Mittwoch, 9. Oktober 2013

Giuseppe Verdi - 200. Geburtstag

Nach dem 200. Geburtstag von Richard Wagner steht heute nun der 200. Geburtstag von Giuseppe Verdi an – es ist und bleibt ein kurioser Zufall der Musikgeschichte, dass die beiden berühmtesten und einflussreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts im selben Jahr geboren wurden!

Heute vor genau 200 Jahren (manchen Quellen zufolge auch erst am 10. Oktober – aber was macht das letztlich für einen Unterschied?) wurde Verdi im Dorf Le Roncole im Herzogtum Parma geboren. Er starb im (besonders für einen Komponisten) hohen Alter von 87 Jahren am 27. Januar 1901 in Mailand und überlebte Wagner damit immerhin um fast 18 (!) Jahre und schuf im hohen Alter mit Otello und Falstaff auch noch zwei seiner bedeutendsten Meisterwerke!

So schwer ich mich mit Wagner und seinen Kompositionen tue, so sehr flog mir schon ganz früh Verdis Musik zu - Aida und La Traviata gehören (neben Mozarts Klassikern) zu den ersten Opern, die ich kennen und lieben gelernt habe. Eine Faszination, die mich seitdem nicht mehr losgelassen hat! An dem verbreiteten Diktum, dass man sich als Opernfreund entweder für Wagner oder für Verdi entscheiden muss (ob nun bewusst oder unbewusst) und es sich hierbei um zwei nahezu unvereinbare musikalische Welten handelt, scheint also – zumindest aus meiner Perspektive - durchaus was dran zu sein…

Zugegeben: Wenn man sich Wagners bewegte Biographie ansieht, ist Verdis Leben im Vergleich dazu zwar auch ereignisreich aber bei Weitem nicht so dramatisch, ja opernhaft verlaufen (vom Tod seiner beiden Kinder und seiner ersten Ehefrau innerhalb kürzester Zeit zu Beginn seiner Karriere vielleicht mal abgesehen) wie das seines sächsischen Kollegen. Der Vergleich zwischen diesen beiden bedeutenden Künstlern reizt eben nicht nur in musikalischer Hinsicht…

Es ist ein weiterer merkwürdiger Umstand, dass Verdi und Wagner sich nie persönlich begegnet sind – genau wie die beiden großen Barockkomponisten Bach und Händel, die ebenfalls in ein und demselben Jahr (nämlich 1685) geboren wurden. Was wäre wohl gewesen, wenn sich diese beiden Künstler mal getroffen hätten?

Wagner hat sich wohl das ein oder andere Mal etwas geringschätzig gegenüber Verdis Musik geäußert, wenn ich das richtig in Erinnerung habe (damit aber sicherlich eher die zeitgenössische italienische Oper im Allgemeinen gemeint, deren prominentester Vertreter Verdi nun einmal war), von Verdi hingegen ist überliefert, dass er nach dem Tod Wagners das Ableben dieses großen Künstlers bedauert hat und sich wohl auch mit Partituren seines Kollegen beschäftigt hat – die beiden waren aber wohl einfach zu verschieden in ihren Ansichten und in ihren Schaffensprozessen, da gab es wahrscheinlich zu wenig gemeinsame Schnittmengen, um ein ernsthaftes Interesse an einer gegenseitigen Kontaktaufnahme zu haben, vermute ich mal…

Am Menschen Verdi finde ich seine Beharrlichkeit, sein stetes Bemühen um das Erzielen des optimalen künstlerischen Ergebnisses (auch um den Preis des Scheiterns eines Projektes) sehr bewundernswert – und da gab es durchaus auch unkonventionelle Ideen, die Verdi vehement umzusetzen versuchte, zum Beispiel seine Vorstellung von der Art und Weise wie die Sängerin der Lady Macbeth ihre Rolle gestalten sollte: Mit dem damals üblichen Belcanto hatte das nichts mehr zu tun…!

Verdi muss das gewesen sein, was man als „alten Grantler“ bezeichnet: Immer mit irgendwas unzufrieden und – auch in seinen zahllosen Briefen - vor sich hingrummelnd (und es gab viele Ärgernisse im Lauf seines langen Lebens, z. B. die ermüdenden und absurden Kämpfe mit den Zensurbehörden!) – aber er war im tiefsten Inneren auch ein großer Menschenfreund, dem es überdies auch noch vergönnt war, den von vielen seiner Landsleute damals lange ersehnten politischen Einigungsprozess Italiens nicht unmaßgeblich begleiten zu können.

Über Verdis Leben ist von berufeneren Leuten schon viel geschrieben worden, deshalb will ich mich hier auch gar nicht weiter mit biographischen Details befassen – mir geht es vorrangig um meine persönliche Beziehung zu Verdis Musik.

Was mich von Anfang an begeistert hat, ist Verdis unvergleichliches Talent, einprägsame Melodien und mitreißende dramatische Szenen zu erfinden und miteinander zu kombinieren. Dabei wird er jedoch nie trivial (oder besser: banal) – seine Kompositionen besitzen immer auch Tiefe und Anspruch. Dieses Talent hat er mit Mozart gemein, der ja ebenfalls zahllose wunderbare, oft verblüffend einfache Themen aus dem Ärmel zu schütteln verstand und gleichzeitig ein hohes künstlerisch-kompositorisches Niveau bewahrte.

Wie Mozart besitzt auch Verdi das Talent, seinen Opernfiguren eigenständige Charaktere zu verleihen und ihre Gefühle, Leidenschaften und Nöte den Zuhörern auf eindrückliche Weise nachvollziehbar nahezubringen. Das macht sicher einen Großteil seines anhaltenden Erfolges aus – von keinem anderen Komponisten dürften so viele Opern seit ihrer jeweiligen Uraufführung niemals aus den Spielplänen der Opernhäuser verschwunden sein!

Anders als Mozart, der ja so ziemlich in allen nur erdenklichen musikalischen Gattungen Geniestreiche vollbrachte, beschränkt sich Verdis Schaffen fast ausschließlich auf das Gebiet der Oper (das ist mal eine Tatsache, die er mit Wagner gemeinsam hat!) – es scheint fast schon schicksalhaft gewesen zu sein, dass ein italienischer Komponist im 19. Jahrhundert zuallererst und hauptsächlich im „Opernbusiness“ tätig zu sein hatte!
Ausnahmen (wie Paganini) bestätigen natürlich die Regel und auch Verdis andere Kompositionen (wie z. B. seine als Spätwerke entstandenen Quattro Pezzi Sacri) kann man als solche – immerhin sehr gelungenen Ausnahmen – betrachten. Seine 1873 entstandene Messa da Requiem würde ich großzügig und augenzwinkernd eher in den Kanon seiner Opernkompositionen einreihen wollen, die gern verwendete Bezeichnung dieser Totenmesse als „Oper im Kirchengewand“ ist sicher zutreffend, sagt aber auch sehr viel über Verdis Verständnis von Religion, Leben und Tod im Allgemeinen und eben auch seinen „weltlichen“ Opern aus (die er als eigenständige Kunstwerke mit ihren jeweiligen, tiefempfundenen Aussagen zu menschlichen Gefühlen, Freuden und Leiden immer sehr ernst nahm):
Dass es da offensichtlich keine hörbaren Unterschiede zwischen kirchlicher und weltlicher Musik gibt, zeigt für mich, dass Verdi in seinen Opern eigentlich dieselben elementaren, zeitlosen und damit alle Menschen betreffenden Geschichten erzählt, wie er es eben auch in seiner bedeutendsten geistlichen Komposition tut!

Wagners künstlerischer Überbau, die ganze Bedeutungsschwere, die er jeder seiner Opern beimisst, ist und bleibt mir irgendwie fremd. Bei Verdi (wie auch bei Mozart) gibt es das nicht – das hat mir den Zugang zu seiner Musik immer erleichtert und ihn mir gleich sehr sympathisch gemacht! Man ist immer sofort mittendrin im Geschehen, selbst wenn man den italienischen Gesangstext grade mal nicht versteht…

Und ja – ich mag es auch, wenn Verdi mal so richtig den Italiener raushängen lässt und es - dramatisch vielleicht nicht immer ganz nachvollziehbar – schön schmissig zur Sache geht! Wer kann sich schon der mitreißenden Wirkung z. B. der Chorszenen im Troubadour, im Nabucco oder Rigoletto entziehen? Oper kann, soll und darf ja auch mal Spaß machen oder etwa nicht?

Auch Verdis stilistische Entwicklung über die vielen Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens finde ich faszinierend:
Er beginnt seine Karriere in der Spätphase der von Komponisten wie Rossini und Bellini geprägten Belcanto-Oper. Während Bellini bereits tot ist und Rossini sich in den 1830er Jahren schon vom "Opernbusiness" zurückgezogen hat, liebäugelt der dritte große Belcanto-Meister Donizetti zu der Zeit schon mit der französischen Oper. Verdis frühe Opern orientieren sich natürlich an diesen Vorbildern (deren fließende Belcanto-Eleganz er aber nie erreichen wird), der junge Komponist bringt aber schon eine Menge eigener Elemente in seine Musik mit ein und befreit sich so allmählich von seinen Vorgängern, indem er seinen eigenen Stil findet und stetig verfeinert.
Er bleibt zeitlebens fremden Einflüssen und Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen und integriert immer wieder neue Ideen in seine Kompositionen - ähnlich wie Mozart, der auch alles für ihn Neue und Interessante in sich aufnahm und daraufhin auf seine ganz persönliche Art wieder in seine eigene Musik einfließen ließ. Bei Verdi ist beispielsweise der Einfluss der zeitgenössischen französischen Opern, wie sie z. B. Gounod oder Meyerbeer mit großem Erfolg komponierten, oft deutlich zu erkennen - und dies nicht nur in seinen explizit für Paris komponierten Werken. Es wirkt kurios und absurd, dass ihm gelegentlich von Kritikern vorgeworfen wurde, dass er sich dem Einfluss Wagners unterworfen habe und nun auch in dessen Stil komponieren würde!

Verdis letzte Opern sind dann bereits raffiniert durchkomponierte musikalische Großformen (bezeichnenderweise allerdings eben nicht in wagnerscher Machart!), die nichts, aber auch gar nichts mehr mit der traditionellen italienischen Nummernoper zu tun haben, die Verdi vorfand, als er seine Karriere als Opernkomponist begann!

Viel könnte ich hier noch schreiben – vielleicht noch eine Bemerkung zum bisherigen Verlauf des „Verdijahres“, das eben auch ein „Wagnerjahr“ ist:
Mein im Frühjahr bereits geäußerter Verdacht, dass die Tatsache, dass wir ja bereits 2001 ein solches Verdijahr hatten (100. Todestag) und das letzte Wagnerjahr (auch 100. Todestag) nun schon 30 Jahre zurückliegt, sich auch auf das mediale Interesse zu Gunsten des Bayreuther Meisters auswirkt, scheint sich zu bestätigen:

Die knapp, aber immer fundiert und gut lesbar verfassten Musikbände aus der Reihe C.H. BECK WISSEN kann ich nur empfehlen!
Zwar ist in den letzten Monaten noch der ein oder andere Buchtitel zu Verdi erschienen und es hat auch ein paar neue CDs gegeben (jedoch sieht es in Zeiten des kriselnden Tonträgermarktes bei Wagner und Verdi mit neuen Operngesamtaufnahmen leider eher mau aus!), aber irgendwie ist meinem Empfinden nach der große „Verdi-Hype“ ausgeblieben – um Wagner wurde (wahrscheinlich vor allem hierzulande) irgendwie mehr Theater gemacht (ob das in Italien anders aussieht?).
Eine originelle und naheliegende Idee: Anhand der chronologischen Reihe der einzelnen Opern (ein Zeitraum, der sich immerhin über mehr als 50 Jahre von 1839 bis 1893 erstreckt!) erzählt der Autor aus Verdis Leben, das sich schließlich während all dieser Jahre fast ausschließlich um diese Musikgattung drehte. Es gibt Inhaltsangaben, Kommentar und Interpretation der einzelnen Werke - ich fand es sehr unterhaltsam! 

Immerhin haben die prominentesten Sängerinnen und Sänger unserer Tage mittlerweile schon einige mal mehr, mal weniger originelle und gelungene Verdi-Arien-Recitals abgeliefert: Anna Netrebko, Rolando Villazón, Jonas Kaufmann, Plácido Domingo, etc. – alle sind sie mit von der Partie!
Man beachte die fotografische Hommage des Covers mit dem berühmten Komponistengemälde (s. oben!) - es ist faszinierend, dass Plácido Domingo (DER Über-Tenor der letzten Jahrzehnte!) jetzt eine Arien-CD mit Baritonpartien vorgelegt hat. So hat man diesen berühmten Sänger auch noch nicht gehört - auch wenn für mich seine Stimme nach wie vor eher tenoral als baritonal klingt. Zudem merkt man ihm an vielen Stellen deutlich eine gewisse Anstrengung an und auch reichlich Vibrato wird (freiwillig??) eingesetzt. Das ganze Projekt ist wohl eher als origineller Schlusspunkt denn als Aufbruch in ein neues Stimmfach gedacht...
Und natürlich dürfen die aus den Archiven wieder hervorgekramten älteren Aufnahmen zum Thema auch nicht fehlen, so dass auch bereits verstorbene Künstler wie z. B. Luciano Pavarotti im Reigen neu erschienener Verdi-CDs auftauchen!
Eine Aufnahme aus den späten 1970er Jahren: "Big P" hat hier einige selten zu hörende Arien aus dem Verdi-Repertoire eingesungen, ergänzt von ein paar orchestralen Raritäten wie z. B. der eigentlich für die italienische Premiere (1872) gedachten "Aida"-Ouvertüre, die aber vom Komponisten wieder zurückgezogen wurde. Interessantes Material! 
Naja – Verdi hat eh immer Konjunktur, da muss man nicht erst ein Jubiläumsjahr wie dieses abwarten! Überhaupt wären solche Jubiläen für Komponisten, die unverdienterweise seit Jahrzehnten in der 2 (oder 3.) Reihe ausharren viel wichtiger als für die allseits bekannten Lieblinge aller Klassikfans!

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