- und tatenlos zuschauen.

Inwieweit das alles dann noch den Vorgaben bei Puschkin entspricht, kann ich allerdings nicht sagen, da dessen Werk, das in Russland zum festen Kanon der klassischen Literatur (und damit der Allgemeinbildung) gehörte (und bis heute gehört!) hier im Westen weitaus weniger bekannt ist und die Tschaikowsky-Oper Eugen Onegin bei Weitem bekannter ist als die eigentliche literarische Vorlage. Das ist wohl auch der Grund, warum Tschaikowsky es sich leisten konnte, nur einige Schlüsselszenen aus der Romanvorlage zu vertonen – er konnte voraussetzen, dass das russische Publikum die Handlung der Geschichte eh in- und auswendig kannte.

Dennoch muss man dem Regisseur der aktuellen Kölner Inszenierung dankbar sein für die Idee, dem Zuschauer hier ein bisschen zusätzliche Story zu präsentieren, auf die er sonst verzichten müsste!
Neben den erwähnten Ereignissen (die übrigens allesamt pantomimisch während des Erklingens der berühmten Polonaise zu Beginn des 3. Aktes dargestellt werden, wobei man sich darüber streiten kann, ob diese Stelle, an der die festliche und repräsentative Musik, die das Publikum ja eigentlich auf die herrschaftliche Atmosphäre im Hause des Fürsten Gremin einstimmen soll, wirklich die passende hierfür ist!) erzählt Regisseur Hilsdorf aber auch noch eine Menge weiterer kleiner Episoden, die dazu führen, dass spätestens ab dem 2. Akt neben der eigentlichen „offiziellen“ Handlung immer noch irgendetwas anderes passiert:
Da wird ein Hündchen an der Leine über die Bühne geführt; ein betrunkener Alter torkelt ausgiebig und unglücklich durch die Szenerie; Monsieur Triquet, der Tatjana (auf französisch) ein Ständchen zum Namenstag darbietet, wird als nervender Volldepp dargestellt, dessen nicht enden wollenden Vortrag sich am Ende nur noch die wehrlose Amme anhören muss; das Dienstpersonal im Gutshaus der Larins schält Kartoffeln und topft Blumen um, während der arme Lenskij kurz vor dem für ihn tödlich verlaufenden Duell Abschied von seiner Olga nimmt (die tatsächlich anwesend ist und nicht – wie eigentlich vorgesehen – vom einsam in einer Winterlandschaft stehenden Lenskij lediglich herbeigesehnt wird, was meiner Meinung nach eine wesentlich stärkere Wirkung gehabt hätte!) – diese und zahlreiche andere szenische Ideen trifft man wie gesagt während der gesamten Vorstellung an.

Ob das nun alles so wirklich sinnvoll ist und die Zuschauer an mehreren Stellen nicht eher zu sehr vom eigentlich Wichtigen ablenkt (oder auch das ein oder andere Fragezeichen hinterlässt, weil sich einem der Sinn der ein oder anderen Aktion einfach nicht erschließen will), mag durchaus sein – unterhaltsam ist das Ganze in jedem Fall!

Dadurch, dass die ganze Inszenierung in derselben Kulisse spielt (die sich dank beweglicher Wände allerdings ohne Probleme vom kleinen Gemach in einen großen Ballsaal verwandeln lässt), bekommt die Oper einen einheitlichen, ordnenden Rahmen, was aufgrund der doch etwas uneinheitlichen Handlung vielleicht gar keine so schlechte Idee ist. So befindet man sich also durchgehend in einem Raum (bzw. Saal) mit hohen weißen Fenstern und Türen sowie blassgrünen Tapeten, die mit einigen wenigen jugendstilartigen Ornamenten verziert sind und in dem ein paar Stühle, Tische und Sofas je nach Bedarf gruppiert werden. Das ist eigentlich völlig ausreichend, wobei ich mir persönlich zumindest für die Duellszene eine etwas kargere Kulisse gewünscht hätte (auch ohne die erwähnten Kartoffelschäler im Hintergrund!), hier sollte aber wohl die Absurdität dieses aus einer Nichtigkeit heraus entstandenen Streits visualisiert werden – inklusive des völlig sinnlosen und von keinem der Beteiligten wirklich gewollten Duelltod Lenskijs, der so eben im Dienstbotentrakt sein junges Leben aushauchen muss...

Die Kostüme der Figuren sind irgendwo zwischen den 1920er und 1950er Jahren einzuordnen – bei diesem Regiekonzept hätte es nun wirklich nichts ausgemacht, dann auch gleich auf Kostüme im Stil des 19. Jahrhunderts (also die Zeit, in der das Stück eigentlich spielt) zurückzugreifen, das hätte ich zumindest konsequent gefunden!

Trotzdem will ich mich weiß Gott nicht beklagen: Ich habe schon weitaus verquastere, total abstrahierende Inszenierungen von Eugen Onegin ertragen müssen – viele Regisseure erliegen heute schließlich dem Reiz, die dem Stück innewohnende psychologische Komponente in Form total abstrakter Visionen und Verfremdungen dermaßen zu betonen, dass man zwischen der wunderbaren Tschaikowsky-Musik und dem, was da auf der Bühne an optischen Albträumen vor sich geht, überhaupt keinen Zusammenhang mehr erkennen kann!
Im Gegensatz dazu war ich von der jetzt in Köln präsentierten, ideenreichen und szenisch anschaulich umgesetzten Inszenierung durchaus zufrieden – so etwas hatte ich eigentlich gar nicht erwartet!

Nun noch zum musikalischen Aspekt des Abends - die Besetzung sah wie folgt aus:
Eugen Onegin: Andrei Bondarenko
Tatjana: Olesya Golovneva
Lenskij: Matthias Klink
Olga: Adriana Bastidas Gamboa
Larina: Dalia Schaechter
Filipjewna: Anna Maria Dur
Fürst Gremin: Robert Holl
Monsieur Triquet: Alexander Fedin
Hauptmann: Stefan Kohnke
Saretzkij: Luke Stoker
Guillot: Rolf Schorn
Chor und Statisterie der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Dirigent: Marc Piollet


Musikalisch war der Abend ein wirklich gelungenes Ereignis – das Ensemble überzeugte nicht nur gesanglich, sondern auch (und das ist ja nun wirklich nicht selbstverständlich) optisch:
Die Russin Olesya Golovneva als scheue, mädchenhafte Tatjana, der Ukrainer Andrei Bondarenko als schnöseliger, auf seine gelangweilt-unkonventionelle Art aber durchaus nicht unattraktiver Onegin, die wie immer erfreulich vielseitigen Kölner Ensemblemitglieder Adriana Bastidas Gamboa als lebensfrohe Olga und Dalia Schaechter als Gutsherrin Larina oder der überaus würdig daherkommende Robert Holl als Fürst Gremin (um nur einige zu nennen).

Dass bei den beiden Hauptfiguren auch sprachlich das sicher nicht ganz leicht zu beherrschende russische Vokabular dieser Oper selbstverständlich in besten Händen (bzw. Kehlen) war, versteht sich von selbst!
Gesungenes Russisch klingt gar nicht mal schlecht! Das ist mir an dem Abend wieder mal aufgefallen.

Während ich das Gefühl hatte, dass der Tenor Matthias Klink wie auch der Bass Robert Holl an der ein oder anderen Stelle zumindest kurzzeitig an ihre stimmlichen Grenzen stießen (was ihre respektable Gesamtleistung jedoch nicht schmälert!), überzeugten mich die beiden Hauptdarsteller wirklich durchweg!
Vor allem Olesya Golovneva sehr natürliche, ungekünstelt wirkende Stimme passte perfekt zu der von ihr verkörperten Figur! Es war beispielsweise ein Vergnügen, ihr während der eindringlichen Gestaltung der großen Briefszene im 1. Akt zuzusehen und zuzuhören (erstaunlicherweise ist die aktuelle Kölner Produktion tatsächlich ihr Rollendebüt als Tatjana)!

Gut aufgelegt war auch der Chor, der im 2. Akt neben einigen schüchternen Walzerschritten auch eine regelrechte Choreographie vorführen darf (unterstützt durch die Statisterie), wenn die Mazurka erklingt, in deren Verlauf der Streit zwischen Onegin und Lenskij eskaliert. Dafür, dass die Kölner Oper kein Ballett (mehr) besitzt, war das schon ganz ordentlich anzuschauen!

Auch das Gürzenich-Orchester, das unter der Leitung von Marc Piollet fast durchgehend ein frisches Tempo vorlegte, überzeugte. Allerdings lag es wohl an der meiner Meinung nach nicht ganz unproblematischen Akustik in der Ausweichspielstätte im „blauen Opernzelt“ (wo für meinen Geschmack der Orchestergraben viel zu tief ist), dass ich mir an einigen Stellen einen etwas präsenteren, „knackigeren“ Orchesterklang gewünscht hätte! Das schallte mir oft etwas zu distanziert aus der Tiefe herauf…

Aber wie gesagt, ich will mich wirklich nicht beklagen: Insgesamt war das ein wirklich gelungener Opernabend und eine würdige (wenn auch arg späte) erste Neuinszenierung der Spielzeit 2013/14!

An dieser Stelle verweise ich gern abschließend auch wieder auf die wie immer sehr lesenswerte Rezension im Online Musik Magazin

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