Dienstag, 28. Januar 2014

Neuerwerbung: Rolando Villazón - Mozart Konzertarien

Im Februar wird der 1972 in Mexiko-Stadt geborene Tenor Rolando Villazón 42 Jahre alt. Er kann mittlerweile auf eine gleichermaßen erfolgreiche wie bewegte mehrjährige Karriere zurückblicken, die ihn an die Weltspitze der Klassik-Gesangsstars führte (was nicht immer nur ein Segen ist!) und ihm eine riesige internationale Fangemeinde bescherte, die ihm auch während seiner zahlreichen Stimmkrisen, die den sympathischen Künstler seit 2006/2007 immer wieder heimsuchten (gibt es etwas Schlimmeres für einen Sänger?) und den damit verbundenen mehrfachen Auszeiten unerschütterlich die Treue hielt und hält.

Berühmt wurde Villazón zunächst mit einigen Partien der französischen und vor allem der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts (Verdi und Donizetti), überraschte aber immer wieder auch mit völlig unerwarteten Ausflügen in Repertoirebereiche, die man von einem Tenor, der sich ganz offenkundig im Bereich der romantischen Oper des 19. Jahrhunderts pudelwohl zu fühlen schien, nicht erwartet hätte:
Ich erinnere nur an seine Mitwirkung an einer Monteverdi-Einspielung (“Combattimento“) im Jahr 2006 und der Vivaldi-Oper Ercole sul Termodonte 2010, sein Recital mit Händel-Arien (2009) oder seine CDs mit Filmsongs und mexikanischer Folklore (gerade diese beiden letztgenannten Aufnahmen aus den Jahren 2010 und 2011 waren für viele Kritiker der vermeintlich eindeutige Beweis, dass Villazón seine „ernsthafte“ Karriere als Operntenor aus gesundheitlichen Gründen nun bald aufgeben würde)!

Sicherlich auch nicht vorausgesehen hat man, dass Villazón in den letzten Jahren nun seine Vorliebe für Mozart entdecken würde – und das gleich in ganz großem Stil:
Es ist tatsächlich geplant, dass er an Neuaufnahmen aller sieben späten Mozart-Opern für die Deutsche Grammophon mitwirkt (und in dieses Projekt auch als künstlerischer Berater eingebunden ist)!
Don Giovanni erschien 2012 zum Auftakt (mit Villazón als Don Ottavio) und 2013 folgte Così fan tutte, wo er den Ferrando sang.
Im Sommer 2014 wird nun Die Entführung aus dem Serail folgen, wo Villazón dann wohl den Belmonte geben wird. Mit den Partien des Tamino, Titus und Idomeneo werden dann wohl zwangsläufig in den nächsten Jahren einige weitere gleichermaßen interessante wie unerwartete sängerische Herausforderungen folgen; einzig in Le nozze di Figaro bliebe für ihn als Tenor nur die etwas undankbare, eher als Nebenrolle zu bezeichnende Partie des Don Basilio übrig.

Ganz ehrlich: Ich frage mich, ob das wirklich sein muss, die unzählige Male eingespielten, in vielen hervorragenden Aufnahmen erhältlichen Mozart-Klassiker nun abermals ein weiteres Mal auf CD zu bannen? Die Konkurrenz ist dabei so groß, dass man dabei eigentlich nur verlieren kann und so ist z. B. auch die zuletzt erschienene Così fan tutte-Einspielung bei der Kritik nicht durchweg positiv weggekommen…

Umso erfreulicher (und wiederum völlig unerwartet!) ist es daher nun, dass Rolando Villazón jetzt im Januar eine weitere Mozart-CD herausgebracht hat, die nun wirklich eine echte Repertoire-Lücke füllt:
Eine Zusammenstellung der Konzertarien, die Mozart im Verlauf seiner Karriere für Tenor (und begleitendes Orchester) komponiert hat!
Das ist nun wirklich ein Projekt, für das sich auch ein eingefleischter Mozart-Fan wie ich (den die oben erwähnten Opernneuaufnahmen nicht mehr wirklich begeistern können) sehr interessiert und dem ich mit großer Neugierde entgegengesehen habe!

Mozarts zahlreiche Konzertarien (es sind insgesamt an die 50!) sind während seiner gesamten Komponistenlaufbahn – in der Regel als Gelegenheitsarbeiten für befreundete Sängerinnen und Sänger – entstanden und führen seit jeher eher ein Schattendasein im ansonsten so gut auf Tonträgern dokumentierten Gesamtwerk des Salzburgers (von Konzertaufführungen ganz zu schweigen!).
Es überrascht nicht, dass die meisten dieser Arien für Sopran geschrieben sind, ein paar wenige fallen für Alt und Bass ab, immerhin ein gutes Dutzend (Fragmente inklusive) bleiben dann noch für den Tenor – und die nicht nur fragmentarisch erhaltenen Arien für diese Stimmlage aus Mozarts Feder (wenn ich das recht nachvollziehe, dürfte auf dieser CD tatsächlich keine fehlen!) hat Rolando Villazón nun zusammen mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Antonio Pappano aufgenommen.

Und während immerhin Sopranistinnen gerne ab und an mal ein paar der zum Teil höllisch schweren Arien in Konzerten oder im Rahmen von Recitals zum Besten geben oder gar auf Tonträgern verewigen, muss man erstaunt feststellen, dass es zu dieser neuen Einspielung – vor allem im Moment – erstaunlich wenig Alternativen gibt:
Im Rahmen der in den Jahren 1990/91 bei PHILPS Classics veröffentlichten Complete Mozart Edition sind natürlich auch sämtliche Konzertarien erschienen – die Tenorarien werden hier in gediegenen, manchmal ein ganz klein wenig betulich wirkenden Interpretationen unter anderem von Thomas Moser, Francisco Araiza und Claes H. Ahnsjö (allesamt von mir sehr geschätzte Tenöre), begleitet vom Salzburger Mozarteum-Orchester unter der Leitung von Leopold Hager dargeboten.

Und dann besitze ich noch eine (meines Wissens mittlerweile längst vergriffene) Aufnahme von Mozarts Konzertarien für Tenor (etwas überraschend ergänzt durch die nur vom Klavier begleitete Kleine Freimaurer-Kantate KV 619), die der peruanische Tenor Luigi Alva im Jahr 1981 zusammen mit dem Schlesischen Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Wojciech Rajski eingespielt hat. Alva ist vielen Klassikfreunden vielleicht vor allem durch seine Gestaltung der Partie des Conte Almaviva in Claudio Abbados Aufnahme von Rossinis Il barbiere di Siviglia ein Begriff und sein ausgesprochen heller und flexibel-leichtfüßiger Tenor dürfte wohl dem sehr nahekommen, was man als einen typischen Mozart-Tenor bezeichnen würde (Peter Schreier ist da für mich auch ein klassisches Beispiel!) und in dem Zusammenhang muss man sich schon ein wenig umgewöhnen, wenn man nun Rolando Villazóns Mozartgesang zuhört – seine Stimme ist eindeutig mehr von der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts geprägt und beeinflusst auch wenn er sich auf seiner aktuellen CD doch hörbar zurücknimmt und mit weniger „Drive“ und dafür mehr Leichtigkeit singt. Das wirkt nicht gekünstelt oder gebremst - ich finde seine sängerische Leistung auf dieser CD durchaus ansprechend und überzeugend und die ganze Interpretation stilistisch jetzt auch nicht völlig unpassend – diese Aufnahme zeigt, dass Mozart-Gesang nicht immer unbedingt nur wie bei Schreier, Alva & Co. klingen muss, sondern auch andere sängerische Herangehensweisen durchaus ihre Daseinsberechtigung haben.
Gerade in Zeiten, wo sich z. B. ja auch „normale“ Sinfonieorchester oft gar nicht mehr an die Interpretation von Kompositionen herantrauen, die vor Beethovens Orchesterwerken entstanden sind (also Mozart, Haydn oder gar Bach, Händel, usw.) und dieses Feld scheinbar kampflos den zahlreichen Originalklangensembles überlassen haben (was ich schade finde, weil hier eine gewisse Interpretationsvielfalt verloren geht!), ist ein Schritt wie der von Rolando Villazón sehr zu begrüßen, sich immer wieder mal in musikalischen Gegenden zu tummeln, in denen ein gestandener Verdi-Tenor zumindest heutzutage vermeintlich nichts mehr zu suchen hat (zu Zeiten eines Fritz Wunderlich oder Dietrich Fischer-Dieskau sah das noch ganz anders aus)…!

Im Vergleich zu den beiden obengenannten Aufnahmen der Mozart’schen Tenor-Konzertarien überzeugt die neue Einspielung durch ihren energiegeladenen Schwung und die hörbare Freude Villazóns an der Interpretation des von ihm eingesungenen „Nischenrepertoires“:
Besonders die beiden als Einlagearien für Salzburger Aufführungen von Niccolò Piccinnis (1728-1800) Opera buffa L’astratto ovvero il giocator fortunato entstandenen Arien KV 210 “Con ossequio, con rispetto“ und 256 “Clarice cara mia sposa“ werden – so kurz sie im Vergleich zu den meisten anderen Arien auf der CD auch sein mögen – dank des komödiantischen Talents Villazóns zu echten, Vergnügen bereitenden “Hinhörern“ – an die hier transportierte typische Mozart-Buffa-Stimmung kommen die oben erwähnten Tenorkollegen mit Abstand nicht heran! In KV 256 übernimmt Dirigent Pappano als kleines Kabinettstückchen sogar noch die gemäß dem Libretto eigentlich dem Gesprächspartner des Tenors zugehörigen kurzen Passagen (die in den anderen Aufnahmen jedoch immer vom Tenorsolisten selbst gesungen werden) – eine ausgesprochen amüsante Idee!

Mehrere Arien auf dieser CD sind ausgesprochen umfangreiche Szenen von großer Dramatik und an vielen Stellen versehen mit hohen virtuosen Ansprüchen (die von Mozart vertonten Textvorlagen stammen – wie übrigens die der meisten seiner Konzertarien – in der Regel aus den Libretti bekannter Opere serie des 18. Jahrhunderts) – gerade die wunderbaren Arien KV 295 “Se al labbro mio non credi“ und 431 (425b) “Misero! O sogno, o son desto? – Aura che intorno spiri“ erweisen sich als echte Entdeckungen, die man sich viel öfter mal im Konzert wünschen würde!

Und die Arie “Va dal furor portata“ KV 21 (19c) ist schon deshalb ein ausgesprochen interessantes Stück, da es sich hierbei immerhin um Mozarts allererste Komposition für Singstimme überhaupt handelt! Komponiert hat sie der Neunjährige 1765 in London, wo sich die Familie Mozart im Rahmen der großen Westeuropareise zu dieser Zeit für mehrere Monate aufhielt. Von dieser Komposition kann man natürlich nicht erwarten, dass die Musik schon typisch nach Mozart klingt, aber es ist doch ausgesprochen überraschend, auf welchem Niveau das Wunderkind hier bereits all die damals topaktuellen Standards der Opernmusik zu bedienen versteht: Gesangslinie, Melodie, Rhythmus und natürlich die umfangreichen Koloraturen (oder „geschnittene Nudeln“, wie Mozart diese scheinbar endlosen Gesangsgirlanden später einmal ironisch nennen sollte!) – da stimmt alles und wenn man es nicht wüsste, würde man vermuten, Musik eines der großen Erfolgskomponisten der 1760er Jahre zu hören und nicht die Erstlingsarbeit eines Neunjährigen!

Und nicht nur diese so besonders koloraturengesättigte Arie absolviert Villazón mit erfreulich unangestrengt, nie übermäßig forciert wirkender Stimme (ein paar kleine Abstriche hier und da nehme ich gerne in Kauf angesichts des Repertoirewerts dieser CD!). Man hört ihm wirklich gerne zu, wie er diese viel zu selten beachteten kleinen Juwelen interpretiert - das hätte ich so jetzt wirklich nicht erwartet!

Ausgesprochen sinnvoll ergänzt wird diese Sammlung von Tenor-Konzertarien durch eine Arie aus der leider Fragment gebliebenen komischen Oper Lo sposo deluso KV 430 (424a) aus dem Jahr 1783.

Wie schon erwähnt: Eine wirklich erfreuliche Bereicherung des Mozart-Repertoires und allein schon deshalb finde ich die Entscheidung, eine solche Aufnahme zu machen, ausgesprochen begrüßenswert! Sie zeigt wieder einmal, dass es abseits der ausgetretenen Pfade viel Interessantes und Lohnendes zu entdecken gibt und man – hoffentlich! – mit solchen willkommenen Repertoire-Ergänzungen mindestens ebensoviel (oder vielleicht sogar mehr?) Aufmerksamkeit und Erfolg erzielen kann als mit der 753. Neuaufnahme des Don Giovanni!

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