Donnerstag, 21. November 2013

Benjamin Britten - 100. Geburtstag

Nach den runden Geburtstagen der beiden „Operngiganten“ Richard Wagner und Giuseppe Verdi in diesem Jahr gilt es heute dem 100. Geburtstag eines – auch dem Gebiet der Oper sehr erfolgreichen – weiteren Jubilars des Jahres 2013 die ihm gebührende Beachtung zu schenken:
Vor genau 100 Jahren, also am 22. November 1913 (passenderweise dem Tag der hl. Cäcilie - der Schutzpatronin der Musik!), wurde Benjamin Britten im ostenglischen Küstenstädtchen Lowestoft (Grafschaft Suffolk) als viertes Kind eines Zahnarztes geboren.

Schon als Kind in seiner Musikalität früh gefördert – vor allem von der ehrgeizigen Mutter, wird er später Kompositionsschüler bei Frank Bridge und studiert am Londoner Royal College of Music.

1937 freundet er sich mit dem Tenor Peter Pears (1910-86) an, der sein lebenslanger Partner und Weggefährte wird. Britten stirbt, vielfach geehrt und sogar von der Queen geadelt, in Pears‘ Armen im Alter von 63 Jahren am 4. Dezember 1976 im englischen Aldeburgh (wiederum in Suffolk), dem Ort, dem er nicht zuletzt durch die Gründung der Aldeburgh-Festspiele im Jahr 1948 einen bleibenden musikalischen Stempel aufgedrückt hat.

Als erklärter Liebhaber der Musik englischer Komponisten, deren Musik auf dem europäischen Kontinent vielfach ein Schattendasein fristet, muss ich – allen Sullivans, Elgars, Stanfords und Vaughan Williams zum Trotz – neidlos anerkennen, dass Benjamin Britten heute als der – auch international - bedeutendste britische Komponist seit Henry Purcell (1659-95) angesehen wird und das ist, sieht man sich die Lebensdaten Purcells an, nun wahrlich ein großes Kompliment, wenn man sich hierfür die mehr als 200 dazwischenliegenden Jahre so einfach zu übergehen traut!

Vor allem freut mich an der auch internationalen Wertschätzung Brittens die Tatsache, dass wir es hier zur Abwechslung einmal mit einem Komponisten des 20. Jahrhunderts zu tun haben – einem Jahrhundert, dessen zahlreiche Komponisten bis heute bei Weitem nicht dieselbe Beliebtheit beim Publikum erreicht haben wie viele Komponisten vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts!

Damit sind wir auch schon beim Besonderen, was die Musik Benjamin Brittens ausmacht:
Sie verleugnet zwar nie ihre Entstehungszeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts (bezieht also Harmonik, Kompositionstechniken und Klangsprache dieser Zeit mit ein), ist zugleich aber auch nie derart „abgehoben“ und unzugänglich wie viele zeitgleich entstehenden Kompositionen der europäischen Avantgarde, die sich von zwölftönigen hin zu seriellen, atonalen, elektronischen, experimentellen, minimalistischen und -zig weiteren Spielarten musikalischer Klangsprachen hin entwickeln. Immer, so scheint es, behält Britten mit seinem ganz eignen Stil eine gewisse Publikumstauglichkeit seiner Musik im Blick – was ihm zu seiner Zeit dann natürlich auch Kritik einbringt und ihn mitunter in die Rolle eines außenstehenden Sonderlings aus dem „Land ohne Musik“ drängt.

Seine Begabung, einen hohen künstlerischen Anspruch mit weitgehender Zugänglichkeit auch für ein musikalisch nicht vorgebildetes Publikum zu verbinden, stellt ihn für mich in die Reihe der wirklich ganz großen Komponisten – vielleicht haben ihn viele seiner komponierenden Zeitgenossen auch genau um diese Fähigkeit beneidet?

Britten war ein außergewöhnlich vielseitiger Komponist, der eigentlich in allen „musikalischen Teildisziplinen“ tätig war und sowohl in der rein instrumentalen Kammer- und Orchestermusik wie auch im Bereich der Vokalmusik – vom Lied bis hin zu Oper und Oratorium – eine Reihe von Meisterwerken geschaffen hat!


Seine Opern, allen voran Peter Grimes (UA 1945) und Billy Budd (UA 1951), kann man getrost mit zu den meistaufgeführten musiktheatralischen Klassikern des 20. Jahrhunderts zählen. Gerade hierzulande, wo man (leider) außer den beiden genannten Werken weitere Opern Brittens eher seltener auf der Bühne erleben kann, erfreut sich in den letzten Jahren erfreulicherweise auch The Turn of the Screw (UA 1954) einer zunehmenden Beliebtheit!


Wie die meisten vokalmusikalischen Kompositionen sind neben den Opern Brittens vor allem die Kunstlieder unter dem Eindruck des charakteristischen Tenors seines Lebensgefährten Peter Pears entstanden. Sein Freund war eine große Inspirationsquelle für den Musiker Britten – er hat dessen Gesang (und das nicht nur beim Vortrag seiner eigenen Kompositionen) unzählige Male selber am Klavier begleitet (hiervon existieren auch einige Aufnahmen!). Diese ganz besondere künstlerische Partnerschaft dürfte damit zu den wohl bedeutendsten der Musikgeschichte gezählt werden können!


Ich finde es immer schön, wenn einem Künstler bereits zu seinen Lebzeiten eine gewisse Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht wird (nichts ist tragischer als ein Künstler, dessen Genie erst nach seinem Tod erkannt und bewundert wird – da gibt es leider einige von!). Vor allem Benjamin Brittens Landsleute haben es aber ganz offenbar sehr zu schätzen gewusst, dass es mit ihm endlich wieder einmal einen englischen Komponisten von Weltrang gab – an öffentlicher Anerkennung (ich erwähnte bereits seine Erhebung in den Adelsstand) und repräsentativen Kompositionsaufträgen hat es Britten jedenfalls nicht gemangelt.
Einer der Höhepunkte in diesem Zusammenhang dürfte mit Sicherheit die Aufführung des eigens für die Einweihung der neuen Coventry Cathedral komponierten War Requiem am 30. Mai 1962 gewesen sein. Dieses gewaltige Chorwerk ist nicht nur eines der Hauptwerke Brittens sondern gleichzeitig auch einer seiner größten Publikumserfolge – schön, dass diese Kombination gerade bei diesem, für das von gewaltigen Kriegen erschütterte 20. Jahrhundert so wichtigen Werk möglich geworden ist!
Die Aufnahme dieses Werks unter der Leitung des Komponisten ist eine der erfolgreichsten Einspielungen klassischer Musik überhaupt geworden und auch nach über 50 Jahren noch ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Klassiksammlung!

Britten hatte das große Glück, dass seine Landsleute ihm und seiner Kunst gegenüber derart aufgeschlossen waren, dass die allgemein bekannte (und eigentlich auch nie absichtlich verhüllte) Tatsache, dass er und Peter Pears ein Paar waren, ihm in der prüden englischen Nachkriegsgesellschaft nie geschadet oder gar zu Repressalien geführt hat - das finde ich wirklich ausgesprochen bemerkenswert! In Deutschland hätten Pears und Britten sich allein aufgrund dieser Tatsache schon strafbar gemacht und eine Anzeige irgendeines missgünstigen Neiders oder Kritikers hätte schwerwiegende Konsequenzen haben können!

Während ich den Eindruck habe, dass hier bei uns das diesjährige Britten-Jubiläum doch ein wenig zu sehr im Schatten der 200-Jahr-Jubiläen Verdis und Wagners steht, sieht es in seinem Heimatland – hoffentlich – etwas anders aus…?!?!

Immerhin hat es sich das englische Traditionslabel DECCA nicht nehmen lassen, seine gerade mit britischer Musik gut gefüllten Klangarchive zu öffnen und mehrere CD-Boxen mit Werken Brittens (nach Gattungen geordnet) herausgebracht, so dass tatsächlich das Gesamtwerk Brittens (das behauptet zumindest die Plattenfirma) in diesem Jahr auf Tonträgern erschienen ist – darunter befinden sich auch zahlreiche Aufnahmen, die jahrelang nicht greifbar waren.
Erfreulich ist, dass es viele Einspielungen gibt, die unter der Leitung des Komponisten selber entstanden sind und an denen auch Peter Pears mitgewirkt hat! Soviel Authentisches können die Herren Verdi und Wagner leider auch in ihrem Jubiläumsjahr nicht mehr bieten…

Natürlich gibt es eine Reihe von Kompositionen Brittens, in die man sich erst einmal gründlich hineinhören muss und die beim „oberflächlichen“ ersten Anhören spröde und unzugänglich klingen, aber es lohnt sich wirklich und wenn man sich erst mal in seine charakteristische Tonsprache reingefunden hat, dann belohnt einen diese Musik mit wunderbaren Momenten!

Dennoch gibt es für interessierte Einsteiger, die vor dem großen und vielfältigen Gesamtwerk Brittens stehen und nicht wissen, wo man mit dem Anhören beginnen sollte, ein paar Werke, die sich ideal für den „Erstkontakt“ eignen:

Britten war zeitlebens daran interessiert, auch junge Menschen für Musik zu begeistern, seine (hier bei uns leider so gut wie nie gespielte) Kinderoper Let’s Make an Opera (The little Sweep [Der kleine Schornsteinfeger]) (UA 1949) ist dafür ein schönes Beispiel. Noch bekannter dürfte allerdings sein The Young Person’s Guide to the Orchestra (vollendet 1945) für großes Orchester sein! Gerade dieses Werk, eigentlich ein großer Variationszyklus über ein Thema von Henry Purcell mit abschließender Fuge, ist ein wunderbarer Einstieg in Brittens musikalische Welt – es zeigt, wie meisterhaft und scheinbar leichthändig er es verstand, mit den einzelnen Instrumenten des Orchesters ganz charakteristische Wirkungen zu erzielen und einen hohen (zudem auch noch pädagogisch wertvollen!) Unterhaltungswert mit kompositorischer Raffinesse zu verbinden! Außerdem ist diese Komposition auch ein Zeugnis für Brittens Begeisterung und sein Engagement für die Wiederentdeckung (und -aufführung) der Musik des Barock. Es existieren einige Aufnahmen, wo er selbst Werke des Barock dirigiert, die er - einem damaligen "Trend" folgend - für ein modernes Sinfonieorchester eingerichtet hat. Mit diesem Engagement für eine zu seiner Zeit erst zögerlich wiederentdeckten Musikepoche hat er sicher einiges zum wenig später einsetzenden großen "Barock-Revival" beigetragen!

Sehr populär geworden ist auch die wunderschöne Simple Symphony op. 4, ein Ende 1933 entstandenes Werk des gerade einmal 20-Jährigen!


Gerade jetzt in der beginnenden Vorweihnachtszeit ist auch die Ceremony of Carols sehr zu empfehlen, entstanden 1942 während der nicht ungefährlichen Schiffsreise des Freundespaares aus dem amerikanischen Exil zurück nach England (Britten hatte starkes Heimweh in den USA). Dieses mehrsätzige Werk ist für einen typischen englischen Knabenchor komponiert worden und der charakteristische Klang eines solchen Ensembles verleiht dem Ganzen einen besonderen Reiz!

Nicht ganz so bekannt - aber meiner Meinung nach mindestens ebenso interessant - ist die Kantate St Nicolas, mit der 1948 das erste Aldeburgh-Festival eröffnet wurde. In dieser Kantate geht es um verschiedene, in Legendenform überlieferte Episoden aus dem Leben des populären Heiligen, der in der Spätantike Bischof von Myra war.

Ebenfalls sehr empfehlen kann ich Aufnahmen (oder besser noch: Aufführungen) von Britten-Opern:
Dem musikdramatischen Talent des Komponisten (und den meist auch ziemlich spannend und unterhaltsamen Handlungen dieser Stücke) kann man sich nämlich nur schwer entziehen! Ich erinnere mich z. B. gerne an eine fantastisch gespielte und gesungene Aufführung von Peter Grimes, die ich 1999 - wenn ich nicht irre - an der Deutschen Oper in Berlin miterleben durfte (es war ein Gastspiel der finnischen Nationaloper Helsinki) – ich habe eine Gänsehaut nach der anderen bekommen, so sehr hat mich damals die unglaubliche Intensität und die Atmosphäre des Ganzen gepackt!

Neben den bereits genannten Opern finde ich auch A Midsummer Night’s Dream (UA 1960) sehr gelungen, nicht zuletzt wegen der für die damalige Entstehungszeit noch absolut ungewöhnlichen Besetzung des Elfenkönigs Oberon mit einem Countertenor!

Das War Requiem hatte ich bereits erwähnt – neben der klassischen Aufnahme unter der Leitung des Komponisten gibt es auch einige modernere Einspielungen, die künstlerisch ebenfalls auf höchstem Niveau stattfinden und mindestens genauso zu empfehlen sind – ich schätze z. B. die unter der Leitung von John Eliot Gardiner entstandene Aufnahme sehr.

Und von diesen Werken ausgehend kann die weitere Entdeckungsreise in die Welt des musikalischen Kosmos von Benjamin Britten dann weitergehen…!

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